Seite:Die Gartenlaube (1881) 067.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


dieser vorsorglichen Stiftung sprechen und ihre möglichst große Verbreitung wünschenswerth erscheinen lassen.

Als wir vor längerer Zeit einige Kinder Sparhefte anfertigen ließen, um uns zu überzeugen, ob sie den gestellten Ansprüchen genügen könnten, und als wir ihnen den Zweck der Schulsparcasse erklärten, da baten sie uns dringend und wiederholt, wir möchten unseren Einfluß dahin verwenden, daß auch in ihren Schulen recht bald solche Sparcassen eröffnet würden. Wir gaben das Versprechen, dahin zu wirken – und vielleicht gelingt es der Presse, die Gemüther zu erwecken, Bürger und Behörden, Väter und Lehrer dazu zu bewegen, daß sie die Kinder in dieser ernsten Zeit socialer Kämpfe zur Arbeit und zur Sparsamkeit erziehen.

Valerius.




Eine Stunde bei Friedrich Spielhagen.
Von Wilhelm Goldbaum.

Der Sommer des verflossenen Jahres wird mir unvergeßlich bleiben, er erfüllte mir den Wunsch, mit bedeutenden Menschen Verkehr zu pflegen, nach deren persönlicher Bekanntschaft ich mich lange gesehnt hatte.

Nicht Jedermann hegt derartige Wünsche, und Mancher wohl schätzt ihre Erfüllung sogar gering. Ich wundere mich darüber nicht, verstehe vielmehr, wie man entweder wegen der Gefahr, einem Größenculte zu verfallen oder wegen der noch schlimmeren der Enttäuschung sich ängstlich davor hüten mag, Menschen, die man im Geiste verehrt, persönlich zu begegnen. O, hätte ich doch selbst nicht gar so häufig die peinliche Erfahrung gemacht, wie ein Dichter oder Künstler, dessen Werke mich entzückt hatten, mir nachträglich zu einem Alltagsgeschöpfe zusammenschrumpfte, da ein heimtückischer Zufall mir ihn von Angesicht zu Augesicht gegenüberstellte! Steht es so, fragte ich mich dann wohl, mit dem Dichterworte: Es ist der Geist, der sich den Körper baut? Und doch, wenn man, wie ich, von berufswegen in einem gewissen Verhältnisse zur Politik, zur Literatur und Kunst steckt, wenn man jahraus jahrein liest und liest, schaut und schaut, um literarischen und künstlerischen Individualitäten auf den Grund ihres Wesens zu kommen, so folgt man immer wieder der Verlockung, das Buch oder Bild, welches man kennt, an seinem Schöpfer zu messen. Wie etwa, um Kleines mit Großem zu vergleichen, ein Menschenkind nichts sehnlicher zu wünschen vermöchte, als zu der Welt, die es kennt, nun auch deren Schöpfer von Angesicht zu sehen. Ja, es ist ein erhabenes Geheimniß um das Schaffen, die Dichter und Künstler haben es selbst noch nicht ergründet; es lebt in ihnen und herrscht über sie, ohne viel nach ihnen zu fragen. Und oft genug ist es so traumhaft, daß es sich nicht einmal sichtlich ausprägt in Jenen, welche es beseelt. Dann geschieht es wohl, daß ein begnadeter Poet das Aussehen und Wesen eines Spießbürgers, ein genialer Künstler die Physiognomie eines Tagelöhners hat. Und so freilich ist es mehr ein Unbehagen als eine Freude, welche an Dichter- und Künstlerbegegnungen haftet.

Doch getrost, wenn die Enttäuschung die Regel ist, so giebt es auch der Ausnahmen eine Fülle, und was mich betrifft, so werde ich mir das Vergnügen niemals versagen, freudigen Dankes voll von jeder Ausnahme zu erzählen, der ich begegne. Der Corse Napoleon hat doch trefflich verstanden, was es bedeute, einen großen Menschen zu sehen. Als er Goethe kennen gelernt hatte, sagte er bewundernd: Voilà un homme.

Mit solchen Anschaungen als Gast in Berlin zu weilen, diesem Mittelpunkte, der immer mehr nach dem Vorbilde von Paris zur deutschen Metropole auch in literarischer und künstlerischer Hinsicht sich erweitert, das hat seinen großen Reiz und auch sein großes Mißbehagen, die Enttäuschung ist auf allen Gassen zu haben, die Erfüllung auf wenigen. Ich erfuhr es im verflossenen Monat Juni, aber ich berichte für jetzt nur von einer der Erfüllungen. Von den anderen und auch von den Enttäuschungen vielleicht ein anderes Mal!

