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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


mit derbem „Guten Abend!“ in das Zimmer, worauf er sich auf den Bodenflur zurückzog und die Thür hinter sich schloß. Die Näherin war wieder ernst geworden. Sie blickte auf das Mädchen wie auf ein Räthsel.

„Ich weiß nicht,“ brachte sie endlich heraus, „was soll das bedeuten? Was wünschen Sie?“

„Ich? Wünschen? Gar nichts, als daß Sie mich nicht so verlegen machen. Ich bin, glaube ich, schon ganz roth geworden. Nicht wahr, ich darf Ihnen eine Weihnachtsfreude bereiten?“

Sie sagte das mit reizender Befangenheit und doch so drollig munter!

„Kann ich nicht vor Allem Ihren Namen erfahren?“

„Nein – nein!“ wehrte die Kleine hastig ab. „Weihnachtsengel haben keinen Namen. – Ach Gott,“ seufzte sie dann und athmete tief, „ich hätte nicht gedacht, daß es so schwer wäre, Weihnachtsengel zu sein. Aber nicht wahr“ – und sie trat zutraulich näher, daß der Lampenschimmer sie goldig verklärte – „nicht wahr, das thun Sie mir nicht an, daß Sie mich mit meinem Korbe wieder fortschicken?“

„Ich danke Ihnen, liebes Kind! Ich weiß nicht, welcher Armenbescherungsverein auf mich verfallen ist, noch wie das geschehen ist, aber ich habe noch nie in meinem Leben Almosen angenommen.“

Die Näherin sprach ruhig, mit einem Anflug von Ironie. Aber im Augenblick schlug ihr flammende Röthe in das Gesicht; es kam ihr vor, als wäre ihre ganze Jugenderziehung im Hause der Tante doch ein einziges großes Almosen gewesen.

Die Kleine stand ganz erschrocken. Sie war blässer geworden, und um ihren vollen kleinen Mund zuckte es, wie von plötzlich verhaltenem Weinen, als sie rührend wehmüthig sprach:

„Das ist bitter, das ist viel bitterer, als wenn man etwas gespendet haben möchte und es heißt so recht böse: Nein! Es ist ja gar nicht von einem –“ Sie stockte. „Mein Gott, mein Gott,“ murmelte sie dann, „wenn ich Sie nun recht von Herzen bitte, so recht von Herzen: nehmen Sie es dann wirklich nicht?“

„Ich kann nicht. Es wäre das erste Mal.“

Das reizende Geschöpf hatte plötzlich Thränen in den Augen und griff schnell zum Batisttuche. Es giebt Menschen, welche unwiderstehlich sind, wenn sie weinen, und das junge Ding da gehörte zu ihnen.

„Ach, liebes Fräulein – es ist so dumm, daß ich weine –“

In der Brust des alternden Mädchens aber quoll es heiß auf in Mitleid; es war ihr, als habe sie ein Verbrechen an dieser holden; anmuthigen Kinderseele begangen, und sie hielt ihre Hand hin, die so deutliche Spuren schwerer Arbeit trug.

„Ich danke Ihnen, ich will behalten, was Sie mir gebracht, aber unter der Bedingung, daß ich davon wieder verschenken darf, soviel ich will. Es wohnt noch mehr Armuth hier im Hause.“

„Ach!“ sagte die Kleine naiv, durch Thränen lächelnd. „Man merkt so wenig davon, daß es viele arme Leute giebt. Ich muß doch einmal mit Mama sprechen.“

„Haben die Weihnachtsengel auch Mamas?“ scherzte die Näherin.

Die Kleine schlug sich leicht auf den Mund und flüchtete mit einer graziösen Bewegung zur Thür. „Adieu, und vielen Dank – ich will nur gehen, sonst verplappere ich mich ganz und gar. Glückselige Weihnacht!“

Und draußen war sie; durch die Thürspalte aber sah die Näherin für einen Moment die ganze Brenner’sche Familie sammt dem Schneider um den Diener versammelt; dann klinkte das Schloß wieder ein.

Himmel, das Kleid! Es war noch nicht fertig! Und sie setzte die Nähmaschine in Bewegung. Ein sonniger Glanz füllte noch ihr Herz, als wäre wirklich ein Weihnachtsengel erschienen und hätte ihr den Korb gebracht. Was mochte darinnen sein? Ihr war ein Weihnachten gekommen – ihr! seit Jahren zum ersten Mal – sie wußte kaum, seit wieviel Jahren.

Es war auch gar nicht Zeit, auszurechnen, denn wieder knisterte draußen ein Korb, und diesmal kam in der That eine Dienstperson, um das Kleid zu holen, und hinter dem Mädchen drückte sich fast schüchtern der Schneider herein.

„Warten Sie, Herr Fendel, Sie bekommen gleich Ihr Eisen!“

Das Kleid ward verpackt; der Alte, dessen Augen zwischen dem brennenden Christbaum und dem Korbe hin und her wanderten, bekam sein Eisen – noch war kein Wort weiter zwischen diesem und der Näherin gewechselt.

