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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Meine Vaterlandsliebe,“ schreibt Jacob Grimm am 16. Januar 1838 (Siehe Meusebach’s Briefwechsel S. 259), „habe ich niemals hingeben mögen in die Bande, aus welchen zwei Parteien einander anfeinden … ich traue jedem dieser Gegensätze einen größeren oder kleineren Theil Wahrheit zu und halte für möglich, daß sie schließlich in voller Einigung aufgehen.“

Es war nicht Parteigeist, sondern die ethische, die sittliche und moralische Seite der Sache, welche 1833 Grimm seinem Schwager Hassenpflug entfremdete, welcher in seinen politischen Kämpfen auch unehrliche Mittel nicht verschmähte, wenn er sie für tauglich hielt, den Zweck zu erreichen, und welche 1837 ihn zwang, gegen den hannoverschen Verfassungsbruch zu protestiren. Aus Anlaß des letzteren schreibt er:

„Was ist es denn für ein Ereigniß, das an die abgelegene Kammer meiner einförmigen und harmlosen Beschäftigungen schlägt, eindringt und mich herauswirft? … Der Grund ist, weil ich eine vom Land, in das ich aufgenommen worden war, ohne alles mein Zuthun, mir auferlegte Pflicht nicht brechen wollte, und als die drohende Anforderung an mich trat, das zu thun, was ich ohne Meineid nicht thun konnte, nicht zauderte der Stimme meines Gewissens zu folgen. Mich hat das, was weder mein Herz noch die Gedanken meiner Seele erfüllte, plötzlich mit unabwendbarer Nothwendigkeit ergriffen und fortgerissen. Ich sehe mich in eine öffentliche Angelegenheit verflochten, der ich keinen Fuß breit ausweichen darf, nicht erst lange umblicken, was Hunderttausende thun oder nicht thun, die gleich mir zu ihrer Aufrechthaltung verbunden sind.“

In demselben Jahre 1833, also in dem ersten Jahre des Hassenpflug’schen Kampfes gegen Gesetz und Verfassung, gegen das öffentliche Recht und das öffentliche Gewissen, ist denn auch Lotte Grimm in jungen Jahren verstorben. Ohne Zweifel dachte sie über Hassenpflug’s verhängnisvolles Thun und Treiben nicht anders, als ihre Brüder Wilhelm und Jacob. Gesprochen hat sie darüber zu Niemand; denn es ist nicht edler deutscher Frauen Art, bei Dritten den eigenen Gemahl zu verklagen; lieber tragen sie stumm ihren Gram und gehen schweigend zu Grabe. Und die Vorsehung hat es ohne Zweifel gut mit ihr gemeint, indem sie dieselbe bei Zeiten abrief und ihr ein langes Leben voll Angst, Pein und Gewissensqualen ersparte. Hassenpflug aber ist alsbald zu einer zweiten Ehe geschritten und hat darüber vergessen, seiner edlen Gemahlin ein Denkmal zu setzen.

Bis zehn Jahre nach dem Tode ihrer Schwester Lotte haben Jacob und Wilhelm Grimm gewartet. Dann haben sie ganz im Stillen derselben auf dem Kasseler Gottesacker den in einem vorigen Artikel (vergleiche Nr. 1 d. J.) erwähnten Denkstein errichtet und damit nachgeholt, was der Gemahl versäumt hatte.

Es ist uns nicht erlaubt, die Schatten, welche das Trauerspiel von Kurhessen bis in die intimsten Familienkreise hinein warf, zu erörtern; denn es ziemt sich nicht, an das Licht der Oeffentlichkeit zu ziehen, was die Betheiligten selber lieber verschleiern. Beschränken wir uns daher auf das, was die Brüder selbst dem Leichensteine der Schwester eingegraben. Die Schwester, etwa acht Jahre jünger als die Brüder, hat im dreißigsten Jahre den gleichalterigen Louis Hassenpflug geheirathet. Der Tod trennte nach zehn Jahren die Ehe in derselben Zeit, da der Gemahl jene eigentümliche Laufbahn einschlug, welche seinen Namen auf die Nachwelt gebracht hat, aber nicht als einen Namen des Segens und des Friedens, sondern als einen solchen, welcher den Untergang einer vormals glorreichen Dynastie bedeutet — jener Dynastie, welche anhebt mit dem „Kinde von Brabant“. Und abermals nach zehn Jahren, während deren Hassenpflug wohl Zeit gehabt hätte, seiner verstorbenen Gemahlin zu gedenken, ließen Jacob und Wilhelm den Stein setzen, auf welchem sie sich, selbst in ihrem Schmerze noch maßvoll, darauf beschränkten zu sagen, daß es nicht der überlebende Gemahl war, sondern die Brüder, welche nach zehn Jahren noch der todten Schwester gedachten.

Deshalb durfte ich in meinem eben erwähnten Einleitungsartikel wohl mit Recht behaupten: Diese Inschrift ist ebenso vielsagend, wie einfach.

