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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


verschweigen wollte, daß Josef zur Zeit, wo er zur Alleinregierung kam, keineswegs mehr der naivjugendliche Schwärmer von früher mit ungetrübtem Seelenspiegel war. Was er als Mitregent seiner Mutter hatte durchmachen, verbergen, verbeißen müssen, war ihm zu einer Schule der Verbitterung geworden. Mißtrauen und Argwohn hatten sich in ihm festgesetzt und verleiteten ihn häufig, das einzelnen Personen oder den Menschen im allgemeinen schuldzugeben, was nur die Schuld der Verhältnisse war. Daher seine oft so verletzend schneidende Sprache und sein maßloses Draus- und Dreinfahren. Er wußte wohl zu handeln, aber er verstand nicht, zu motiviren, vorzubereiten und annehmlich zu machen. Weil er selbst zielbewußt war, wähnte er, alle Leute müßten die guten Ziele, denen er sie entgegentreiben wollte, ebenso deutlich erkennen.

Und doch, trotz alledem und allediesem, war Josef für Oestreich der große Lichtbringer und Luftschaffer. Mochten selbst die besten seiner Entwürfe an der Ueberstürzung in der Aus- und Durchführung von vornherein teilweise scheitern, büßten auch die größten seiner Maßnahmen durch die Mangelhaftigkeit der Inscenesetzung, sowie durch die Beschränktheit und das Uebelwollen der damit beauftragten Beamtenschaft nicht selten gerade die wohlthätigste Seite ihrer Wirksamkeit ein, so bleibt doch ganz unbestreitbar wahr, daß, wie ich anderwärts gesagt und nachgewiesen[1]), des Kaisers reformatorische Unternehmungen und Veranstaltungen: – die Brechung des Geisteszwanges mittels des „Censuredikts“ von 1781, die bürgerliche Gleichstellung der Protestanten mit den Katholiken mittels des preiswürdigen „Toleranzedikts“ von 1781, die Aufhebung der bäuerlichen Leibeigenschaft, die Ablösbarkeit der Robot, die Herbeiziehung aller Staatsangehörigen zur Mitträgerschaft der Staatslasten („Steueredikt“ von 1789), die Reform der Civilgesetzgebung und der Strafrechtspflege („Civilgesetzbuch“ von 1786 und „Kriminalgesetzbuch“ von 1787), die Aufhebung von mehr als 700 Klöstern, die Förderung der Volksbildung durch Schuleinrichtungen, die Gründung und Ausstattung höherer Lehranstalten und humaner Heilstätten aller Art – zu den edelsten Kulturthaten nicht nur des 18. Jahrhunderts, sondern aller Jahrhunderte gezählt werden dürfen und müssen. Es ist durch diese Josefsthaten in den klafterdicken altöstreichischen Zwinger, aufgemauert aus Volksdummheit, Junkerselbstsucht und Pfaffenhochmuth, denn doch eine Bresche gelegt worden, so klaffend, daß sie nie wieder ganz vermauert werden konnte, wie sehr man sich auch nach Josefs Hingang die Wiedervermauerung angelegen sein ließ.

Man muß den vorjosefinischen Geisterzwang in Oestreich kennen, man muß wissen, daß ein Zeitgenoß des Kaisers, Sonnenfels, zu der Frage und Anklage sich berechtigt fühlte: „War es ein Wunder, wenn es da so lange Nacht blieb, wo man aus Plan und Absicht den Tag ausschloß?“ um zu verstehen, daß und inwieweit Josefs Censuredikt von 1781 ein wahrhaft hochsinniger Akt der Befreiung gewesen ist. Es war für dazumal ein im besten Sinne freisinniges Gesetz, wie schon der Paragraph 3 desselben darthun kann[2]). Die schöpferische Wirkung zeigte sich alsbald. In Wissenschaft, Kunst und Literatur regte es sich denkend und schaffend. Ein Geisterfrühling brach an, wie solchen Oestreich zuvor noch nie gesehen, und es war nicht die Schuld des hochherzigen Befreiers, daß nach seinem Verschwinden die Blüthen dieses Frühlings, bevor sie zu Früchten reifen konnten, durch den eisigen Wirbelwind einer brutalen Rückwärtserei von den Zweigen gerissen wurden. Josefs Duldsamkeit erstreckte sich bekanntlich, wie auf die nichtkatholischen Christen, so auch auf die Juden und die Freimaurer. Sein Judenpatent von 1782 markirt eine sehr wichtige Station auf dem Wege zur Judenemancipation. Die Freimaurerei sah Josef nur für eine gesellig gestaltete Auszweigung der aufklärerischen und humanitären Tendenzen des Jahrhunderts an, wobei er nicht anstand, das Ceremoniell der Brüderschaft als „Gaukelei“ zu bezeichnen. Mittels Kabinettsschreibens vom December 1785 stellte er die Freimaurer unter den Schutz des Staates.

