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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Er blieb unter der Thür stehen, während das Mädchen an ihm vorüber in das Haus huschte, um Brod für den Bettler abzuschneiden. Dann und wann that er einen Zug aus seiner Pfeife und blies dicke Dampfwolken in die würzige Morgenluft, während er nach dem Verbleib des „Strolches“ forschte, der sich einstweilen einem Examen des polternden alten Herrn entzogen zu haben schien.

Unter einer aufdämmernden Vermuthung suchte auch Herr Markus nach dem Verdächtigen. Das der Hausthür gegenüberliegende Hofthor stand nur zur Hälfte offen; der Gutsherr konnte von seinem Platze aus ganz gut sehen, wie sich hinter dem einen geschlossenen Thorflügel draußen ein Mensch niederduckte und, das Gesicht an die Bretter gedrückt, unverwandt durch eine der breitklaffenden Spalten des wackeligen Gefüges in den Hof lugte. – Diesen verschabten, ärmlichen Rock, den zerknitterten Hut und die carrirten hellen Beinkleider hatte Herr Markus gestern schon gesehen, und als eben das Mädchen mit einem Stück Brod in der Hand wieder aus dem Hause trat, da fuhr auch der Kopf hinter dem Thorflügel empor, der junge Männerkopf mit dem mächtigen, röthlich blonden Vollbart und der kranken Gesichtsfarbe, den er gestern selbst mit auf das weiche Kopfkissen in der gastlichen Soldatenkammer des Gutshauses gebettet hatte.

Der unglückliche Mensch sah heute noch erbarmungswürdiger aus – er schien sich kaum auf den Füßen halten zu können. Sein Entkommen durch das Fenster mußte eine Riesenanstrengung für ihn gewesen sein, und angesichts dieser augenscheinlichen Schwäche und Hülflosigkeit war es geradezu lächerlich, anzunehmen, der Flüchtende habe erst noch als Dieb die Wohnräume durchstöbert und den Henkelducaten aus der weitabliegenden Stube geholt.

Es war seltsam, daß dieser Verkommene auf Alle, die ihm Näher in das Gesicht sahen, denselben erschütternden Eindruck machte. Das Mädchen hatte rasch den Hof durchschritten und war mit suchendem Blick aus dem Thor getreten – in demselben Moment aber fuhr sie auch zurück; das Brodstück in ihrer Hand flog weit über den draußen vorbeilaufenden Weg hin, und es war ersichtlich, die „Prüde“ streckte ebenfalls unbedenklich, wie Luise, die hübsche, kleine barmherzige Schwester von gestern, die schönen, jungfräulichen Arme aus, um den Schwankenden zu schützen.

Jetzt ärgerte sich Herr Markus ebenso über diesen „fremden Burschen“, der sich so interessant in Mädchenaugen zu machen wußte, wie über den Grünrock mit seiner aufdringlichen Humanität. – Er sah plötzlich die Beiden außerhalb des Thores nicht mehr; sie waren hinter der Mauer verschwunden, wohl aber hörte er, wie der Amtmann seinen Stock hart auf den Steinboden der Hausflur stieß und sich hörbar mühsam nach der Stube zurückzuhelfen suchte.

Drinnen schien ihm Niemand zu Hülfe zu kommen; seine arme Frau konnte nicht – die lag ja krank, und Fräulein Gouvernante, nun, die componirte und malte wahrscheinlich an ihren Blumenstücken, oder war in irgend eine interessante Lectüre vertieft.

Herr Markus verließ schleunigst sein grünes Versteck und eilte über den Hof in das Haus.


8.

Der Amtmann war eben im Begriff, die Hand auf das Thürschloß der Stube zu legen, als er die Schritte hinter sich hören mochte. Er richtete sich schwerfällig aus seiner vorgebeugten Stellung auf und bemühte sich, den Kopf auf dem steifgewordenen Nacken zurückzuwenden. „Holla, was wär’ mir denn das? Kömmt mir der Kerl wohl gar bis in meine vier Pfähle nach?“ brummte er erbost und nicht ohne Schrecken.

In demselben Augenblick stand der Gutsherr mit einem halbunterdrückten Lachen an seiner Seite und nannte, sich vorstellend, seinen Namen.

Der alte Herr reckte und streckte sich sofort in seiner ganzen Gestalt, als sei ihm ein belebender, galvanischer Strom durch die gebrechlichen Glieder gezuckt – und so erschien er wirklich imponirend, und das Cavaliermäßige in der Art seiner Begrüßung wurde kaum beeinträchtigt durch den vielfach geflickten Schlafrock, der seinen hageren Körper umschlotterte.

