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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

kühlen Zimmer bedienen lassen ist doch tausendmal wünschenswerther, als in’s Heu zu gehen und bei harter Arbeit von der Sonnenhitze ausgedörrt zu werden?“

„Meinen Sie, das – das Fräulein arbeite nicht?“

„Mein Gott, ja!“ versetzte er in persiflirendem Tone. „Ich bin sogar überzeugt, daß sie mit behandschuhten Händen sehr fleißig Feldblumen pflückt und sie als geschmackvolle Sträußchen für Albumblätter trocknet oder in Wasserfarben malt; sie wird Kanten sticken, schreiben und lesen und ihre Fingerübungen auf dem Clavier mit grausamer Pünktlichkeit zum Genuß aller nervengereizten Menschen herunterspielen. Nun, stimmt es?“

„Zum Theil, ja!“ bestätigte sie, wobei sie den Strohhut noch tiefer in die Stirn zog. Es waren hübsche, schlanke, aber tiefgebräunte Finger, die nach dem Hutrand griffen.

„Siehst Du?“ sagte er mit muthwilligem Lächeln. „Ich glaube auch, daß sie sehr gut zu beurtheilen versteht, ob Du in ihrem Zimmer gründlich abgestäubt und die Ordnung wieder hergestellt hast; sie wird es ebenso wohl zu würdigen wissen, wenn Dir die süße Mehlspeise gerathen und der Braten nicht angebrannt ist.“

Ein leises Auflachen kam unter dem weißen Tuch hervor. „Ich weiß nur, daß sie sehr selten zufrieden mit mir ist,“ sagte das Mädchen gleich darauf mit Bestimmtheit.

„Du wirst es an der gebührenden Unterwürfigkeit fehlen lassen, meine Kleine. Quält Dich das Fräulein Blaustrumpf dafür?“

„Dafür nicht, aber sie macht mir oft die bittersten Vorwürfe, wenn meine Kraft mit dem Willen durchaus nicht Schritt halten will.“

Er ließ die Hand mit der Cigarre sinken, und seine Augen suchten mit dem Ausdruck von Befremdung unter Tuch und Hutschirm zu dringen. „Du sprichst ja merkwürdig gewählt für ein Mädchen Deines Standes,“ sagte er aufhorchend.

Sie fuhr erschreckt zusammen und streckte ihm die Hand wie zur Abwehr entgegen.

„Ach ja, ich vergaß – Du bist ja kein Dorfkind,“ setzte er hinzu und strich sich über die Stirn und sein reiches Haar. „Hast in der Stadt, in gutem Haus gedient, und da ist etwas von den herrschaftlichen Manieren hängen gebliehen. Deine junge Dame hat Dich ja mitgebracht, wie ich höre – warst wohl in einem Hause mit ihr?“

Das Mädchen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. „Nun ja, wir waren in einem Hause – im Hause des Generals von Guseck in Frankfurt,“ sagte sie und griff mit weggewandtem Gesicht mechanisch in das Halmengewoge des Kornfeldes, neben welchem sie stand. „Ich war stets mit ihr zusammen; ich leiste ihr alle Kammerjungferdienste, wie sie solch ein verwöhntes ,Fräulein Gouvernante’ braucht, und weil ich unzertrennlich von ihr bin –“

„So bist Du auch mit hierher gegangen, direct in die Armseligkeit hinein,“ fiel er vervollständigend ein. „Du bist ein wunderliches Mädchen, behauptest, Du seiest nicht für Deine junge Dame eingenommen, und gehst doch mit ihr, auf gut Deutsch gesagt, durch ,Dick und Dünn’. Es muß ein Zauber, so etwas von der dämonischen Macht des Rattenfängers von Hameln, in ihr stecken. Ist sie hübsch?“

Sie bückte sich über einen Aehrenbüschel, den sie in der Hand zusammensaßte, und zuckte die Achseln. „Was Einem zu nahe steht, beurtheilt man selten richtig –“

„Sphinx!“ rief er, indem er ihr näher trat. „Du möchtest sie mir interessant machen mit Deinen sibyllenhaften Antworten.“ Er lachte frisch, aber sehr spöttisch auf. „Verlorene Liebesmühe, meine Kleine! Ihr Gouvernanten-Nimbus reizt mich nicht; ich werde ihr aus dem Wege gehen, wo ich kann. Aber ich habe ein anderes Verlangen – ihrem ,unzertrennlichen’ Schatten möchte ich in die Augen sehen.“

Ehe sie sich dessen versah, hatte er mit kühner Hand Hutschirm und Tuch erfaßt und bog ihr beides aus dem Gesicht, aber in demselben Moment auch trat er in einer Art verlegenen Erschreckens von ihr weg – er hatte in ein Antlitz von überraschender Schönheit gesehen.

