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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 2.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Amtmanns Magd.

Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
3.

„Der neue Herr“ lehnte es ab, sich drunten in der „guten Stube“, wo „meine Luise“ immer noch wacker in den „tönenden Hämmern“ wühlte, den Kaffee serviren zu lassen. Er bestand darauf, so sehr auch Frau Griebel im Hinblick auf Staub, Mäuse und Spinnweben protestirte, sich sofort in seinen eigenen vier Pfählen einzuquartieren, und stieg die Treppe hinauf.

Er hatte bestimmt, daß die Siegel an der Wohnung der Verstorbenen nicht gelöst werden sollten, bis er selbst einmal komme; nun riß er die Papierstreifen an der Hauptthür ab, und Herr Peter Griebel schloß auf. Genau so traut und anheimelnd wie die äußere Physiognomie des Gutshauses war auch die innere Einrichtung der Zimmerreihe im oberen Stock.

Frau Griebel zog behutsam die Rouleaux in die Höhe. Sie triumphirte; die Scheiben waren weißbestäubt, und auf der nächsten Tischplatte schrieb sie mit sardonischem Lächeln und ungeschicktem Finger ein paar groteske Buchstaben in die Staublage. Aber die Dielen waren schneeweiß und fleckenlos, und ein starker Duft von Steinklee und anderem Kräuterwerk füllte die Räume, in welche auch ein Hauch frischer Luft durch Zuglöcher an der Decke fortgesetzt Zutritt hatte.

„Offene Fenster und ein wenig Fegen machen allen Schaden gut,“ sagte der „neue Herr“ heiter und entriegelte einen Flügel des mittleren Erkerfensters.

„Und mit den verstopften Schlüssellöchern war’s nichts, Jettchen!“ schmunzelte Herr Peter Griebel. „Wo sitzen denn nun die Spinnen, über die Du den ganzen Winter gebrummt hast? Unsere alte Dame war gar ein propres Weibchen – sie litt solches Geziefer nicht – wo sollte denn da die Brut herkommen, Jettchen?“

„Guck nur erst in die Bücherstube, Peter, eh’ Du so dick thust mit Deiner Weisheit! An den himmelhohen Regalen und hinter dem Bücherwerk wirst Du schon Dein blaues Wunder sehen. – Da drüben giebt’s was zu lesen, Herr Markus – Bücher ohne Ende! Und alles, was drin steht, das hatte die alte Frau in ihrem Kopfe. Sie war Doctor und Apotheker in einer Person und tausendmal gescheidter, als der elende Bartkratzer drüben in Tillroda, der sich von den Leuten Doctor schimpfen läßt. Der hatte deswegen aber auch eine ganz gehörige Pike auf die resolute Frau, gerade wie der Pfarrer, der an ihrem Grabe gepredigt hat, sie sei zeitlebens eine Gottlose gewesen, weil sie nichts vom Teufel und dergleichen wissen wollte und den Augenverdrehern spinnefeind war. Na, im Himmel ist sie doch – der in Tillroda wird’s doch dem lieben Gott nicht vorschreiben dürfen, wer hinaufkommen soll und wer nicht.“

„Ja, eine tüchtige Frau ist sie gewesen, die Frau Oberforstmeisterin,“ sagte Peter Griebel. „In der Oekonomie war sie zu Hause wie ein Mann. Ich war nur die letzten zwei Jahre Gutsverwalter bei ihr, aber da hab’ ich alter Kerl mehr gelernt, als in zehn bei meinem vorigen Herrn. Sehen Sie doch hin!“ – er streckte den Arm nach dem üppigen Gelände aus, das sich draußen hinbreitete – „das Alles ist hauptsächlich ihr Werk; denn der Herr Oberforstmeister soll so gut wie gar nichts davon verstanden haben. Freilich, die paar Acker dort hinter dem Fichtenhölzchen, die sind ziemlich ’runtergewirthschaftet; sie gehören zum Vorwerk, und da wird nicht gut gehaust – der Herr Rechtsanwalt wird Ihnen ja wohl davon geschrieben haben.“

„Ja wohl. Seit vier Jahren hat der Amtmann Franz das Vorwerk in Pacht, und in den musterhaft geführten Büchern der Verstorbenen ist nicht ein einziges Mal die ausbedungene Pachtsumme als eingegangen notirt zu finden –“

„Unsere alte Dame hat eben immer ein Auge zugedrückt, weil die Frau Amtmann von der Jugendzeit her ihre gute Freundin gewesen ist,“ fiel die kleine Frau erklärend ein. „Amtmanns haben Schulden gehabt wie Sand am Meere, und ist ihnen von den Gläubigern Alles, Schiff und Geschirr, weggenommen worden. Da hat sich die Frau Oberforstmeisterin erbarmt und hat ihnen das Vorwerk gegeben, freilich nicht umsonst – dazu war sie viel zu streng und ordentlich in Geldsachen aber doch für einen wahren Pappenstiel, und auch den hat der alte Schwindler nicht einmal bezahlt.“

Sie unterbrach sich und fuhr mit der Hand in die Tasche. „Da guck her, Peter – was ich Dir immer sage!“ wandte sie sich an ihren Mann und zerdrückte vor seinen Augen eine kleine gebratene Kartoffel, sodaß das köstliche Eidottergelb des Inneren appetitlich duftend hervorquoll. „Drüben im Grafenholz sammeln die Tillröder Jungen Erdbeeren, und da liegt diese Gottesgabe halbmetzenweise in der heißen Asche –“

„Na und, Jettchen?“

„Na und, Mann?“ ahmte sie ihm ärgerlich nach. „Wie kömmst Du mir denn vor? Mußten denn die Bengels gerade vom Allerbesten haben? … Und wie ich frage: ,woher?’ da sagt die Rotte ganz frech: ,Nicht von der Frau Griebel, aber von Amtmanns Magd.’ … Herr Markus, ich will ja den Leuten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_021.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)