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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Stunde fertig gebügelt sein, ein Kleid mit unzähligen Falbeln und Fälbelchen, das noch auf den Weihnachtstisch gelegt werden sollte. Die Plättstähle glühten schon seit zwei Stunden ununterbrochen im Ofen, und dieser Ofen glühte selber, daß der feine Dunst der versengten Stäubchen sich mit demjenigen mischte, welcher dem zarten Mull des Kleides entstieg.

Die Näherin war eine ziemlich große, saubere, aber dürftig gekleidete Person, hager und altjüngferlich. „Verblüht“, stand auf ihrer Stirn. Drüben aber, über dem kleinen Spiegel zwischen den Dachfenstern, da stand etwas anderes geschrieben. Es war mit großen Buchstaben in Canevas gestickt und von Glas und Rahmen eingefaßt:

“Lieber darben, als ducken!“

Seltsam! War das der Wahlspruch des alternden Mädchens, welches diese Dachkammer der schwarzen Ecke bewohnte? Es ist etwas Ungewöhnliches, bei einer ärmlichen Näherin einen Wahlspruch, und noch dazu einen von so männlich energischem Ausdrucke, zu finden. Aber sie sah nicht einmal so männlich energisch aus, so trotzig, wie jener Spruch klang. Ihre Haltung war etwas vornüber geneigt; ihre Züge hatten das Gepräge einer gewissen Erschlaffung. Nur waren sie intelligenter, als ihre Thätigkeit sie erwarten ließ, und wer genau in diese zumeist verschatteten, gesenkten Augen sah, welche die mühselige Arbeit überwachten, der mußte bemerken, daß dieselben hart und müde zugleich blickten.

Müde – das war es. Müde von der Arbeit, dem Nähen, dem gedankenlosen Glätten, welches doch so viele Aufmerksamkeit erforderte. Vielleicht auch müde vom Leben, welches sie in dieses Joch spannte.

Sie bügelte noch eine Weile, ohne den Kopf zu erheben, ganz bei der Sache. Da hörte das Pfeifen drüben auf, eine Thür ging, und es klopfte.

„Herein!“ sagte sie kräftig, und einen Moment spielte ein wohlwollendes Lächeln um ihre Lippen.

„Guten Abend, Fräuleinchen!“ erscholl die Stimme des alten Schneiders. „Will 'mal ein Viertelstündchen Weihnachten machen; ich habe eben den zweiten Aermel eingesetzt. Gottes Donner, was ist's hier nett warm! Mein Kanönchen wird nicht mehr lange vorhalten. Krieg' ich nachher das Bügeleisen?“

„Natürlich, Herr Fendel! Bitte, nehmen Sie Platz!“

Man war offenbar sehr höflich unter’m Dache der schwarzen Ecke. –

Der Schneider zog sich einen der tief ausgesessenen Rohrstühle in die Nähe des Ofens und rieb sich die Hände.

„Da wäre denn wieder einmal Weihnachten, Fräuleinchen! Sehen Sie, es ist doch alles auf der Welt nichts weiter, als was ich so ‚Illusion‘ oder Einbildungskraft nenne. Ich habe auch ’mal geglaubt, zum Weihnachten gehören ein Christbaum und Lichter und Geschenke. Jetzt bin ich vergnügt, wenn ich Tannenholz zum Feuermachen und Oel für meine grüne Schirmlampe habe, und geschenkt hat mir schon lange Niemand etwas, außer der Himmel jetzt einen ganzen Rock zu machen. Wenn ich nicht wüßte, daß andere Leute Tannen kaufen und behängen und sich beschenken, dächte ich, Weihnachten könnte gar nicht anders gefeiert werden, als wie ich es feiere. Und wenn’s nicht im Kalender stünde, daß morgen erster Feiertag ist, und der Schulmeister oder Pastor nicht den Leuten sagte, daß es Weihnachten giebt, dann lebten wir auch ohne Weihnachten. Das ist, was ich eine ‚Illusion‘ oder Einbildungskraft nenne.“

Das „Fräulein“, wie die schwarze Ecke sie hieß, seufzte, aber sie lächelte zugleich, als sie einen Augenblick aufsah.

„Das ist alles ganz schön, Herr Fendel, aber man weiß doch nun einmal, daß Weihnachten ist, und man hat doch nun einmal die Erinnerung voll Licht und Pracht und Tannenduft – und man gehörte doch gern zu den Glücklichen.“ Ihre Augen nahmen einen starren, sehnsüchtig träumerischen Ausdruck an, ehe sie wieder zu einer Falbel griff und das Eisen ansetzte.

„Zu den Glücklichen, sagen Sie, Fräuleinchen; ganz recht, ganz recht!“ fuhr der Schneider unbeirrt fort, indem er, Daumen gegen Zeigefinger gepreßt, durch die Luft fuhr, als zöge er seine Gedanken aus wie einen Zwirnsfaden. „Warum sind die Menschen nicht glücklich? Weil sie zu viel auf ihre Einbildungskraft geben. Wenn einer darauf etwas giebt, so schießen gleich allerlei Wünsche wie Pilze auf, und wenn einer seine Wünsche nicht erfüllt kriegt – das ist das Unglück.“

Ein tiefer Schatten flog plötzlich über das Antlitz der Näherin, und sie senkte den Kopf tiefer.

