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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

blinkt doch, und ein ellenlanges schwarzes Sammetband wird auch Einer sein Lebtag nicht für einen dürren Heuhalm ansehen. … Und ich hab’ doch auch mit meinen eigenen Ohren gehört, wie Sie zu Ihrer Mama sagten, Sie hätten gestern Abend, wie immer, den Henkelducaten in die Glasschale auf der Kommode gelegt. Nun soll’s auf einmal nicht wahr sein, weil Alle auf dem Gute sagen, kein Anderer könnte den Ducaten gemaust haben, als der – na, ich will mir den Mund nicht wieder verbrennen.“

„Das ist ganz schlecht von Dir, Röse,“ rief das junge Mädchen fast heftig – die kindliche Stimme rang hörbar mit aufsteigenden Thränen. „Ein Mensch mit solch einem guten Gesicht stiehlt nicht – so etwas Schlimmes denke ich überhaupt von Niemand.“

„So? Warum hat er sich denn nachher auf französisch aus dem Staube gemacht? So in aller Frühe, ohne ,Hab’ Dank!’ zu sagen? Na, meinetwegen auch! Was geht’s denn mich an? Es kann mir egal sein, wo der Henkelducaten logirt – ich hab’ ihn nicht.“

Damit legte sie die Hacke über die Schulter und marschirte mit ihrer Gefährtin den Weg am Kornfeld entlang, während Luise sichtlich niedergeschlagen in das Haus zurückkehrte.

„Ja, sehen Sie, Herr Markus, das hat man nun von seinem Gutsein,“ sagte Frau Griebel, als der Gutsherr herunter kam und sie in der Küche aufsuchte. Sie steckte mit beiden Händen in einer Mulde voll Kuchenteig und war durchaus nicht rosiger Laune. „Mein Mann lacht mich aus, weil ich mich ärgere, und fragt auch noch – Sie wissen ja, was er immer für dumme Späßchen macht – ob ich auf einen Handkuß für das Logement in der Soldatenkammer gerechnet hätte? Na, ja, fort ist er, der dumme Mensch. Er muß mit dem ersten Hahnenschrei zum Fenster hinaus sein und hat durch den Hinterhof das Weite gesucht. Hübsch ist das nicht von so ’nem jungen Burschen, den seine eigene Mutter nicht besser hätte abwarten können, als er’s bei uns gehabt hat – solch ein Blödsinn ärgert Einen. Und nun macht mir meine Luise auch noch den Streich und verliert ihren schönen Henkelducaten, den ihr die selige Frau Oberforstmeisterin geschenkt hat. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Unser Gesinde munkelt, wir hätten uns den Spitzbuben selbst in’s Haus geholt – die grobe Gesellschaft lacht uns aus, und das schadet dem Ansehen.“

„Hätten wir doch den Zankapfel am Wege liegen lassen!“ meinte Herr Markus mit dem Lächeln des Schalkes.

„I Gott bewahre!“ fuhr sie böse herum. „Da kennen Sie die Griebel aber schlecht! Ein ander Mal wird’s wieder gerade so gemacht. Ich ärgere mich nur, daß sich der Mensch selbst in das Renommée gebracht hat; denn er war guter Leute Kind – das sah ein Blinder – und hat mir’s ordentlich angethan mit seinem traurigen Wesen. Da sehen Sie sich einmal meine Kleine an!“ – sie nickte über die Schulter nach Luise hin, die mit gesenktem Kopf am Küchentisch stand und Mandeln schnitt – „der wird heute der frische Kuchen auch nicht schmecken. Die rothen Augen gelten nicht allein dem Henkelducaten – ’s ist ein kleines, dummes Ding mit einem butterweichen Herzchen. Das Mitleid mit dem armen, verhungerten Kerl, der nun auch noch gemaust haben soll, treibt ihr immer wieder das Wasser in die Augen.“

Der Gutsherr lachte verstohlen auf – das blonde Köpfchen dort duckte sich noch tiefer über das klappernde Messer.

Er verließ die Küche, um nach dem Vorwerk zu gehen – und er ging in recht beschleunigtem Tempo. Wer ihm am Abend seiner Ankunft gesagt hätte, daß er es eines Tages so eilig haben würde mit diesem „Pflichtgang“, ja, daß es ihm sogar unerläßlich scheine, die schönsten Wildlederhandschuhe, die er für den Besuch der Sehenswürdigkeiten Nürnbergs bestimmt, eigens zu diesem Zweck hervorzusuchen! Er schritt das Fichtengehölz entlang, hinter welchem das Vorwerk lag. Zu seiner Linken wogten die Kornbreiten in dichter Ueppigkeit – die Halmhöhe reichte ihm schon nahezu an die Schulter. Das Kartoffelkraut stand wie ein Wald und war dem Blühen nahe, und auf dem goldprangenden Rübsenfeld schwebte ein traumhaftes Summen, und schwerbeladene Bienen surrten vorüber nach den heimischen Stöcken auf dem Gute. Der Hirschwinkel hatte wirklich etwas von dem gottgesegneten biblischen Lande, in welchem einst Milch und Honig geflossen, und doch war es dem Mangel gelungen, auf dem Gelände Fuß zu fassen.

