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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


dessen stand sie nicht an, Josefs Thätigkeit nach Möglichkeit einzuschränken, ja wohl auf gewissen Gebieten ganz brach zu legen. Mit Recht darüber ungehalten, zog er sich zeitweilig ganz von den Geschäften zurück oder suchte seinen Kummer auf Reisen zu vergessen. Allbekannt ist, welches Erstaunen die Einfachheit, Mäßigung und Lernbegierde des Grafen von Falkenstein – unter diesem Namen pflegte der Kaiser im Auslande zu reisen – im Jahre 1777 am Hofe von Versailles und in der schon dem großen Revolutionskrach sich zuschwindelnden pariser Gesellschaft erregten, sowie, daß er die Unbesonnenheit und Verschwendungssucht seiner Schwester, der Königin Marie Antoinette, ganz offen tadelte. Acht Jahre zuvor, 1769, war er in den Straßen von Rom vom Volke mit dem Rufe: „Evviva il imperatore!“ begrüßt worden und hatte den Kardinal Ganganelli als Papst Klemens den Vierzehnten aus dem Konklave hervorgehen gesehen.

In demselben Jahre 1769 hatte er seine berühmte Zusammenkunft mit Friedrich dem Großen zu Neisse in Schlesien, gegen welche Zusammenkunft der Groll Maria Theresia’s sich lange gesträubt. Hätten glücklichere Sterne über Deutschland gestanden, so würde sich aus dieser Begegnung der beiden Fürsten und aus einer zweiten, welche ein Jahr später zu Mährisch-Neustadt stattfand, wohl ein aufrichtiges Einvernehmen zwischen Oestreich und Preußen entwickelt haben. Es sollte nicht sein und hundert und etliche Jahre mußten noch vergehen, die furchtbarsten Krisen und Katastrophen, Kämpfe und Leiden mußten die beiden Staaten noch durchmachen, bevor ein solches Einvernehmen möglich wurde. Josefs Hast und Vorschnelligkeit wird deutlich aufgezeigt in den vertraulichen Berichten an seine Mutter über das Zusammentreffen mit Friedrich, welchen er zweifelsohne bewunderte und über den er dennoch sehr ungünstig urtheilte. „Der König“ – schrieb er – „hat uns mit Höflichkeit und Freundschaft überhäuft, aber alle seine Vorschläge lassen herausfühlen, daß man es mit einem Schelm zu thun hat. Ich glaube, daß er den Frieden wünscht, aber nicht aus gutem Herzen, sondern weil er sieht, daß er einen Krieg nicht mit Vortheil führen könnte.“

Friedrich seinerseits urtheilte viel besonnener und auch viel wohlwollender. „Ich bin“ – schrieb er im September von 1770 an Voltaire – „in Mähren gewesen und habe da den Kaiser besucht, der sich anschickt, in Europa eine große Rolle zu spielen. Er ist an einem bigoten Hofe aufgewachsen und hat den Aberglauben abgestreift; er ist im Pomp und Prunk auferzogen und hat einfache Sitten angenommen; er wurde mit Weihrauch großgenährt und er ist bescheiden; er glüht von Ruhmbegierde und opfert seinen Ehrgeiz der kindlichen Pflicht; er hat nur Pedanten zu Lehrern gehabt und besitzt doch Geschmack genug, Voltaire’s Werke zu lesen und zu schätzen!“

Von hochpolitischer, aber auch tieftrauriger Natur war die Reise, welche der Kaiser im Juni von 1780 nach Russland unternahm, um in Mohilew mit Katharina der Zweiten zusammenzutreffen, die persönliche Bekanntschaft der „Semiramis des Nordens“ zu machen, und, wenn immer möglich, die Zarin von dem Bündniß mit Preußen abzuwenden und zu einer Allianz mit Oestreich herüberzuziehen. Man muß der greisen Maria Theresia nachrühmen, daß sie ganz entschieden gegen diese Reise und gegen dieses Projekt war. Aber Josef brannte darauf und ließ sich nicht abhalten. „Ich kann nicht leugnen“ – schrieb er an Lascy – „daß ich neugierig bin, diese Bekanntschaft zu machen. Könnte ich dadurch die Galle des geliebten Friedrichs so aufregen, daß er daran umkommen würde.“

Ja, das war’s. Der unselige Dualismus zwischen Oestreich und Preußen, dessen einzelne Phasen und Metamorphosen Deutschland allzeit so schwer zu büßen hatte, regte sich wieder einmal mit seiner ganzen Schärfe. Josefs Reise nach Mohilew bezeichnete den Beginn vom Wettlauf des wiener Hofes mit dem berliner um die Gunst der Zarin, deren skrupellose, geradezu dämonische, infernalische Schlauheit Oestreich geradeso zur Förderung ihres „türkischen Projektes“ zu benützen verstand, wie sie Preußen zur Förderung ihres „polnischen Projektes“ vorzuspannen verstanden hatte. Es ist wahr, zu einer solchen fast kriechenden Unterwürfigkeit, zu einer so widrig-süßlichen Schmeichelei, wie Friedrich sie der Semiramis von der Newa gegenüber verschwenderisch bezeigte, hat Josef sich nicht entwürdigt. Aber doch ließ er sich von der Zarin mittels Vorspiegelung einer Theilung der Türkei zwischen Russland und Oestreich schließlich in einen Krieg mit den Türken hineingaukeln, welcher für ihn und für Oestreich so opfervoll und unglücklich wurde und nur den russischen Interessen diente.