„Es ist wahr,“ sprach sie tonlos, sich gewaltsam überwindend. „Wünschen, das ist das Unglück.“

„Nicht wahr, Fräuleinchen?“ fuhr der Schneider freudig fort. „Sehen Sie, ich lasse meine Einbildungskraft gar nicht aufkommen. Weihnachtsbaum – Unsinn! sage ich zu mir. Hättest du nie einen gesehen, würdest du nie glauben, daß man einen Weihnachtsbaum nöthig hat, um glücklich zu sein. Kuchen, Torten, Lichter – ebenso. Alles andere ebenso, meine Nothdurft ausgenommen. Also ist alles das, was sich die Menschen wünschen, eigentlich nichts; also brauche ich es nicht zu wünschen. Und sehen Sie: weil ich es nicht wünsche, bin ich glücklich. Alles Unglück kommt von der Einbildungskraft und von den Wünschen, und das ist die Moral von der Sache.“

Ein Gepolter auf der Treppe, von hastig aufwärts stolpernden Füßen verursacht, dazwischen lustiges Kindergeplauder unterbrachen die philosophischen Betrachtungen des Schneiders.

„Da kommen ja unsere Rangen,“ schmunzelte er gutmüthig. „Sie scheinen guter Laune zu sein, Fräuleinchen; ich will doch ’mal zur Brenner hinüberhorchen. Es sind wirklich recht gutartige Kinder, unsere Kinder.“

„Ich will mitkommen, Herr Fendel; ich bin fast fertig. Ich thue Ihnen nachher gleich ein Eisen in den Bügel.“

Sie stellte ihr Werkzeug auf die Seite und schrob die Lampe etwas herunter. Dann gingen sie.

„Fräulein, Fräulein, wir haben einen Christbaum geschenkt gekriegt!“ empfing sie eine vergnügte Kinderstimme aus dem lustigen Gekrabbel drüben.

„Und Kuchen und Aepfel und Nüsse auch, und schöne Strümpfe.“

„Den Donner ja, wo habt Ihr denn das Zeug her?“ fragte der Schneider und betrachtete das kleine, mit grünem Papiergeschnitzel umwundene Gestell, an welchem es im Glanze einiger brennender Wachslichter von Rauschgold flimmerte. „Das giebt ja eine richtige Bescherung bei Euch.“

„Ein Mann hat’s uns gekauft, als wir vor einem Stande mit solchen Christbäumen stillhielten.“

„Eine Tasse Kaffee, Fräuleinchen – hier, Herr Fendel; natürlich, das lasse ich mir nicht nehmen!“ fiel die Wittwe ein. „Ich habe dem armen Menschen, dem Zeidler drüben, auch schon eine gegeben. Solch ein armer Teufel ist recht schlimm daran, der so sterbenskrank liegt und auf der Gotteswelt Niemand hat, der sich um ihn kümmert. Mir ist das Liebste am ganzen Weihnachten, daß wir gesund sind.“

„Da sehen Sie die Freude, wenn man etwas kriegt, das man gar nicht gewünscht hat, Fräuleinchen! Wenn man sich erst müde und ärgerlich gewünscht hat, macht es fast gar keinen Spaß mehr, wird’s einem endlich erfüllt. Ich sage immer: nichts wünschen!“

Und der Schneider zeigte voll Selbstgefühl auf die vier Kinder, welche ihre Strümpfe anprobirten, dabei jedes einen Apfel im Munde hatten und mit den blitzenden Augen glückselig auf den Christbaum blickten.

Die Näherin trank ihre Tasse leer. „Ich will doch auch nach dem Zeidler sehen.“

Sie nickte und ging leise hinaus. Eine schwach erleuchtete Scheibe, zu dem nur einen Bretterverschlag darstellenden Unterkunftsraum des Kranken gehörig, und ein von dorther tönendes Hüsteln zeigten ihr im Dunkeln den Weg.

Ein Nachtlicht brannte neben dem Bett; die Wittwe mochte es angezündet haben.

„Wie geht es Ihnen, Herr Zeidler?“

„Ich danke, Fräulein. Ich habe keine Schmerzen, und es ist mir so recht leicht und selig, nur – – das Sprechen wird mir noch sauer. Sie glaubne doch auch, daß ich gesund werde?“

„Ich hoffe es.“

„Ich auch.“

Der Kranke schwieg eine Weile. Dann richtete er die Fieberaugen groß zu der Näherin auf und winkte schwach mit einer Hand.

„Fräulein!“

Sie kniete neben dem Bette nieder.

„Sprechen Sie nur, aber leise; strengen Sie sich nicht an!“

„Ich wollte Ihnen etwas sagen. Als ich krank wurde, da

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