Die Klösteraufhebungen haben das wildeste Bonzengegrunze gegen den Kaiser hervorgerufen, obzwar die aktenmäßig festgestellte Verrottung dieser Faulstätten die kaiserliche Maßregel vollständig rechtfertigte, ja nothwendig machte. Denn, wohlverstanden, Josef, welcher ja bis an sein Lebensende in allem Wesentlichen ein gläubiger Katholik war und blieb, unterschied scharf zwischen Klöstern und Klöstern. Kraft seiner Resolution vom 29. November 1781 verwarf er nur „diejenigen Orden, welche dem Nächsten ganz und gar unnütz sind und darum auch nicht gottgefällig sein können, also diejenigen Orden, welche keine Jugend erziehen, keine Schule halten, keine Kranken pflegen, sondern, sowohl männliche als weibliche, bloß vitam contemplativam führen“, d. h. kurzweg deutsch gesagt, faulenzen, wobei noch zu bemerken, daß diese Faulenzerei natürlich nur auf Kosten der gläubigen Dummheit des Volkes vegetiren konnte. Selbstverständlich hat das 19. Jahrhundert Kaiser Josefs „Sacrilegium“ wieder vollauf „gutgemacht“. Oestreich ist ja heutzutage wieder so glücklich, sich ein Klösterreich nennen zu dürfen.

Der Grundgedanke von Josefs Reichsregiment war die Staatseinheit. Wollte er diese – und warum sollte er sie denn nicht wollen? – so konnte er sie nur auf der Basis deutscher Bildung und Sprache planen und anstreben. Allerdings war der Kulturgrad der Deutsch-Oestreicher von dazumal nur ein sehr mäßiger; aber wo war denn – so wir von den östreichischen Niederlanden und der Lombardei absehen – in den östreichischen Ländern zu jener Zeit, wo war in diesem Gemengsel von Bevölkerungen, welche man damals noch nicht „interessante“ nannte, sondern als halb oder auch ganz barbarische kannte, überhaupt eine andere Kultur zu finden als die deutsche? Man hat nachmals den josefinischen Staatseinheitsgedanken aufgegeben und hat an die Stelle einer folgerichtigen Weiterverwirklichung desselben „autonomistische“ Experimente gesetzt. Es dürfte jedoch fragwürdig sein, ob es dann, wann diese Experimente zu ihren Zielen gelangt sind, noch ein Oestreich geben werde.

Die größte Verfehlung des Kaisers in Führung der auswärtigen Politik ist bereits berührt worden. Bei der ungeheuren Schwierigkeit des von ihm kühn unternommenen inneren Reformwerkes, welches ein viel längeres Leben als das seinige vollauf ausgefüllt haben würde, hätte er sich doppelt hüten sollen, in die Rolle eines Eroberers und Ländererwerbers sich hineinzuträumen. Er war kein Feldherr und er war kein Diplomat, was er doch beides im hohen, im höchsten Maße hätte sein müssen, um es mit denen aufnehmen zu können, mit welchen er es bei den Versuchen, seine Träume zu verwirklichen, zu thun hatte, mit Friedrich von Preußen und Katharina von Russland. Vielleicht darf man, die Sachen nicht politisch, sondern menschlich angesehen, auch sagen, daß Josef zu gut gewesen sei, um mit jenem gekrönten Aufklärer höchster Potenz und mit dieser gekrönten Aufklärungsheuchlerin tiefster Abgefeimtheit wettlaufen zu können. Friedrich und Katharina behandelten die Menschen, wie diese es verdienten und behandelt sein wollten, d. h. sie verblendeten, verbrauchten und verachteten dieselben, und hatten darum Glück und Erfolg, wurden bestaunt und bewundert. Josef glaubte an die Menschen, liebte und behandelte sie so, als wären sie sammt und sonders so idealistisch gestimmt, so wohlmeinend, redlich und pflichttreu und aufopfernd wie er selber, und darum mißlang ihm schließlich alles und wurde er verkannt, verketzert und gehaßt. Eine Politik, die etwas ausrichten, etwas Dauerndes schaffen will, darf sich niemals die Denkfaulheit des unteren und die Selbstsucht des oberen Pöbels zugleich zu Feindinnen machen.

Josef hielt die Menschen und die Völker für viel besser, als sie waren, sind und sein können. Sie gaben ihm schmerzlich zu fühlen, daß und wie sehr er sich getäuscht. Der Abend seines Daseins war voll von Bitternissen. Er mußte Abfall und Empörung ernten, wo er Völkerglück gesäet zu haben glauben durfte. Er sah sich von Feindseligkeit, Drohung und Aufruhr überall umdräut, sah sich gezwungen, die eigene Hand zerstörerisch an den von ihm unternommenen Reichsbau zu legen. Eine seiner Lieblingsschöpfungen nach der andern mußte er stocken, zerbröckeln, zusammenstürzen sehen. Sein Sterbebett stand inmitten der Trümmer seines Werkes. Aber bis zur letzten Stunde hat der gewissenhafte „Staatsverwalter“, wie er sich selber zu nennen liebte, seine Schuldigkeit gethan: noch in der letzten Nacht seines Lebens hat er bis um 10 Uhr mit seinen Sekretären Regierungsgeschäfte erledigt. Sieben Stunden später, im Frühmorgen des 20. Februars von 1790, ist der schwergeprüfte Mann gestorben. Unverstand, Niedertracht und Bosheit hatten die Nachricht von seiner tödtlichen

  1. Blücher; seine Zeit und sein Leben, 2. Aufl. I, 57.
  2. „Kritiken, wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen nun treffen, wen sie wollen, vom Landesfürsten bis zum untersten, sollen, besonders wenn der Verfasser seinen Namen dazu drucken läßt und sich also für die Wahrheit der Sache dadurch als Bürgen darstellt, nicht verboten werden, da es jedem Wahrheitsliebenden eine Freude sein muß, wenn ihm solche auf diesem Wege zukommt.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_823.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)