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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Blumenkränze in so reicher Fülle auf die sich hebenden Säbel der Officiere senkten und mit ihren schönen Augen die Blicke erwiderten, mit welchen diese ihnen dankten.

Mancher Officier hatte vergebens zu ihr aufgeschaut, zu ihr, die mit den großen träumerischen Augen für keinen Einzigen ein Zeichen der Freude und des Willkommens hatte.

Ein Schreien und Jauchzen der Menge weckte sie aus ihren Gedanken. Die Afrikaner! Die Zuaven mit ihren dunklen Gesichtern und rothen Turbanen, in welchen sie theilweise kleine Hunde trugen, wurden sichtbar, und von dem Volke mit ungeheucheltem Erstaunen begrüßt. Conchita bog sich neugierig über die Balustrade; die Officiere des Generalstabes, welche den Afrikanern voranritten, hoben die Säbel als Zeichen des Grußes, und sie neigte unwillkürlich das Haupt.

Der bleiche blonde junge Mann, der als Adjutant zwischen den Officieren ritt und unter den dunkel gebräunten Gesichtern merkwürdig abstach, sah lange zu ihr hinauf – sein Säbel vergaß sich zu senken, und als Conchita ihren Kopf tiefer bog, um die Röthe ihres Angesichts zu verbergen, knickte die weiße Rose an ihrer Brust und fiel zu Boden.

Sie fuhr erschrocken in die Höhe, aber ihre Blicke trafen zwei tiefe, schwärmerische, blaue Augen. Der bleiche Adjutant drückte die Rose, die eben noch an ihrer Brust geruht, an seine Lippen, indessen Rosita’s schönstes Bouquet von den Hufen der Pferde zerstampft am Boden lag.

„Conchita giebt nur einem Einzigen ihre Blumen, dem, dem sie auch ihr Herz zu eigen giebt,“ spöttelte Rosita, deren schlauen Augen der schöne Adjutant nicht entgangen war, und ihr helles Lachen klang harmonisch zwischen den Trompeten und Pauken der Musikanten.

Conchita sah nichts mehr. Wie im Traum blickte sie auf das Gewoge da unten; sie hätte vielleicht nicht einmal bemerkt, daß das Militär längst vorüber war, wenn sich nicht ein weicher Arm um ihren Hals gelegt hätte – es war Rosita, die unter einem glühenden Kusse um Verzeihung bat. In ihrem Herzen trug sie zum Erschrecken klar das Bild des blonden französischen Adjutanten, und sie haßte ihn mit aller Gewalt ihres leidenschaftlichen Seins.




Einige Tage später stand Conchita festlich geschmückt vor dem großen Spiegel ihres Ankleidezimmers. Die Trauergewänder, die sie beinahe ein Jahr getragen, hatte sie auf den ausdrücklichen Wunsch ihres Onkels heute mit dem elegantesten Gesellschaftsanzug vertauscht; denn sie sollte ihn zu dem officiellen Diner begleiten, welches die vornehme Welt Mexicos heute den Generälen Bazaine und Forsey zu Ehren gab, den mit Bewunderung gekrönten Siegern von Puebla.

Ein weißes, schweres Atlaskleid umschloß knapp die feine Taille; die vollen Schultern hoben sich in tadelloser Schöne aus dem glänzenden Weiß, und die reiche Spitzengarnitur, welche beinahe bis auf die Schleppe fiel, wurde von einer Guirlande weißer Rosen gehalten; auch in ihrem glänzend schwarzen, in fast übermäßiger Fülle prangenden Haar lag als einziger Schmuck – eine weiße Rose. Ihre dunklen, großen Sammetaugen übersahen wehmüthig die Gestalt, die heute zum ersten Male wieder festlich geschmückt in die Welt treten sollte – ohne die Mutter.

„Und Deine Perlen, Conchita?“ fragte ihre Tante, eine alte Dame in grauem Seidenkleide, deren vergilbten Hals ein schweres Diamantcollier umschloß.

„Meine Perlen, Tante?“ wiederholte das Mädchen etwas erbleichend, indem sie vom Spiegel trat und zu der Dame hinüberschaute, „ich will heute ohne Schmuck gehen – ich –“

„Nun – ich? Sprich es nur aus, Conchita, was man sich bis hinab in die Küche zuflüstert – ‚ich habe meine Perlen jenen Verruchten, jenen Gottesleugnern gegeben, welche keinen anderen Zweck haben, als unsere Kirche zu stürzen‘“

Conchita’s Lippen zuckten; eine jähe Blässe zog über ihr Gesicht, aber nur einen kurzen Moment; dann hob sich ihre schlanke Gestalt, und mit sprühenden Augen und vibrirender Stimme sagte sie fest und bestimmt:

