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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

freilich solche Kleiderschonung nicht, und wie leicht würde sie ihnen gemacht durch das Institut unserer „Dienstmänner“!

Wir treten nunmehr in die Periode des Rococo ein, Hatten unter Ludwig dem Vierzehnten die Zeit und die Tracht den Charakter des Aufgeblähten, Aufgebauschten und Bombastischen angenommen, so fiel in der Regierungsepoche Ludwig’s des Fünfzehnten Alles in’s Kleinliche und Gedrechselte. Es sind reizende Nippfiguren, diese Damen à la rococo, aber sie sind unnatürlich im höchsten Grade. Puder und Schminke bewirkten, daß in einiger Entfernung die ganze Damenwelt wie von einem Alter erschien; denn auch das Haar von achtzehn Jahren erhielt die Bleiche des Alters und das Gesicht von fünfzig Jahren die Frische der Jugend. Der Geist war nichts, die Figur Alles. Die Schminke unterstützten noch die Schönheitspflästerchen, aus schwarzem Taffet geschnittene Fleckchen in Form von Sonne, Mond, Sternen und Thieren. Ursprünglich dienten sie dem Zwecke, kleine Fehler des Teints zu bedecken, aber bald

Dreißigjähriger Krieg.       Rococo.       Ludwig XIV.
Deutsche Frauentrachten.
Originalzeichnung von Adolf Neumann.

behaupteten sie ihre Stellung für sich und glichen in der That zudringlichen Fliegen (daher ihr Name: mouches!), die ein Bild verunzieren. Man nannte sie scherzweise Postillons d’Amour, und der darin ausgesprochene war vielleicht noch der vernünftigste Zweck, dem sie dienten. Man brachte sie dabei in ein förmliches System und nannte die auf der Stirn klebende Mouche die majestätische, die, welche auf den Wangen saß, die galante, die auf den Lippen die kokette. Andere dienten zur Markirung des Lächelns in der Lachfalte, dem Grübchen, des Schmollens im Mundwinkel, des Zwinkerns im Winkel des Auges. Da sie der öfteren Erneuerung bedurften, so trugen die Damen eine Anzahl derselben immer in kleinen Kapseln bei sich.

Die Fontange ist verschwunden; dafür sind die Haare in gepuderten Ringellocken hoch aufgebunden. Die Taille mit der noch erhaltenen Schneppe ist noch weit enger und dafür der Rock um so umfangreicher geworden; denn es hat jetzt der Reifrock zum zweiten Male seinen Einzug in die Arena der Moden gehalten. Wie um sich für seine langjährige Mißachtung zu entschädigen, blies er sich jetzt noch weit mehr auf als zur Zeit des Glocken- und Tonnensystems. Er machte es den Herren jener Zeit im höchsten Grade schwierig, den Damen über einen ihrer beiden Seitenflügel hinweg die Hand zu küssen – und sie liebten das Handküssen ganz besonders, die galanten Herren des Rococo, mit ihren kleinen, zierlich gedrechselten Schnurrbärten. Mindestens war die Dame zur Erreichung dieses löblichen Zweckes genöthigt, den Oberleib weit nach hinten zu biegen, um über die truthahnartigen seitlichen Ausspreizungen hinaus zu kommen. Eine solche Reifrock-Dame bot für zwei hinter ihr herschreitende Herren vollständige Deckung. Da eine Annäherung von der Seite nicht möglich und von vorn nicht recht schicklich war, so wurde die Unterhaltung auf den Bällen und Gesellschaften vom Rücken her gepflogen.

In allen Fragen der Seßhaftigkeit galt eine solche Reifrockträgerin für zwei Personen. Da sahen sich selbst ehrwürdige Pastoren als galante Ehemänner genöthigt, eine Supplik an das hohe Consistorium zu richten, daß ihren ehrbaren Ehehälften „unter sothanen Umständen statt des bisherigen einen jetzt zwei Kirchensitze zugebilligt würden“. Dabei war der Reifrock selbst ein höchst launischer Geselle, der den Wechsel und die Veränderung liebte. Anfänglich erschien er in der Form einer Halbkugel, welche auf dem Fußgestell der hohen Stöckelschuhe wie ein gasgefüllter Ballon hin- und herbalancirte. Um das gefährdete Gleichgewicht zu erhalten, bediente sich seine Trägerin meist eines Stockes. Später nahm der Rock die bereits angedeutete ovalere Form an, indem er sich mehr nach den Seiten ausbreitete, hinten und vorn sich schmälerte, auch zur besseren Sicherung bis auf den Boden reichte. Nun konnte seine Besitzerin wenigstens von der Seite her durch eine nicht zu schmale Thür gelangen. Der Reifrock verschwand gegen Ende des Jahrhunderts wieder ziemlich. Zugleich war jene und die ihr kurz voraufgehende Zeit die Epoche der Unterröcke. Die Damen des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts trugen ihrer zehn bis zwölf im Winter und sechs bis sieben im Sommer und noch dazu aus den schwersten Stoffen, aus Sammet, aus Gold- und Silberstoff oder aus Atlas.

Aus der verlotterten Regierungsepoche Ludwig’s des Fünfzehnten wollen wir nur einer Extravaganz gedenken, der wahrhaft kolossalen Haarfrisuren, die sich auf den Köpfen der Damen aufbauten. Sie bewegten sich in den verschiedenartigsten Formen und Structuren. Besonders beliebt waren die des Igels oder Stachelschweins (à la hérisson. Eine andere (à la mappe monde) stellte die ganze Erdkugel dar, auf welcher die Grenzen der Länder durch farbige Bänder markirt waren; eine dritte (à la zodiaque) enthielt den Mond und die zwölf Bilder des Thierkreises. Bei der Frisur à la Pomone trug die Dame eine aus Taffet gefaltete Fruchtschüssel auf dem Kopfe mit Weintrauben, Birnen, Aepfeln u. dergl. Auch ganze Schiffsmodelle, Blumenkörbe, ja sogar nachgemachte Denkmäler, letztere als Huldigung berühmter Männer, balancirten die Damen mit der Gewandtheit eines italienischen Gypsfigurenhändlers auf den Köpfen. Die Frauen führten auch jetzt wieder das Regiment. Die Männer bückten und beugten sich vor ihnen; höflich und galant, trugen sie stets den Hut in der Hand und französische Galanterien im Munde. Ihre Embleme waren der Zopf und der Haarbeutel. In diesen Haarbeuteln trugen die guten Väter oft tagelang das Briefchen bei sich herum, das der Galan des verliebten Töchterchens durch den Friseur am Morgen hatte hineinstecken lassen. Abends nach dem Schlafengehen holte es das unschuldige Kind heraus und legte dafür die Antwort hinein, die der frisirende Figaro am anderen Morgen richtig an seine Adresse brachte.

Aus der sentimentalen Stimmung heraus, welche der Goethe’sche Roman „Werther’s Leiden“ und seine vielfachen Nachfolger in Deutschland verbreiteten, entstand die sogenannte Werther-Tracht: grüner Frack mit gelber Weste, Jabot und Hut mit hohem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_820.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)