Dort, jenseits des Gehölzes, begann seine Herrschaft. Das Getreide stand kläglich dünn – die Quecken krochen in die Breschen und breiteten ihre tauben Aehren aus. Der Viehstand auf dem Vorwerk mußte auf das Minimum reducirt sein; bei dem ausgesogenen Boden ringsum half kein Fleiß, auch wenn die Zeit des Forstwärters und die Kraft der helfenden Magd zur pünktlichen Bewirthschaftung der Felder ausgereicht hätten. Sollte das Vermächtniß der verstorbenen Frau Oberforstmeisterin seinen Zweck erfüllen, dann mußte vor Allem die auf dem Tillröder Gasthof stehende Sparsumme flüssig gemacht und in den verwahrlosten Grundbesitz gesteckt werden. Ob wohl das Fräulein Gouvernante dafür Verständniß haben würde, oder ob sie nicht vielmehr geneigt war, mit dem Geld sofort die an den Juden verkauften seidenen Kleider zu ersetzen und überhaupt den Luxus wieder um sich zu verbreiten, an den sie sich in dem Frankfurter Generalshause gewöhnt zu haben schien? Den Aeußerungen der Dienerin nach mochte sie in dem Punkte bedenklich mit ihrem Herrn Onkel, dem Amtmann, harmoniren.

Nun, er sollte sie ja in den nächsten Augenblicken von Angesicht zu Angesicht sehen. Und er wollte die Augen offen halten; die Dame sollte ihm nicht einen Pfennig für ihre aristokratischen Gewohnheiten ablocken, und wenn sie noch so weltgewandt und hübsch bezaubernden Wesens war. Er war gefeit gegen diese Gouvernanten-Demuth, hinter der ja, wie er zur Genüge wußte, stets die Begehrlichkeit lauerte.

(Fortsetzung folgt.)




Die Stammburg Ulrich von Hutten’s.

Zugleich ein Blick auf das Leben des Helden.

Wohl selten nur wirft einmal einer der vielen Reisenden, die tagtäglich die große Leipzig-Frankfurter Eisenstraße passiren, hinter der Station Elm einen flüchtigen Wanderblick auf eine kleine Ruine, die sich auf einige Minuten weit hinten auf einer bewaldeten Bergkuppe zeigt. Und dennoch ist jenes verfallene kleine Bergnest die Geburtsstätte eines der hervorragendsten Streiter der Reformationszeit: Ulrich von Hutten’s.

Die Fußwanderung zur Burg Steckelberg beginnt noch nicht von Elm, sondern erst von Vollmerz aus, der ersten Station des sich von Elm abzweigenden und nach Würzburg führenden Schienenstranges. Der Weg ist ziemlich beschwerlich, wenn auch von prächtigen Buchen und Tannen beschattet. Vor Jahrzehnten ist er wohl einmal etwas geebnet worden, aber seitdem scheint sich Niemand wieder seiner angenommen zu haben; was lohnt es sich auch, schreitet doch nur äußerst selten ein Fuß über ihn dahin, um die vergessene historische Stätte zu besuchen.

Der Schweiß perlte mir unter dem Hute hervor, als ich an einem freundlichen Herbsttage des vorigen Jahres die Höhe erreichte, aber schnell waren alle Mühen vergessen, denn das Bild, das sich mir darbot, war weit freundlicher, als ich erwartet hatte. Die kleine Burg machte hier oben doch einen stattlicheren Eindruck, als von unten, von wo aus mächtige Buchen den größten Theil des alten Baues verdecken, und die Aussicht auf die sonnenbeschienenen, aber von einem zarten, süß-melancholischen Herbstdufte überschleierten Thäler war viel reizvoller, als nach der Schilderung des Meisters David Friedrich Strauß, des berufenen Biographen Ulrich’s, zu vermuthen gewesen. Dagegen fand ich, daß Strauß die Lage der Burg sehr treffend bezeichnet hat. Da, wo Franken- und Hessenland zusammenstoßen, sagt er, zwischen dem Vogelsberge, dem Spessart und der Rhön, unfern den Quellen der Kinzig, liegt die Burg, und in der That macht die Landschaft den Eindruck, als sei sie aus den Ausläufern der verschiedensten Gebirge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_060.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2018)