„Ja, Tante, ich habe Alles, was ich an Schmuck und Perlen besaß, da Ihr es ja doch einmal wißt, jenen Ehrenmännern gegeben, die den Muth haben, wahrhaftig nicht Gott zu lästern, nein, der Priesterherrschaft die Gewalt aus den Händen zu nehmen, an der Gott keinen Theil hat. Meine Freunde wollen nichts Böses; sie wollen das arme, geknechtete Volk aus Staub und Unwissenheit ziehen, damit es ehrlich arbeiten könne, wie andere Nationen, damit es fühlen lerne, daß seine Kinder Menschen sind wie wir, Menschen mit Menschenwürde. Meine Freunde wollen dem Volke helfen, endlich den Gott der Liebe und Allbarmherzigkeit wiederzufinden, an welchen es sonst verlernen müßte zu glauben.“

Dios mio, Dios mio!“ Das war Alles, was sich von den Lippen der alten Dame rang, als sie diese Sprache hörte, die noch nie aus solchem Munde ihr Ohr berührt hatte, und ihre mageren Finger machten das dreifache Kreuz, damit das Gift dieser Worte nicht ihre Seele verderbe. Was war mit dem Mädchen geschehen, und wer hatte sie diese kühne Sprache gelehrt, die Padre Garcia als die des Teufels bezeichnete?

„Kind,“ sagte sie endlich, „das ist nicht die Sprache Gottes, und morgen mußt Du mit Padre Dionisio beichten und demüthigend die Strafen der Buße erdulden, die er über Dich verhängen wird.“

„Kein Wort weiter, Tante,“ warf Conchita heftig ein, „oder ich reiße diesen Plunder herunter, und kein Gott wird mich mehr dazu zwingen, eine Gesellschaft zu besuchen, deren Principien ich verachte. Ich weiß, daß ich nur ein ohnmächtiges Mädchen bin; deshalb füge ich mich dem Onkel und seinen Wünschen, aber meinen Ansichten bleibe ich treu, trotz allen Padres der Welt – das werde ich morgen Padre Dionisio sagen, falls es ihm einfallen sollte, mich darüber zur Rede zu stellen.“

Tante Pepita schwieg und gedachte des ausdrücklichen Befehls ihres Bruders, das Mädchen nicht zu reizen und nichts von ihr zu erzwingen. Die Pläne, die er mit ihr und ihrem bedeutenden Vermögen hatte, erheischten bei ihrem Charakter Vorsicht, und vor allen Dingen durfte ihr Mißtrauen nicht geweckt werden. Als die alte Dame das überdachte, fürchtete sie schon fast, zu weit gegangen zu sein.

„Kleiner Brausekopf – gerade wie Dein Vater!“ sagte sie und strich dabei zärtlich über Conchita’s glänzendes Haar. „Er bestand auch eigensinnig auf seinen Principien und stürzte sich so in einen frühen Tod, aber die Zeit wird Dich schon abkühlen und vernünftig machen.“

„Vielleicht auch nicht,“ sagte das Mädchen leise; „vielleicht ist es unser Fatum an unserem eigenen Ich zu Grunde zu gehen.“

Conchita hatte ihre Tante trotz deren fanatischen Anschauungen lieb; sie schwieg deshalb, und als ihr Onkel laut an die Thür klopfte, um die Damen zum Wagen zu geleiten, legte sie ebenso ruhig wie Tante Pepita ihren Arm in den seinen.

Die vornehme, aristokratische Welt in Mexico wußte nicht, mit welchen Ehren sie nach den letzten bitteren Jahren, während welcher Juarez das Staatsruder so energisch in der Hand gehabt und so verheerend unter die Kirchengüter gefahren war, die Befreier feiern sollte. Feste verdrängten Feste, und überall zog man die Damen hinzu, um den Ovationen mehr Glanz und Mannigfaltigkeit zu verleihen, vielleicht auch, um politische und religiöse Gespräche zu vermeiden, die so leicht in einer aufgeregten Zeit zu Erbitterungen führen.

Als Don Francisco Carbajal seine Schwester und Nichte in den großen Saal des Hotel Iturbide führte, war der letztere schon fast ganz von Gästen angefüllt. Es gab ein Begrüßen und Vorstellen, und ehe man sich versah, waren die Paare in den großen Eßsaal spaziert, in welchem die pomphaft ausgestattete Tafel auch das verwöhnteste Auge blendete.

Don Francisco hatte den Arm seiner schönen Nichte in den eines jungen Cavaliers gelegt, von dem sie schon oft in ihres Onkels Hause hatte reden hören, der aber erst kürzlich von Paris zurückgekehrt und den sie heute zum ersten Male sah. Er war ein Neffe des reichen und vornehmen Hauses der Rubio, und wie Conchita vermuthete, zu ihrem zukünftigen Gatten bestimmt.

Sie hatte die letzten Jahre mit ihrer Mutter in San Luis Potosi gelebt und, wie man wohl an ihrer ausgesprochenen politischen Richtung erkennen konnte, in anderen Kreisen verkehrt, als diejenigen waren, in welche sie jetzt von ihrem Onkel eingeführt wurde.

In dem Freundeskreise ihrer Eltern hatte mehr Sinn für wissenschaftliche und ernste Bestrebungen geherrscht, als es gewöhnlich in Mexico der Fall war, und namhafte Männer der liberalen Partei hatten ihr in täglichem Verkehr nach und nach

Verständniß für Vieles geweckt und Ideen in ihr zur Reife gebracht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_029.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)