Es ist nur zu gewiß und bildet eins der jammervollsten Kapitel der von solchen Kapiteln strotzenden Geschichte Deutschlands, daß die Wettbuhlerei des berliner und des wiener Hofes um die Freundschaft – gerechter Gott, die „Freundschaft“! – des Zarenthums dieses erst recht groß, mächtig, ländergierig und völkerfresserisch gemacht und jene lange und unselige Abhängigkeit unseres Landes von den Interessen, ja von den Launen dieses Zarenthums verschuldet hat, von welcher man jetzt annehmen darf, daß sie endlich aufgehört habe.

Daß Kaiser Josef in die gewissenlosen Tendenzen der Kabinettspolitik von damals mit leidenschaftlicher Hast eingegangen, das ist die schwärzeste Makel an ihm, eine Makel, welche nur Unwissenheit oder reptilische Geschichtefälschung zu vertuschen oder gar wegzuwischen sich versucht fühlen könnten. Josef war ein geradezu leidenschaftlicher Betreiber der ersten Theilung von Polen, welche mittels des Uebereinkommens zwischen Russland, Preußen und Oestreich vom August 1772 zur diplomatischen und ein Jahr später mittels der schnöden Vergewaltigung des polnischen Reichstages zur vollendeten Thatsache wurde. Die Gerechtigkeit will, daß man sage: Wie der Nutzen, so ist auch die Verschuldung Josefs bei diesem Raubgeschäfte großen Stils größer gewesen als die Friedrichs. Dieser konnte wenigstens zu seiner Entschuldigung Triftiges vorbringen. Durch des großen Königs Walten im Krieg und im Frieden war Preußen eine europäische Macht geworden, aber eine Großmacht, welche bedenklich einer auf ihre Spitze gestellten Pyramide glich. Es galt, der Pyramide eine bessere, eine breitere Basis zu geben. Es mußte – falls Friedrich sein eigenes Werk nicht zerstören wollte, und wie konnte er das wollen? – das schreiende Mißverhältniß zwischen der militärisch-politischen Stellung und Bedeutung Preußens und der materiell-territorialen Unterlage dieser Stellung und Bedeutung wenigstens annähernd ausgeglichen werden. Diese Ausgleichung mittels einer Vergrößerung des preußischen Staates durch Theile des von seinen Junkern und Pfaffen zu Grunde gerichteten, in der Agonie der Anarchie röchelnden Polens zu bewerkstelligen, dazu lag die Versuchung sehr nahe. Josef konnte eine solche Entschuldigung nicht für sich anführen. Das Ländergebiet Oestreichs war wahrlich groß genug, um eine Großmacht zu sein. Der östreichische Staat hätte weit mehr der inneren Festigung, Civilisirung und Entwickelung bedurft als der Vergrößerung nach außen. Maria Theresia’s Rechtsgefühl empörte sich vergeblich gegen das polnische Raubgeschäft, und wenn sie dem stürmischen Drängen ihres Sohnes und dem beharrlichen ihres ersten Ministers Kaunitz schließlich wich, so that sie es doch nicht, ohne in ihrem bezüglichen Handbillet an den letzteren der Welt ein unwidersprechliches Zeugniß zu hinterlassen, daß es sich um ein Verbrechen handelte, welches zugleich ein großer politischer Fehler war. „In dieser Sach, wo nit allein das offenbare Recht himmelschreiet wider uns, sondern auch alle Billigkeit und die gesunde Vernunft wider uns ist, mueß bekhennen, daß zeitlebens nit so beängstiget mich befunden und mich sehen zu lassen schäme.“ Friedrich hat sich freilich über die Bedenken und die Scham der Kaiserin in nicht eben feiner Weise lustig gemacht.[1] Allein heute darf man wohl die Frage aufwerfen, ob Maria Theresia hinsichtlich der Theilung Polens nicht richtig gesehen und gefühlt habe. Höfische Schreibsklaven, welche alles zu rechtfertigen

  1. Dem Zeugnisse des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel zufolge, welcher während des bairischen Erbfolgekrieges viel um den alten Fritz war und welchem der König eines Tages in Jägerndorf bei Tische inbetreff der Theilung Polens diese Mittheilung machte: – „Benoit (preußischer Gesandter in Warschau) hatte in Polen alte Ansprüche entdeckt, von welchen er wollte, daß ich sie zur Geltung bringen möchte. Ich ließ sie untersuchen, und da ich sie nicht unbegründet fand, baute ich meinen Plan darauf. Die Kaiserin von Russland nahm ihn alsbald an, aber Maria Theresia war viel zu gewissenhaft, darauf einzugehen. Ich schickte darauf Edelheim nach Wien, um den Beichtvater zu gewinnen, welcher dann Maria Theresia überzeugte, daß sie wegen ihres Seelenheils genöthigt sei, den Theil (von Polen), der ihr bestimmt war, anzunehmen. Darauf fing sie an schrecklich zu weinen. Unterdessen drangen die Truppen der drei Theilhaber in Polen ein und bemächtigten sich ihrer Antheile; Maria Theresia unter beständigem Weinen. Aber plötzlich hörten wir zu unserer großen Ueberraschung, daß sie viel mehr genommen hätte als den ihr bestimmten Theil; denn sie weinte und nahm ohne Aufhören, und wir hatten viele Mühe, daß sie sich mit ihrem Antheil am Kuchen zufrieden gab.“ Denkwürdigkeiten des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel. Von ihm selbst diktirt.
    Herausgegeben von K. Bernhardi (1866), S. 125.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 807. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_807.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)