Sie zog mit einem Laut der Entrüstung die Verhüllung wieder über die Stirn und floh an ihm vorüber. In einiger Entfernung blieb sie indessen noch einmal stehen und sagte mit bebender Stimme über die Schulter nach ihm zurück: „Sie verspotten die Dame auf dem Vorwerk um ihrer geistigen Beschäftigung willen, und mir haben Sie eben durch Ihr Benehmen gezeigt, wie tief die Frau in Ihren Augen erniedrigt wird durch die Arbeit, der ich mich unterziehe – ist das Männerurtheil?“

Damit wandte sie ihm wieder den Rücken und eilte so rasch weiter, daß sie binnen wenigen Augenblicken seinen Augen entschwunden war.

Er biß sich zornig auf die Unterlippe und schleuderte die Cigarre weithin auf den Wiesenrasen. Er begriff jetzt sich und sein Thun selbst nicht mehr, und seine Stiefmutter, die so oft schalt und böse wurde, wenn er sich über alle jungen Damen ihrer Kreise lustig machte und es mit boshaftem Spotte betonte, daß es ihm stets Ueberwindung koste, die „geschnürten Mamsellchen“ auch nur beim Tanzen zu berühren, sie würde wohl große Augen gemacht haben angesichts der beschämenden Situation, in die er sich selbst gebracht hatte. Aber es war vorhin wie ein Rausch über ihn gekommen, und das Berückende hatte in der Stimme gelegen, die aus dem mystischen Dunkel der Umhüllung heraus geklungen hatte, wie ein interessantes Räthsel.

Ebenso rasch wie er herunter gekommen war, sprang er das Balcontreppchen wieder hinauf, warf die Glasthür heftig hinter sich zu und trat grollend an eines der Fenster. Ach was, weshalb alterirte er sich denn eigentlich so in tiefster Seele? Von all seinen Freunden verschmähte es Keiner, ein hübsches Stubenmädchen oder Kammerkätzchen unter das Kinn zu fassen, gelegentlich auch einen Kuß auf eine runde, rosige Wange zu drücken, und wem wäre es je eingefallen, darin etwas Deprimirendes für den Attentäter zu finden, selbst wenn die Betroffenen protestirten und sich sträubten? War es ein Verbrechen, daß er den scheußlichen groben Strohhut und das „Scheuleder“ berührt hatte? – Einzig und allein sein Blick war es gewesen, um deswillen er zurechtgewiesen worden war, wie ein Profaner, der unerlaubter Weise in das Allerheiligste dringt. Das Mädchen arbeitete auf dem Felde – mußte sie sich nicht auch dreiste Blicke gefallen lassen von jedem Handwerksburschen, der zu ihr trat, um nach dem rechten Weg zu fragen? … Aber freilich, sie war ja auch „Kammerjungfer“ auf dem Vorwerke; „die Cultur hatte sie beleckt“; sie besaß unleugbar scharfen Verstand und von Natur aus Schlagfertigkeit des Geistes; sie gerirte sich deshalb nahezu als Familienangehörige des Amtmanns, obgleich sie das Grünfutter auf dem Kopfe heimschleppen und mit Hacke und Rechen auf den Aeckern und Wiesen hantiren mußte.

So sehr er sich auch bemühte, die Sache von der humoristischen Seite zu nehmen und schließlich darüber zu lachen, er wurde doch nicht Herr über das widerwärtige Gefühl, eine Lection erhalten zu haben, die ihn zeitlebens ärgern mußte. Für heute wenigstens war ihm die Laune total verdorben.


5.

Herr Peter Griebel unterbrach dieses unerquickliche Nachsinnen. Er kam vom Felde heim und erzählte dem Gutsherrn unter vergnüglichem Händereiben, daß die Absteckpfähle der Eisenbahn-Ingenieure drüben im Wiesengrunde eingerammt würden – der Ackerboden bleibe unberührt seitwärts liegen. Dagegen habe der Amtmann Franz einen „Mordspectakel“ erhoben – Peter Griebel hatte in ziemlicher Entfernung seinen Protest voll Gift und Galle, sein Poltern und Raisonniren mit angehört. Der Schienenweg sollte aber auch direct durch den Vorwerkshof und so nahe an der südlichen Ecke des Wohnhauses hinlaufen, daß der alte, morsche Bau in wenigen Jahren nothwendig als Schutthaufen in sich zusammenstürzen mußte.

Bei dieser Meldung erinnerte sich Herr Markus des Briefes, den er in die Tasche gesteckt und über dem Recontre dem Mädchen vergessen hatte. Er erbrach ihn und überflog halb belustigt, halb geärgert den Inhalt – die Leute auf dem Vorwerke waren doch sammt und sonders, vom Herrn an bis auf die Magd herab, unverbesserlich vom Hochmuthsteufel besessen, eine merkwürdige Gesellschaft, ein lächerliches Gemisch von Schwindelei, Anmaßung und Prüderie! –

Der Amtmann ignorirte vollständig die Thatsache, daß ihm durch den Rechtsanwalt des Erben der Pachthof seit Jahresfrist gekündigt worden war. Er protestirte in kategorischer Weise gegen das laxe Verhalten des Gutsherrn, der Eisenbahnfrage gegenüber,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_042.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)