Was Hassenpflug selbst anlangt, so diente er seinem Kurfürsten und anderen Fürsten in seiner Art zwar treu und ergötzte sie mit den dialektischen Künsten und juristischen Rabulistereien, durch die er, unter Mißbrauch der öffentlichen Gewalt, die Opposition eine Zeitlang niederzuhalten wußte; als man aber später sah, daß man mit seinen Zauberkünsten keinen Hund mehr aus dem Ofenloche locken konnte, wurde er vollständig vernachlässigt und – ich glaube nicht zuviel zu sagen, denn ich spreche aus eigener Anschauung – der Verkommenheit preisgegeben.

Man hat Hassenpflug der Hab- und Bereicherungssucht geziehen, und sein Greifswalder Conflict sowie auch das, was uns Friedrich Oetker, nach eigener Beobachtung, in seinen „Lebens-Erinnerungen“, Band 2, Seite 107 und ff. erzählt, sprechen scheinbar dafür. Allein in diesem Punkt that man ihm Unrecht; er ist arm aus dem Amte geschieden. Freilich war es auch schwer, sich unter einem so außerordentlich sparsamen Herrn, wie der Kurfürst war, zu bereichern.

Im Grunde genommen war der Kurfürst seinen Ministern stets nicht allzu gewogen. Er sah in Jedem derselben einen Beschränker der absoluten Gewalt, für welche er schwärmte. Einst hatte ihm ein neues Ministerium ein Programm vorgelegt. Als darauf die Minister in das kurfürstliche Palais entboten wurden, fanden sie in dem Vorzimmer auf dem runden Tisch ihr Programm liegen. Es war sauber eingebunden, und auf dem Umschlag stand von des hohen Herrn eigener Hand geschrieben: „Dienst-Instruction für Friedrich Wilhelm. NB ist aber kein Diener, sondern der Herr!“

Der Kurfürst amüsirte sich, wenn er seine Minister ein wenig ärgern oder ihnen sonst wie in die Quere kommen konnte, wie er überhaupt seine Freude daran hatte, wenn ihnen etwas Unliebsames passirte.

Am liebsten hätte er Alles selbst und Alles allein gemacht, da er aber Alles einer wiederholten minutiösen Prüfung unterzog und überhaupt nur schwer zu einem Entschlusse kommen konnte, so wuchs ihm die Arbeit über den Kopf und daraus entstand dann das, was man die „kurfürstliche Geschäftsstockung“ nannte. Hassenpflug, der ein eifriger und arbeitsamer Geschäftsmann war, kam darüber oft in Reibung mit seinem Fürsten, der noch weit herrschsüchtiger war, als Hassenpflug selber. Der Kurfürst mochte eigentlich den Hassenpflug noch weit weniger, als seine übrigen Minister, und so oft er glaubte, ihn entbehren zu können, gab er ihm die Entlassung. Leider aber wußte sich Hassenpflug dadurch, daß er den Riß zwischen dem Fürsten und dem Lande immer mehr erweiterte, immer unentbehrlicher zu machen, und so führte das Verhängniß beide Männer immer von Neuem zusammen – zu ihrem eigenen Verderben.

Namentlich in kirchlicher Beziehung bestand ein diametraler Gegensatz zwischen dem rationalistischen Fürsten und seinem hyperorthodoxen und frömmelnden Diener, und des letzteren Vorschläge zu Gunsten seiner mystischen Freunde fielen meistens in’s Wasser.

Einst beantragte Hassenpflug für einen höheren Geistlichen vier Dienstpferde für seine Inspectionsreisen. „Geistlicher Hochmuth,“ sagte der Kurfürst. „Wird nichts daraus. Unser Heiland hatte nur einen Esel.“

Hassenpflug hatte es zwar fertig gebracht, daß die Geistlichkeit der Diöcese Kassel den Consistorialrath Vilmar, den bekannten Vertheidiger der Hexenprocesse, welcher versicherte, er habe mit seinen eigenen leiblichen Augen gesehen, wie der Teufel gegen ihn (Vilmar) die Zähne gefletscht habe, zum Superintendenten wählte, allein es gelang ihm nicht, die Bestätigung des Kurfürsten zu erwirken. Daraufhin verlangte Hassenpflug seinen Abschied und – erhielt ihn, gegen alle Vermuthung. Er hätte eher den Einsturz des Himmels erwartet. Seitdem harrte er Tag für Tag und Jahr für Jahr, daß ihm das Ministerium wieder angetragen werde. Er wartete vergeblich.

Endlich reichten seine Mittel nicht mehr, um in Kassel auf dem alten Fuße zu leben. Er entschloß sich, nach dem billigen Marburg, dem Sitze der gestürzten Günstlinge und gefallenen Größen, überzusiedeln. „Als aber die Möbelwagen schon gepackt waren“, erzählt uns Professor Fr. Müller in seinem „Kassel seit siebenzig Jahren“, Band II, Seite 330, „legte sein Hauswirth Beschlag auf das Ganze, weil die europäische Berühmtheit, Großkreuz und Ritter des hessischen Löwen-Ordens und des österreichischen Leopold-Ordens, mit dem Miethzins noch rückständig war.“ – –

In Marburg ist denn Hassenpflug gestorben, ohne daß die Sonne der Gnade ihn jemals wieder beschienen. Er hatte dort ebenso wenig Gelegenheit, seinen Herrschertrieb zu befriedigen, als sein hoher Herr später in Horsowitz. Beide hatten dem Moloch

der Herrschsucht über das dem Sterblichen gestattete Maß hinaus

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_027.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)