Es ist nach einer regnerischen Woche endlich wieder einmal ein milder, weicher, träumerischer Sommertag, eigentlich ein verspäteter Frühlingstag. Ich habe, dem Lärm unter den Linden entweichend, das Brandenburger Thor passirt und wandere durch den Thiergarten, im Schatten der Bäume. Mein Ziel ist die Hohenzollerstraße, die weit draußen hereinmündet in das grüne Eiland, das, wie kein anderes, still und erquicklich sich streckt inmitten großstädtischer Bewegung. Dort wohnt Friedrich Spielhagen, dessen letztes Buch mit dem schönen Titel „Quisisana“ ich kurz vorher gelesen habe. Und da ich ihn noch nicht persönlich kenne, so ist es begreiflich, daß mir, bevor ich an seine Thür klopfe, seine schriftstellerische Persönlichkeit, wie ich sie mir aus seinen Werken gestaltet, vor Blick und Gedanken schwebt, gleichsam um sich zu verabschieden, da sie von dem Bilde der wirklichen Persönlichkeit in Bälde abgelöst werden soll. Werde ich bei dem Tausche gewinnen oder verlieren?

Die Generation, der ich angehöre, war, als sie zu lesen anfing, glücklich genug, unter drei hervorragenden vaterländischen Romandichtern wählen zu können. Gustav Freytag’s „Soll und Haben“, Karl Gutzkow’s „Zauberer von Rom“, Friedrich Spielhagen’s „Problematische Naturen“ beherrschten das Interesse der Leserwelt. Aber uns jungen Leuten war Freytag zu reif, Gutzkow zu sehr zerrissen, wir bedurften einer Nährung für unseren Enthusiasmus. Und diese fanden wir bei Spielhagen. So wie für die „Problematischen Naturen“ ist seit jenen Tagen nicht wieder für einen Roman geschwärmt worden. Wir liebten in diesem Oswald Stein ein Stück von uns selbst, gaben dem Baron Oldenburg, wie er, unsere Seele hin, ergötzten uns an diesem Cloten, dem Junker, der gerade das hohe Roß im Staate ritt. Und wie viele Mädchen, die damals geboren wurden, erhielten den Namen Melitta!

Ach, Spielhagen hat vor zwanzig Jahren voraus geahnt, in welcher Richtung das geistige Leben der Nation nach deren vollbrachter äußerer Einigung sich bewegen würde, und bitter genug klang sein Urtheil über die Zukunft. In demjenigen seiner Romane, welcher am schroffsten politischer Tendenz gewidmet ist, in dem Romane „In Reih’ und Glied“, ist es ein Dichter, Walter Gutmann, der, humanistischen Studien ergeben, im politischen Leben die gemeinnützige Wirksamkeit, den Dienst zum Wohle des Ganzen verkörpert, indeß Leo Gutmann, der Vertreter der genialen Gewaltthätigkeit, des isolirten Ehrgeizes und der Herrschsucht, von der Naturwissenschaft ausgegangen ist. Damit soll schwerlich der letzteren ein Makel angeheftet werden, doch es ist für den Dichter charakteristisch, wo er den Dämon unserer Tage sucht.

In den „Problematischen Naturen“ reckt und dehnt es sich wie zu einem gewaltigen Ausholen des von bureaukratischen Fesseln umspannten Armes. Dreiunddreißig Jahre sind vergangen, seitdem das Volk hinauszog, um sein Blut für seine Fürsten zu verspritzen. Man hat ihm Verfassungen versprochen und den Bundestag gegeben, parlamentarische Einrichtungen verheißen und die Karlsbader Beschlüsse über den Nacken geworfen. Dann hat Paris seine Julirevolution gemacht, die deutschen Poeten haben ihre Freiheitslieder gesungen, die Burschenschafter sind wie das Wild auf dem Felde gehetzt und verfolgt worden, Friedrich Wilhelm der Vierte von Preußen hat sich geweigert, zwischen sich und sein Volk ein „Stück weißes Papier“ schieben zu lassen Die Menschen wissen nicht, was sie wollen aber sie wissen, daß sie etwas wollen müssen. So entstehen die „problematischen Naturen“. Die Einen, wie Oswald Stein und Professor Berger, werden durch den Tod auf den Barricaden, die Anderen, wie Baron Oldenburg, durch die Liebe entsühnt. Die Weiber laufen ihnen, wie magnetisch angezogen, dutzendweise in die Arme. Sie taumeln von Begierde zu Genuß und verschmachten im Genuß vor Begierde, genügen keinem Verhältnisse und finden kein Verhältniß genügend, sodaß sie das Leben ohne Genuß und Nutzen verzehren. Das wird gar bald anders werden. Die Märztage werden dem unbestimmten grenzenlosen Sehnen einen festen Inhalt, eine bestimmte Richtung geben. Zwölf Jahre der gewaltthätigsten Reaction werden es nicht hindern, daß die „problematischen Naturen“ sich allmählich in ernste Kämpfer verwandeln, welche in „Reih’ und Glied“ der allgemeinen Wohlfahrt ihre Kraft leihen. Der Militärconflict ist da und mit ihm die sociale Frage. Dort handelt es sich um das Budgetrecht

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_067.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)