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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zusammengesetzt. Einsam, tief einsam ist sie noch heute, wie zu Ulrich’s Zeiten, als noch das Geheul der Wölfe den Knaben erschreckte und ängstigte.

Die Burg an sich ist in sofern interessant, als sie Wohl eine der kleinsten ist, die in Deutschland existiren, und in denen die Urform der Burg am treuesten bewahrt wurde. Man erkennt noch deutlich das Hauptbauwerk des Ganzen, den großen viereckigen Thurm; denn zwei hohe Wände desselben ragen noch zum Himmel empor. In den frühesten Zeiten bestand eine Burg einzig und allein aus einem solchen mächtigen Thurme, in dessen fensterlosem Erdgeschoß die Vorräthe aufgespeichert wurden, während das erste Stockwerk am Tage dem allgemeinen Verkehre und des Nachts dem Gesinde zur Schlafstätte, das zweite Stockwerk dem Burgherrn und der Burgfrau und das dritte den Kindern zur Wohnung diente. Auch für die Burg Steckelberg war gewiß dieser große Thurm lange Zeit das Ein und Alles, bis dann noch ein mäßig großer viereckiger Hofraum mit einer dicken und hohen Mauer umgeben wurde, hinter der wahrscheinlich leichte Viehställe und Wohnungen für die Knechte Platz fanden. Jetzt ist der Raum völlig leer.

Eine wesentliche Erweiterung erfuhr die Burg erst dadurch, daß 1509 der Vater des berühmten Reformationshelden, der ebenfalls den Namen Ulrich führte, neben dem Thurme rechts ein Rondel erbaute, das nun der Veste ein respectableres Ansehen gab und sicherlich auch die Wohnräume erweiterte, da nun gewiß sämmtliche Waffen, die Rüstungen, Pulvervorräthe etc. in dem Neubau aufbewahrt wurden. Ueber dem spitzbogigen Eingange brachte der Erbauer die Inschrift: „Ulrich von Hutten 1509“ an, die noch heute lesbar ist. Da unser Hutten bereits am 21. April 1488 geboren wurde, so ist er noch in der Enge des Hauptthurmes aufgewachsen und hat sich später nur vorübergehend der Erweiterung freuen können; denn bereits 1499, also in seinem elften Jahre, brachten ihn die Eltern nach der sechs Stunden entfernten Benedictinerabtei Fulda, „aus andächtiger, guter Meinung“, wie er selbst sagt, und „mit dem Vorsatze, daß er darin verharren und ein Mönch sein sollte“. Der aufgeweckte Knabe konnte sich jedoch mit der engen Welt des Klosters nicht befreunden; bald wollte es ihn „bedünken, er wüßte seiner Natur nach in einem andern Stande viel daß Gott gefällig und der Welt nützlich zu wandeln“.

Allein alle Bitten des Knaben bei dem Vorgesetzten des Klosters sowohl, wie bei den Eltern waren erfolglos, und selbst die Warnung des hoch angesehenen und einflußreichen Ritters Eitelworf vom Stein dem Alten gegenüber: „Du wolltest ein solches Talent zu Grunde richten?“ blieb ohne Wirkung. Da brach Ulrich gewaltsam die Fesseln und floh im Herbste 1505, wahrscheinlich mit Hülfe seines Freundes Crotus Rubianus, nach Köln, wo er sich sodann bei der dortigen Universität als Student eintragen ließ. Allein die goldene Freiheit kam ihm theuer zu stehen, der erzürnte Vater versagte dem Entflohenen jede Unterstützung, und dieser hatte nun sehr bald mit Noth und Elend zu kämpfen. Auch auf anderen Universitäten, zu Erfurt, Frankfurt an der Oder, leuchtete ihm kein freundlicher Stern, und zu Rostock sank er sogar bis zum Bettler herab, der kaum seine Blößen zu decken vermochte.

In der Hoffnung, in Süddeutschland günstigere Verhältnisse zu finden, wandte er sich nach Wien, aber auch hier that sich ihm keine Thür auf, so viel er auch anklopfte, und so zog er über die Alpen nach Italien. Dort traf er jedoch die Lage noch mißlicher für sich als in Deutschland; denn allerwärts war Krieg. Um nicht, zu verhungern, trat er daher auf kurze Zeit in das kaiserliche Heer und wanderte dann wieder – es war im Jahre 1513 – in die deutsche Heimath zurück, zurück zur väterlichen Burg. Wie mag dem Armen das Herz beklommen geklopft haben, als er nach jahrelanger Abwesenheit den altbekannten Berg wieder hinaufstieg, ohne auch nur den geringsten Erfolg mit heim bringen zu können! Die Aufnahme, die er fand, war denn auch keineswegs eine freundliche. Er hat sie später getreulich geschildert. Nur seine gute Mutter, Ottilia, scheint ihn thränenden Auges in ihre Arme geschlossen zu haben; die übrigen Mitglieder der Familie, vorab der herbe Vater, empfingen ihn äußerst kühl. Sie sahen ihn wie den verlorenen Sohn an, der es verdiene, zu den Schweinen und Trebern verwiesen zu werden.

