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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

die in grellem Widerspruch zu denen standen, die sie hier vertreten hörte. So lange ihre Mutter lebte, hatte sie nicht an die Zukunft gedacht, sie wußte kaum, daß sie eine reiche Erbin war, und selbst jene kleinen Tändeleien des Herzens waren ihr fremd gebleben, mit welchen sonst die Jugend so gern die Zeit auszufüllen liebt.

Die ernsten Zeitströmungen der letzten Jahre, das Erwachen des mexikanischen Volkes aus dem dumpfen Schlafe, in welchem es eine fanatische Priesterherrschaft, beinahe seit Cortez, gefangen gehalten, hatte ihrer Eltern volle Sympathie in Anspruch genommen und die Tochter, mit so vielen bedeutenden Eigenschaften begabt, fand für die Ausfüllung ihrer Zeit genug Interessantes.

Die ersten Monate nach ihrer Mutter Tod war sie bei einer befreundeten Familie in San Luis Potosi geblieben - dann, als sie nach Mexleo in das Haus ihres Onkels kam, hatte ihre Trauer ihr gestattet, allen Vergnügungen fern zu bleiben, die auch ohne dies während der Herrschaft von Juarez unter der Aristokratie auf ein kleines Maß beschränkt blieben.

Der junge Mann, an dessen Arm Concha zu Tisch gegangen und den man ihr als „Don Miguel Pradel y Rubio“ vorgestellt, war der echte Typus eines mexicanischen Cavaliers. Er überschüttete sie mit Artigkeiten und Schmeicheleien, die Concha, welche an ernstes Denken gewöhnt war, fast lächerlich vorkamen.

General Bazaine brachte eben ein Hoch auf den Kaiser von Frankreich und auf das Wohl der Republik Mexico aus.

Don Miguel bog sich zu seiner Nachbarin.

„Auf das Wohl unseres Landes, Sennorita!“

Concha wollte anstoßen, aber ihre Augen trafen am Ende des zweiten Tisches auf einen Officier in eleganter Uniform, der sie unaufhaltsam fixirte. Ihre Hand bebte, und das Glas fiel klirrend zu Boden.

„Ist Ihnen unwohl geworden, Sennorita?“ fragte Don Miguel besorgt.

„Ich danke, es war nur ein plötzlicher Schwindel – er ist schon vorüber.“ Und abermals suchten ihre Augen unwillkürlich jene Richtung, in welcher der blonde Adjutant saß – der Räuber ihrer Rose. Sie war ärgerlich über sich selbst, sie wollte den jungen Mann ignoriren, dessen Blicke, das fühlte sie, so unaufhaltsam heiß auf ihr ruhten. Sie begann eine Unterhaltung mit ihrem Nachbar; sie hätte um Alles gern dem Unverschämten zeigen mögen, wie sehr sie ihn und seine Cameraden verachtete, wie sehr sie jene Richtung haßte, in deren falschem Lichte sich diese Eindringlinge heute sonnten.

„Haben Sie schon jenen bleichen Officier am oberen Ende des andern Tisches bemerkt?“ fragte ihr Nachbar. „General Bazaine hat ihn zum Adjutanten in seinem Generalstab ernannt, weil er sich so glänzend bei Puebla ausgezeichnet.“

„Mich interessiren die Franzosen nicht.“

Don Miguel sah sie betroffen an.

„Wenn ich das als eine Gunst für mich deuten darf, Sennorita, dann danke ich Ihnen,“ und sie ließ es geschehen daß er ihre Hand an seine Lippen zog.

Conchita verstand ihn nicht. Sie blickte träumerisch in seine Augen und dachte dabei an den bleichen Franzosen, der das Blut Derjenigen vergossen, mit deren Hoffnungen auch ihre heißesten Wünsche gegangen waren.

Ihr Onkel, dessen Lieblingsplan es war, da er selbst keine Kinder hatte und Conchita auch seine Erbin wurde, sie mit Don Miguel vermählt zu sehen, war glücklich über das gute Einvernehmen, in welchem er die Beiden sah, wenn er von seinem Platz aus zu ihnen herüberspähte. Er war in heiterster Laune, und als die Tafel aufgehoben wurde, stellte er die sämmtlichen Generäle, die sich um einen kleinen, auserlesenen Kreis geschaart, seiner Nichte vor.

Concha verbeugte sich kalt und vornehm und beantwortete die wenigen Worte, welche dieselben an sie richteten, im tadellosesten Französisch höflich, aber kurz.

„Conchita, meine Liebe, Monsieur de Brunne, einer unserer tapfersten Sieger von Puebla.“

Ein kurzes eisiges Neigen des Kopfes.

Der junge Mann, der vor ihr stand und abermals seine Augen tief in die ihren senkte, war der bleiche Adjutant, derjenige von allen Officieren, den sie am tiefsten haßte.