„Sie haben ja beschert bekommen?“ fragte der Alte im Gehen.

„Ach so – ja, das ist eine merkwürdige Geschichte, aber lassen Sie mich jetzt allein; jetzt dürfen Sie nicht sehen, was in dem Korbe da ist – es wäre ja möglich, daß das Christkind Sie auch mit bedacht hätte.“

„Oho, mich?“ lachte der Schneider. „Aber Wünsche habe ich nicht, das sage ich im Voraus.“

Sie war allein, hob den Korb auf den Tisch und stöberte flüchtig Gegenstand um Gegenstand auf – theure Stoffe, weibliche Handarbeiten, die sicher viel Fleiß gekostet hatten, Toilettengegenstände, Linnenzeug, Wolle – – ha, da, auf dem Boden des Korbes, lag eine Karte. Sie stieß einen Schrei aus, als sie den Namen auf der Karte las, einen heiseren, zornigen Schrei.

„O, Frau Präsidentin, so haben wir nicht gewettet.“

Und hastig deckte sie das weißpunktirte blaue Kattunstück wieder über den ganzen Inhalt des Korbes, schlüpfte in einen alten Regenmantel, schlang ein gewirktes Capuchon um den Kopf und trug den Korb zur Thür.

„Lieber darben, als ducken!“

Aber der Weihnachtsbaum! Sie ließ den Korb nieder, ging zu dem Tische zurück und stand unschlüssig davor. Es war doch unmöglich für sie, ihn noch neben dem Korbe zu tragen; so mochte er denn bleiben und die Kinder drüben erfreuen. Sie hatte inzwischen soviel Ruhe gewonnen, um auch die Lampe noch herunterzuschrauben, bevor sie den Korb wieder aufnahm.

Als sie mit der nichts weniger als bequemen Last die Treppe hinunter stieg, vorsichtig, um nicht zu stürzen, öffneten die Wittwe Brenner und der Schneider gleichzeitig die Thüren.

„Sind Sie’s, Fräuleinchen?“

„Ja; ich komme bald wieder. Mit der Bescherung war es leider nichts,“ klang es bitter herauf.

Der Schneider lachte. „Sehen Sie, wie gut es war, daß ich keine Wünsche hatte!“

Mühsam wand sie sich hinunter auf die Straße, stellte den Korb einen Augenblick in den Schnee und begann dann ihre Wanderung durch die klare, schneidig kalte Winternacht.

Eine Weile schritt sie schnell und stetig in dem knirschenden Schnee dahin; die Aufwallung zornigen Stolzes stählte sie. In der Martergasse flammte schon hier und da der angezündete Christbaum durch die Fensterscheiben und vergoldete haußen ein Fleckchen Straßenschnee. Zuweilen klang es wie Singen und heller Jubel rechts oder links von der Erregten, welche kaum Auge und Ohr dafür hatte. Schon nach Minuten begann sie zu frieren; die Finger, welche den Korbrand umklammerten, erstarrten und drohten den Dienst zu versagen. Oefter und öfter blieb sie stehen, den Korb niederzulassen und die Hände zu reiben; immer eisiger drängte sich die Luft durch die dünne Kleidung an ihren Körper; immer kühler und gleichgültiger wurde sie innerlich. Nur mechanisch verfolgte sie zuletzt noch den Weg zu ihrem Ziele, und als sie die Portierklingel vor dem stattlichen Hause zog, in welchem die Präsidentin wohnte, hatte sie kaum noch ein Gefühl von der inneren Nothwendigkeit ihrer Handlungsweise. Nur Eines empfand sie: daß sie sehr unglücklich sei.

Im Hausflur mußte sie sich erst sammeln. Wieder rieb sie sich schauernd die Hände, wärend sie überlegte, was sie eigentlich thun wollte. Nun: sie wollte vor der Thür zur Wohnung schellen; eine Dienstperson würde ja wohl öffnen, und dieser wollte sie ohne weitere Erklärung den Korb übergeben. „An die Frau Präsidentin zu anderweiter Verfügung,“ das würde genügen.

Sie stieg die Treppe hinauf, über weiche Teppichläufer, an einem vergoldeten Geländer mit rother Sammetlehne hin. Natürlich; es war ja die „reiche“ Cousine, welche hier wohnte. Und wieder schöpfte sie Athem, bevor sie an den Knopf der elektrischen Klingel drückte. „Lieber darben als ducken!“ sagte sie, während sie innerlich zitterte.

Jetzt!

Es klirrte langgezogen drinnen; Schritte nahten – ein Mädchen öffnete. Die dürftig umhüllte Gestalt vermochte kaum die begleitenden Worte für die Korbübergabe zu stammeln, und das Mädchen sah sie erstaunt an.

„So? Bitte, stellen Sie doch den Korb herein!“

Die Näherin that rasch ein paar Schritte in den hell erleuchteten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_848.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)