Die Tabakspfeife polterte in die nächste Ecke, und während er mit der Rechten hastig durch die Luft fuhr, um die nichts weniger als aristokratisch duftenden Rauchwolken vor dem Gesicht des Besuchers zu zerstreuen, sagte er mit vornehmer Lässigkeit: „Muß die leichteste Sorte rauchen, die zu haben ist – die Herren Aerzte sind Tyrannen und fragen viel danach, ob man sich an solch ordinäres Kraut gewöhnen kann, oder nicht.“

Darauf schlug er so feierlich einladend die Stubenthür zurück, als gelte es, ein Prunkgemach oder einen geweihten Raum zu betreten. Das Letztere war die mäßig große Stube auch insofern, als an ihrer tiefen Wand das Lager stand, auf welchem eine unglückliche Frau seit länger als Jahresfrist dulden und leiden mußte. Da waren ja die Gardinen, welche die Magd mit Hülfe der Tannenzapfen aus dem Forstwärterhaus gestern Abend noch geplättet hatte. Sie hingen blüthenweiß und schön gefaltet um das Bett, das mit seinen glänzend frischen Leinbezügen über den schwellenden Kissen und Polstern ganz gut im Schlafzimmer der verwöhntesten vornehmen Dame hätte stehen können.

Es stand auch ein rundes Tischchen neben dem Bett; hübschgebundene Bücher mit Goldschnitt lagen auf der Mahagoniplatte, und ein großer, malerisch geordneter Wald- und Wiesenblumenstrauß hob sich aus einem Krystallkelch. … Nun, so ganz in Elend und Mangel versunken, wie Herr Markus gemeint, war diese Kranke doch nicht. Die biblischen Schwestern walteten an ihrem Lager. Die Starke, Willenskräftige, die er mit dem Fischnetz am Arme zuerst gesehen, sorgte für Speise und Trank und körperliches Behagen, und die andere umgab sie mit den hübschen Tändeleien ihrer feinen, gepflegten Hände; sie ließ sich vermuthlich auch herab, schön frisirt, parfümirt und in guter Toilette am Bett zu sitzen und ihr aus den Miniaturbändchen ausgewählte Dichtungen vorzulesen und so einen schwachen Nachglanz des ehemaligen vornehmen Lebens in die niedrige Stube zu hauchen.

„Herr Markus, unser neuer Nachbar, liebes Herz!“ sagte der Amtmann vorstellend, wobei er seine starke Baßstimme zu einem zärtlich weichen Klange moderirte Mann ignorirte lächerlicher Weise absichtlich die Bezeichnung „Gutsherr“.

Es war ein kleiner Frauenkopf mit einem durchsichtig abgezehrten, alten Gesichtchen und schneeweißen Scheitel unter dem Nachthäubchen, der bei diesen Worten wie entsetzt aus den Kissen auffuhr. „Ach, mein Herr!“ hauchte die alte Dame in schwachem, klagendem Tone und streckte ihm ihre schmale Hand hin, die, wie es schien, von einem nervösen Schauder geschüttelt wurde. Auch in dieser Frauenseele stürmte bei seinem Erscheinen sichtlich das Angstgefühl auf, daß nunmehr die längst gefürchtete Entscheidung gekommen sei.

Der Gutsherr trat an das Bett und zog die gebotene Hand ehrerbietig an seine Lippen. „Nehmen Sie den neuen Nachbar gütig auf, gnädige Frau!“ sagte er, „er wird Ihnen ein treuer Nachbar sein.“

Die Kranke schlug die großen, immer noch schönen Augen so tief erstaunt zu ihm auf, als meine sie, nicht recht gehört zu haben. Aber, das hübsche, ehrliche Männergesicht, um dessen frischen Mund ein gütevolles Lächeln flog, sah nicht nach Heuchelei oder banalen Redensarten aus, die man gedankenlos hinwirft, um sie im nächsten Augenblick zu vergessen. In dieser beglückenden Ueberzeugung umfaßte sie tief aufathmend auch mit der andern Hand die Rechte des jungen Mannes und drückte sie. „Wie lieb von Ihnen, daß Sie die armen Leute“ – sie stockte und sah scheu und hastig nach ihrem Manne, der sich stark räusperte und in ein Hüsteln verfiel – „daß Sie Amtmanns auf dem Vorwerk mit Ihrem Besuch erfreuen!“ setzte sie rasch verbessernd hinzu.

„Ja, und denke Dir nur, Sannchen, was mir dabei passirt ist!“ lachte der Amtmann. „In der Meinung, der Landstreicher draußen vor’m Thor komme mir frecher Weise bis in’s Haus nach, habe ich per Kerl und dergleichen raisonnirt, und derweil steht Herr Markus hinter mir!“

Er ließ sich in einen alten, aufächzenden Lehnstuhl nieder und saß so dem Besuch gegenüber, der auf eine einladende Handbewegung der Kranken hin neben dem Bette Platz genommen hatte. „Auf Gelsungen, der fürstlichen Domäne, die ich viele Jahre hindurch in Pacht gehabt habe, ist mir die Furcht, durch fremdes Gesindel bestohlen zu werden, nie in den Sinn gekommen,“ fuhr er fort und rieb sich unter einer schmerzhaften Grimasse das eine Knie. „Dort hatten wir unsere Appartements in der Beletage und das Herrenhaus wimmelte von unserer zahlreichen Dienerschaft. Hier in der Einsamkeit ist das freilich anders; man hat

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_075.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)