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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


wie es unsere heutige Abbildung zeigt, hergerichtet, wo Begünstigte, die durch directe Beziehungen oder Empfehlungen Eintritt erlangten, das beliebte Bier aus directer Quelle schöpfen durften. Aber dieser alte Brauch ist jetzt eingestellt worden, wie denn das Münchener Leben mehr und mehr von seiner ursprünglichen Eigenart verliert. Die Klosterbrauerei producirt nur noch für den eigenen Bedarf und für den alten, in humanem Sinne ausgeübten Brauch der Barmherzigkeit. Noch heute werden in dem langen Gange des Klosters, der sich zu ebener Erde vor dem Eintretenden öffnet, Bedürftige ohne Unterschied des Alters und Geschlechts täglich zu gewissen Stunden mit dem durch seine Güte und Reinheit ausgezeichneten Bier erquickt. Die Patres selbst bedienen sie; in langer Reihe sitzen hier, wie unser größeres Bild darthut, die Stiefkinder des Glückes auf Holzbänken beisammen, Jedes den Krug erwartungsvoll in der Hand. Ueber ihnen leuchten Heiligenbilder von der Wand herab, und wenn durch die hohen Scheiben ein milder Sonnenstrahl diese Fülle menschlichen Elends verklärt, mag Mancher unter den Armen bei dem kräftigen Gebräu der Franziskanermönche wohl eine Weile seines Leids vergessen. So wirkt der einst so mächtige Orden in seinen Ueberbleibseln noch heute fort; ein Stück alter Culturgeschichte, das, an die Vergänglichkeit alles Irdischen mahnend, in das vorwärts stürmende Leben der Gegenwart hineinragt.

Ernst Koppel.




Das singende Thal bei Thronecken.

Von Carus Sterne.

Man höret oft im fernen Wald
Von oben her ein dumpfes Läuten,
Doch Niemand weiß, von wann es hallt,
Und kaum die Sage kann es deuten.
                         Uhland.

Im December 1827 veröffentlichte der gelehrte, in seinen älteren Jahren etwas zum Mysticismus, neigende Tübinger Professor Autenrieth im „Morgenblatt“ einen Vortrag über „Stimmen aus der Höhe“, in welchem allerlei unerklärte Naturtöne in dem Sinne behandelt wurden, als offenbarten sich dem höheren Sinne des Ohres in ihnen überirdische Mächte, die unsichtbar über unseren Häuptern dahinziehen. Eine Hauptrolle spielte dabei die sogenannte „Teufelsstimme von Ceylon“, ein Entsetzen einflößendes Geschrei, welches man daselbst des Nachts hoch in den Wolken vernimmt und von welchem, im Gegensatze zu der „Harmonie der Sphären“ und dem bei Shakespeare mit sanften Accorden daherziehenden Luftgeiste Ariel, dem Leser nahegelegt wird zu glauben, es könne sich dabei doch vielleicht um die Raserei des bekanntlich auf dieser Insel verehrten Beherrschers der Finsterniß handeln. Schleiden hat sich in einem Aufsatze seiner „Studien“, der den Titel trägt: „Die Natur der Töne und die Töne der Natur“, die Mühe gegeben, den Quellen nachzugehen, und er hat aus dem Tagebuche des Reisenden Davy, eines Bruders des berühmten englischen Chemikers, dessen Nachrichten von Autenrieth sehr mystisch entstellt wiedergegeben worden waren, gezeigt, daß es sich bei der sogenannten „Teufelsstimme“ nur um den unangenehmen Schrei eines Nachtvogels handele, den die Eingeborenen in ähnlicher Weise als unheilverkündend betrachten, wie unsere Landleute den Schrei des Uhus.

Autenrieth’s Artikel übte eine ungemeine Nachwirkung, und noch heute scheinen die „geheimnißvollen Naturtöne“ an Stelle der etwas aus der Mode gekommenen Gespenstergeschichten eine sehr bedeutende Rolle in der Journalliteratur zu spielen. Noch vor wenigen Monaten sahen wir den Geist Autenrieth’s wieder einmal leibhaftig und zwar in einer naturhistorischen Zeitschrift (!) spuken, und das Schönste war, daß darin nunmehr Schleiden als derjenige bezeichnet wurde, welcher die Ceyloner Teufelsstimme für etwas Unbegreifliches erklärt hätte, während dem alten Autenrieth und dem noch tiefer in Mysticismus versunkenen G. H. von Schubert nachgerühmt wurde, daß sie nach einer natürlichen Entstehungsursache geforscht hätten. Wir freuen uns im Nachfolgenden über die vorurtheilsfreiere Untersuchung einer nicht minder ergreifenden und das Gemüth aufregenden akustischen Erscheinung berichten zu können, die denn auch eine physikalische Erklärung derselben anbahnen dürfte.