Er sprach gewandt und lange mit Don Miguel, welcher neben ihr stand, wußte meisterhaft seine etwas beißenden Bemerkungen zu widerlegen und ihm von feinem, dem französischen, Standpunkte aus die Sache ganz anders zu beleuchten, als es von mexicanischer Seite der Fall sein konnte. Er meinte, daß es für die Republik und das Volk nur ein Glück wäre, wenn eine stärkere Macht die Zügel in die Hand nähme und –“

„Unser Glück, Sennor, kann uns niemals von Frankreich kommen,“ warf Conchita erbittert ein.

„Warum nicht von Frankreich, Sennorita ?“

„Weil ich nicht glaube, daß die geringste Sympathie zwischen Franzosen und Mexikanern möglich ist.“

„Glauben Sie das wirklich nicht, Sennorita? Mir ist es im Gegentheil, seitdem ich den Fuß in die mexikanische Hauptstadt gesetzt, als ob in unsern Herzen eine tiefe Sympathie für dieselben möglich wäre.“

Jähe Gluth färbte bei diesen Worten sein bleiches Gesicht, und seine Augen trafen abermals die der jungen Dame, die in fast noch dunklerem Feuer groß und gedankenvoll auf ihm ruhten.

„Don Miguel,“ sagte Concha plötzlich, „suchen Sie Tante Pepita und sagen Sie ihr, daß ich müde bin und sie bitte, mit mir nach Hause zu fahren!“ Dann wandte sie sich zum Gehen, aber als sie sich kalt vor Monsieur de Brunne verneigen wollte, ergriff Dieser ihre Hand, und indem er sie an seine Lippen zog, flüsterte er leise und nur ihr verständlich.

„Und wenn Sie auch Frankreich und seine Soldaten hassen, Sennorita, die Rose, die einst an Ihrem Herzen geruht, wird doch das Theuerste sein, was ich mit mir nehme in mein Vaterland.“

Ein hochmüthiger Blick und eine eisige Verbeugung war Alles, was sie erwiderte, die Stelle aber auf ihrer Hand, wo seine Lippen geruht, brannte ihr bis in's Herz hinein.

Sie saß im Wagen neben ihrer Tante und hatte keine Erinnerung seit dem Momente, wo sie den Saal verlassen hatten.

Wo war sie? Träumte sie? Oder gab es einen magischen Zauber, der gewissen Menschen eigen und mit dem sie ein anderes Dasein umstricken können? Sie fühlte, daß ihr ganzes Wesen in unerklärlichem Aufruhre war, daß sie diesen Franzosen haßte und daß die Rose wieder in ihren Besitz kommen mußte.




Wochen waren vergangen. Der blonde Adjutant war täglich um dieselbe Stande auf der Promenade an Concha's Wagen vorübergeritten, und sie hatte mit einem kalten Neigen des Kopfes seinen Gruß erwidert.

O, sie konnte unter all den vielen Reitern die Hufschläge seines Pferdes unterscheiden, und wenn dann sein feiner Kopf mit dem blonden Vollbart sichtbar wurde, das Antlitz, wie es ihr schien, täglich noch um eine Nüancirung bleicher, dann schlug ihr Herz lauter und ihre Lippen zuckten. Sie nahm sich jedesmal vor, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn haßte, sich zurückzulehnen in den Wagen, ohne ihn anzusehen – doch die Gewalt, die er über sie übte, war stärker, als ihr Wille. Sie preßte ihre Hand auf ihr Herz, aber ihre Augen begegneten den seinen, sie konnte ja schon nicht anders der Tante wegen – sie neigte nach europäischer Sitte leicht das Haupt und grüßte ihn.

Don Miguel war seit jenem Diner im Hotel Iturbide der tägliche Gast in ihres Onkels Hanse. Sie gewöhnte sich nach und nach an seine Gesellschaft, nahm seine Ritterdienste an, verplauderte mit ihm die müßigen Stunden und erlaubte ihm, Abends in der Oper hinter ihrem Stuhle zu lehnen und mit ihr über die Musik und die Sängerinnen zu conversiren. Sprach sie bei Gelegenheit mit Lebhaftigkeit über ihre politischen Ansichten, von ihrem Unverständniß der clericalen Bestrebungen und ihrer Mißbilligung der französischen Intervention, so lächelte Don Miguel und machte ihr Complimente über ihre interessante Beredsamkeit, bei welcher ihre Augen noch feuriger glänzten, noch schöner leuchteten, als gewöhnlich.

Er selbst war bis zur Narrheit in Conchita verliebt; ihre Ansichten genirten ihn keinen Augenblick. War sie erst seine Frau – nun, so würden schon ernstere Dinge ihr diese revolutionären Ideen vertreiben. Pater Garcia, der kluge Priester, verrieth keinen Augenblick Concha gegenüber, wie sehr er ihre Ansichten kannte und mißbilligte, und hatte ihrem Onkel den weisen Rath gegeben, sie ruhig gewähren zu lassen, ihr nicht zu widersprechen, damit

sie ihre Hand ohne Argwohn in die Don Miguel's lege, nachher

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_030.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)