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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 50.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.




Dorette Rickmann.
Eine Stralsunder Geschichte von 1786.
Von C. v. Sydow.
(Fortsetzung)


Dorette hielt sich nicht lange in der Stube auf; sie hatte draußen zu thun. Aber während sie noch Allerlei ordnete, bemerkte sie, daß der Vetter jetzt lauter und schneller redete, als vorher, ehe sie anwesend war, und als sie dann hinaustrat, fing sie von ihm einen pfeilschnellen Seitenblick auf, der ihr folgte.

Strohmeyer wendet sich darauf etwas zerstreut dem Alten zu. Dorette Rickmann hat ihm einen eigenthümlichen Eindruck gemacht, und dieser Eindruck verschärft sich im Laufe des Abends. Sie hat etwas, als sähe sie auf ihre Umgebung herab, auch wenn sie freundlich und hingebend ist, auch wenn sie still dasitzt und mit großen Augen lauscht, oder ihn nach Allerlei fragt, von dem er voraussetzte, daß sie es wisse. Sie fragt wie obenhin, und doch mit einer Miene, die nicht duldet, daß man nur eine Secunde mit der Antwort zögert; ein rasches Feuer leuchtet dabei aus ihren Blicken. Sie läßt sich belehren und hat doch das Ansehen, als theile sie eine Gnade aus.

Alles dies reizt den selbstbewußten jungen Mann; es stachelt ihn an zu interessanten Erzählungen. Doch er spricht mit einem Lächeln, als stehe er auf vornehmer Höhe und sähe auf Das herab, was er erzählt; er führt Dinge und Erlebnisse vor, wie ein Reiter sein Pferd vorführt, der selbst auf ihm bewundert sein will, aber eben deshalb lenkt er sein Roß gemächlich und mit kräftiger Hand; selbst wenn er galoppirt, hat es den Anschein, als erhitzten sich weder Thier noch Reiter. Und Johannes Strohmeyer galoppirt oft und gern: er schildert mit glühenden Farben, aber mit ruhiger Stimme, groß und wuchtig, wenn auch wenig liebenswürdig.

So erzählt er von der Riesenstadt, in der er drei Jahre gelebt hat: von ihren Prachtstraßen, den Boulevards, von dem Louvre-Palast und seinen Schätzen, von den Umgebungen dieser wunderbaren Stadt, von dem glänzenden Elend, das sie birgt, von dem schwachen König und der schönen jungen Königin, die aus Oesterreich nach Paris verpflanzt wurde und, wie ein lachendes Kind über Gräbern, auf dem Ruine des Landes tanzt. Er erzählt auch von den großen Gelehrten und Dichtern Frankreichs; er wird Doretten die Dramen von Racine und Corneille bringen und Voltaire’s Mahomed ihr vorlesen; denn er hat gehört, daß sie bei einem französischen Sprachmeister Unterricht erhalten hat. So erzählt er ihr von dem Verhältniß Voltaire’s zu dem großen Preußenkönig, der eben jetzt in Sanssouci zum Sterben krank sein soll.

Der soll sterben?“ ruft Dorette. „Der große Mann!“ Und nach einer Pause fährt sie fort: „Ich hab’ ein Bild von ihm beim alten Kammermusicus Müller gesehen. Ein gewaltiger Mensch! Einer zum Anbeten und Fürchten!“

„Wahrhaftig, Base Dorette, Sie können sich auch fürchten?“

„Warum nicht? Halten Sie mich für einen Engel oder für einen Teufel?“ fragt sie ernsthaft und mit sonderbarer Hast.

Johannes lächelt eigen und sieht sie an, als habe er ein Recht, es länger als Andere zu thun, ohne daß jedoch etwas Leidenschaftliches aus seinen Blicken spräche.

„Und dürfte ich wissen, warum Sie sich vor ihm gefürchtet hätten? Kennen Sie viel von seinem Leben?“

„Manches, aber Sie mögen sich nur das Bild ansehen, Vetter! Vielleicht bücken auch Sie sich vor dem scharfen Licht, das aus des Königs Augen blitzt, sind Sie gleich ein eingebildeter Mann.“

„Bin ich das? Woher wissen Sie das?“

„Sind Sie es etwa nicht? Denken Sie, die Seeluft ist mir nachtheilig auf’s Gesicht gefallen?“

„Doring, Doring!“ redet der Thorschreiber dazwischen, „wie redet das Mädchen wieder gottlos und ungalant! – Erzählt uns lieber, Johannes, wie Ihr’s beim gnädigen Herrn Grafen gehabt habt, und überhaupt von Euerem eigenen Leben.“

„Ja, Oheim, aber zunächst möchte ich noch von der Base Einiges mehr über die kalten, geistreichen Augen des alten Fritzen erfahren. – Was für eine Farbe haben seine Augen?“

„Hellblaue.“

Und kaum hat sie es gesagt, so fällt ihr die Handarbeit vom Schooße, und sie bückt sich darnach, aber Johannes hält sie schon in Händen und reicht sie ihr herauf; sie beugt sich nieder, um sie ihm abzunehmen, und sieht dabei in zwei schlau leuchtende hellblaue Augen, daß sie unwillkürlich erschrickt.

Dann erzählt Johannes von der Güte des Grafen, der ihn wie einen Sohn gehalten hat, ihn Bücher aus seiner Bibliothek lesen ließ, ihn oft an berühmte Orte führte und ihm außer den Dienststunden volle Freiheit gab.

Jetzt wird er den Grafen zurück auf die Insel begleiten und gleichzeitig seine Eltern in Ruschwitz besuchen, dann aber, wie der alte Inspector schon erzählt hat, in Stralsund bleiben.

Als der Vetter fort ist, fragt der alte Rickmann seine Tochter, wie ihr denn Johannes gefalle.

„Es wird sehr unterhaltsam sein, wenn er oft kommt,“ meint sie; „gut ist er nicht.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_813.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)