Von der Memnonssäule des alten Theben an, zu welcher die römischen Touristen wallfahrteten, bis zu den versunkenen Schlössern und Kirchen des Mittelalters, deren Glocken man um Mitternacht aus der Tiefe erschallen hört, wird über eine Menge von akustischen Eigenthümlichkeiten berichtet, die sich an ganz bestimmte Oertlichkeiten knüpfen. So wird ein Aussichtspunkt auf einem der Vorberge der Sierra nevada, von welchem man eine entzückende Aussicht auf Granada und die Alhambra genießt, der letzte Seufzer des Mauren (el Ultimo sospiro del Moro) genannt, weil dort die Klage Boabdil’s, des von Ferdinand dem Katholischen aus seiner herrlichen Residenz vertriebenen Maurenfürsten, bis auf den heutigen Tag fortdauern soll, wie es G. Pfitzer in dem Schlußverse seines diese Sage behandelnden Gedichtes ausdrückt:

„Und der letzte Seufzer des Mauren
Tönt auf dem Berge noch immer fort.“

Wir werden eine Reihe ähnlicher tonerfüllter Oertlichkeiten weiterhin zu erwähnen haben, nachdem wir dem Leser über die kürzliche Wiederentdeckung eines ähnlichen „singenden Thales“ in unserem deutschen Vaterlande berichtet haben werden. Wir meinen das Röderbachthal, eine der Terrainfalten, welche den im rheinischen Hochwald, zwischen Nahe und Mosel belegenen höchsten Berg der Rheinprovinz, den Erbeskopf umlagern, und welchem Herr H. Reuleaux kürzlich eine lesenswerthe Schilderung[1] gewidmet hat. Wie sich erst nachträglich herausstellte, ist dieses „singende Thal“ schon früher als solches bekannt gewesen, und der jetzige Bürgermeister von Remagen, Herr von Lassaulx, hatte daselbst auf einer Jagd schon in den sechsziger Jahren langgedehnte tiefe Glockentöne vernommen, die einen starken und unvergeßlichen Eindruck auf sein Gemüth machten, sodaß er dem damaligen Oberförster Helbron von Thronecken, dessen Gast er war, davon Mittheilung machte, und die Antwort erhielt, diese seltsamen Klänge seien in „seinem singenden Thale“, das heißt in eben diesem Röderbachthale, schon öfter wahrgenommen worden.

Auf einer am 21. November 1877 abgehaltenen Hirschjagd geschah es nun auch, daß unser Gewährsmann die Musik des singenden Thales von Neuem vernahm. Das Wetter war klar, und mit gleichmäßigen ruhigen Brisen eines nicht heftigen Südwestwindes wechselten unvermittelt auftretende kurze Stöße ab.

Schon bei der Fahrt den Hochwald hinan hörte er tiefe, glockenartig verhallende Töne, die er dem Geläute eines nahen Dorfes zuschrieb, obwohl in der ganzen Gegend, wie sich nachher herausstellte, gar keine größeren Glocken vorhanden sind. Nachher auf dem ihm für die Treibjagd angewiesenen Platze an der einen Seitenwand des waldbedeckten, muldenartig bis zur Höhe des Gebirgsrückens aufsteigenden Thales angelangt, vernahm er die Klänge, die sich bisweilen zu einer Art Sphärenmusik verbanden, um vieles deutlicher. Doch lassen wir den Beobachter selbst erzählen:

„Gedankenlos anfangs, dann aufmerksamer,“ berichtet er, „hörte ich den Tönen zu und wunderte mich über ihren auffallend reinen Klang, über das ungewöhnlich deutliche, seufzerartige Anschwellen und Verwehen, über die ungemeine Lebhaftigkeit, mit welcher die Töne einander folgten, mit welcher ein Ton den andern drängte, noch ehe dieser ganz verklungen war … in ewiger Wiederholung derselbe einförmige, in seiner Höhe nie, auch nur um Haaresbreite, schwankende oder modulirende Ton.“

Es war, wie nachher durch Vergleichung mit einem Jagdhorn festgestellt wurde, das Keine c, und der Beobachter erhielt den Eindruck, als ob die Töne in der Tiefe der von unten nach oben ziehenden Thalfurche entstünden, dann, mit dem Winde aufsteigend, sich strahlenförmig in den obern Theil des Thales ergössen, aber meist an der gegenüberliegenden Bergwand hinzögen und nur wenige Male nahe bei seinem Standorte vorüberkämen. Der sinnliche Eindruck war der, als ob das tönende Instrument selbst, also die tönende Glocke, in bestimmter, abschätzbarer Richtung vorüberzöge,



  1. „Das singende Thal bei Thronecken.“ Ein Hochwald-Räthsel. Mit einer Karte. Coblenz, Dankert und Gross, 1880.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_034.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2022)