Da er keinen Titel mitbrachte, obgleich er auf so und so viel Universitäten gewesen, schien er in ihren Augen seine Zeit verloren zu haben. Auf die Frage eines Dritten, wie man den Heimgekehrten zu betiteln habe, gab einer seiner Verwandten die Antwort: er sei noch nichts. Durch den Vorwand, daß er ja nichts gelernt habe und nichts sei, wollte man es beschönigen, daß man ihn bisher hatte darben lassen und auch ferner nichts zur Erfüllung seiner Wünsche thun werde. Allein bald sollte es sich zeigen, daß der verachtete und bei Seite geschobene Ulrich doch ein sehr schätzenswerthes Glied der Familie war. Ein Vetter des Hauses, ein Hans von Hutten, war von dem Herzoge Ulrich von Württemberg meuchlings umgebracht worden; darauf sagten, die Schmach zu rächen, alle Hutten mit sammt der schwäbischen Ritterschaft, dem Herzoge den Frieden auf, und Ulrich machte sich zum Organe der Empörten, indem er mit genialer Beredsamkeit das Verbrechen des Herzogs vor aller Welt in das rechte Licht stellte und dadurch der Sache der Familie erhebliche Dienste leistete. Das söhnte diese wieder mit ihm aus, und der Vater gewährte ihm sogar die nöthigen Geldmittel, damit er wieder nach Italien gehen und dort, vornehmlich in Rom, seine Rechtsstudien aufnehmen und fortsetzen könnte. Im Herbste 1515 verließ er daher die Burg Steckelberg wieder und widmete sich in Rom und Bologna eifrig den Studien, daneben pflegte er aber auch die Dichtkunst und erwarb sich damit bald einen so großen Ruf, daß er auf seiner Rückreise in die Heimath, am 12. Juli 1517, zu Augsburg vom Kaiser Maximilian in Gegenwart des Hofstaates feierlich zum Dichter gekrönt wurde. Den Lorbeerkranz, welchen der Kaiser Ulrich auf’s Haupt setzte, hatte die schöne und tugendhafte Constanze Peutinger, die Tochter des gelehrten Patriziers Conrad Peutinger, geflochten. Die Lage Ulrich’s war damit vollständig umgeschaffen; seine Aufnahme daheim war eine ehrenvolle, und auch eine Anstellung am Hofe des aufgeklärten Erzbischofs Albrecht von Mainz fand sich für ihn. Das Hofleben sagte ihm jedoch wenig zu.

„Du fragst,“ schrieb er im Mai 1518 von Mainz aus an Peutinger, „wie das Hofleben mir bekomme? Noch nicht zum Besten. Zwar, was läßt sich nicht ertragen unter einem so echt fürstlichen Herrn, der so human und freigebig ist, wie Erzbischof Albrecht? … Im Uebrigen bin ich jener Dinge äußerst satt: des Dünkels der Hofleute, der glänzenden Versprechungen und ellenlangen Begrüßungen, der hinterlistigen Unterredungen und des leeren Dunstes.“

So oft er daher konnte, entfloh er dem Hofe und wandte sich nach der einsamen Burg Steckelberg, wo er denn auch Muße fand, jene Schriften abzufassen, mit denen er begeistert in die gewaltige Bewegung eintrat, die der Wittenberger Mönch, Doctor Martin Luther, hervorgerufen hatte. Er hatte genugsam erkannt, daß die Italiener unter dem Deckmantel der Religion nur bestrebt waren, Deutschland auszusaugen und die Deutschen zu Knechten herabzuwürdigen, und stimmte daher laut dem Schlachtenruf Luther’s zu.

Seine schneidigsten Hiebe theilte er in dem Dialoge „Vadiscus oder die römische Dreiheit“ (Trias Romana) aus, die er im Februar 1520 auf dem Steckelberg vollendete. Das Buch ist sein Manifest gegen Rom, der Handschuh, den er der Hierarchie hinwarf, sagt Strauß. Und in der That, bitterer ist Rom wohl kaum die Wahrheit gesagt worden. „Drei Dinge,“ ruft der Verfasser aus, „erhalten Rom bei seinen Würden: das Ansehen des Papstes, die Gebeine der Heiligen und der Ablaßkram. Drei Dinge sind ohne Zahl in Rom: gemeine Frauen, Pfaffen und Schreiber. Drei Dinge dagegen sind aus Rom verbannt: Einfalt, Mäßigkeit und Frömmigkeit. Drei Dinge begehrt Jedermann zu Rom: kurze Messen, alt Gold und wollüstiges Leben. Von dreien hingegen hört man daselbst nicht gern: von einem allgemeinen Concil, von Reformation des geistlichen Standes und daß die Deutschen anfangen klug zu werden. Mit drei Dingen handeln die Römer: mit Christo, mit geistlichen Lehen und mit Weibern. Mit drei Dingen sind sie nicht zu ersättigen: mit Geld für Bischofsmäntel, Papstmonaten und Annaten.[1] Drei Dinge macht Rom zunichte: das gute Gewissen, die Andacht und den Eid. Drei Dinge pflegen die Pilger aus Rom zurückzubringen: unreine Gewissen, böse Magen und leere Beutel. Drei Dinge haben bisher Deutschland nicht klug werden lassen: der Stumpfsinn der Fürsten, der Verfall der Wissenschaft und der Aberglaube des Volkes. Drei Dinge fürchten sie zu Rom am meisten: daß die Fürsten einig werden, daß dem Volke die Augen aufgehen und daß ihre Betrügereien an den Tag kommen. Und nur durch die drei Dinge

  1. Abgaben, welche monatlich und jährlich an die päpstliche Kammer von Bischöfen und Aebten entrichtet wurden.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_062.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)