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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


das ihm heute – leider – leider schöner und vornehmer denn je erschienen ist, für eine persönliche Beleidigung.

Es ist schon gegen Abend, als die Mädchen am Strande entlang wieder zurückgehen. Es ist kühl geworden. Dorette hat ihren bunten Shawl fest umgeschlagen; dagegen ist ihr der große aufgeklappte Hut von der hohen Frisur, welche sie besonders geschickt, halb nach neuester Mode, halb nach eigener Phantasie zu ordnen weiß, herabgeglitten, und kleine ungepuderte Haare wehen ihr lose über die breite Stirn.

„Warum bist Du so eilig, Dora?“ fragt Johanne, die wieder an ihrer Seite geht.

„Weil ich kochen muß und der Abend nicht auf mich wartet,“ sagt sie hastig.

Die blaue Fluth trägt jetzt weithin einen rothen Widerschein; der Wind bläst mit heftigeren Athemzügen, daß die Wellen bewegt durch einander schwellen, und von der Stadt her blitzen die Thürme des Rathhauses und der Sanct Marie golden herüber. Die Wimpel der Maste wehen reiselustig an den ruhenden Schiffen, und die weißen Möven flattern darüberhin.

Ein anderer Frühlingsabend weht wohl jetzt in den lauen Parkgängen und stillen Wäldern des Binnenlandes, aber auch dieser stürmische Hauch, der um die alte Meerstadt flattert, ist voll Wonne und Lebensdrang, voll Kraft und Glanz und voll ahnungsvoller Jugend, und es ist fast, als deckten seine rauheren Schwingen eine desto tiefere, schwellendere Sehnsucht nach den Gluthen des Sommers.

Dorette athmet manchmal tief auf; denn ihr ist, als trüge sie etwas in ihrer Brust, das sich nun aufthun wollte.

O, der thörichte Frühling!

Eine feierliche Neugier überfällt sie. Ihr Herz klopft heftig, als stände sie vor einer verschlossenen Thür, die sie nicht öffnen darf, da diese nur von selber aufspringt. – Wann wird sie aufspringen? Was wird dahinter sein? Oder wird sie sich ihr überhaupt nicht aufthun?

Als sie durch das alte Fährthor gehen, bricht Dorette in ein übermüthiges Lachen aus und zwickt Johanne halb unbewußt so heftig in den Arm, daß diese verwundert fragt, was das heißen soll.

„Nichts!“ antwortet sie schnell mit spöttischem Gesicht, und setzt hinzu, in Ton und Geberde ihren geistlichen Herrn den Pfarrer von St. Nicolai, nachahmend: „Die Mamsell Dorothea hat heute ihren Raptus per excellentiam.“

„O Dora, schon wieder!“ schreit Johanne leise. „Das thut ja weh.“

„Soll's auch,“ sagte Dorette seltsam lachend; „ich möchte aus der Haut fahren.“

„Vor Frühling?“

„Nein, ich bin nicht gefühlvoll. – Gute Nacht, Johanne! Gute Nacht, Lisbeth und Greting! Und wenn Ihr Herrn Putzbach seht, sagt ihm meinen graziösen Empfehl und ich wäre verzweifelt, daß er uns heute so bald verlassen hätte. Im Uebrigen hätte ich gewisse Wünsche und wäre mit einem gewissen schwedischen Officier versprochen.“

Und mit geschmeidiger Wildheit, daß die Kleider ihr um die schmalen Füße fliegen, ist das Mädchen im Hause des Thorschreibers verschwunden.




3.

In dem verschlossenen Hausflur horcht sie auf und bleibt stehn, und als ihre Freundinnen schon längst die Straße hinaufgegangen sind, lauscht sie immer noch an der Thür. In des Thorschreibers Stübchen wird lebhaft gesprochen; ein Fremder redet mit erhobener Stimme zu ihrem Vater. Jetzt hört sie, wie drinnen die Worte „Herr Oheim“ laut werden.

Sie hat es gewußt, daß Johannes Strohmeyer heute kommen wird; es befremdet sie nicht.

Wie schnell ihr Athem geht! Sie wird jetzt einen Mann kennen lernen, der aus – Paris kam – der die Welt sah – und – der ein Mann ist.

Leise schleicht sie durch die Küche in die Kammer und ordnet vor dem Spiegel das Haar, und fragend bohren sich dabei ihre Augen in die Augen des Bildes, das sie von sich selbst erblickt. „Bin ich hübsch?“ fragen diese Augen. „Sind wir schön?“ fragen sie.

„Ja!“ blicken die großen dunkelgrünen Augen im Spiegel und glänzen verheißungsvoll und schillern so räthselhaft, wie das blaugrüne Wasser im Bodden, wenn die Morgensonne es unruhig durchfunkelt. Dann steckt sie das weiße Busentuch sorgfältig über einander, damit es sich geordnet ihrer Gestalt anschmiege, und setzt das blendende Mützchen gerade und zierlich auf die etwas kühn gerathene Frisur, sodaß es wie ein kleiner jesuitischer Heiligenschein von Anmuth und Hausfrauentugend auf den ungezügelten Jugendübermuth des feinen, blühenden Gesichtes herabschaut.

Warum sollte auch der Vetter die Pariser Demoiselles anmuthiger gekleidet finden als sie?

Eine Secunde steht sie noch, den Griff der Thür zögernd in der Hand haltend; noch einmal lauscht sie – dann öffnet sie rasch und tritt zu den Sprechenden.

„Da bist Du ja, Doring!“ sagt der Thorschreiber, und Johannes Strohmeyer erhebt sich, sie zu begrüßen.

Und wie er so vor ihr steht, groß und dunkelblond, mit blitzenden Augen und kräftigen, ebenmäßigen Gliedern, richtet auch sie sich unwillkürlich zu ihrer ganzen Höhe empor, und ein seltsames Gefühl überkommt sie, daß sie ihn mißt, wie ein Gegner den andern mißt, ehe die tödtlichen Waffen zwischen ihnen klirren. Wie man den Widersacher anblickt, der uns zum Zweikampf forderte, so blickt sie auf ihn: streng, hoheitsvoll, mit gleichgültiger Ruhe.

Endlich hört sie auf, Strohmeyer anzustarren; langsam wendet sie den Kopf, als suche sie etwas im Zimmer.

„Glück zu Ihrer Verrichtung in Stralsund, Vetter!“ sagt sie dann, sich wieder zu ihm wendend.

„Danke, Base!“

„Nachdem Sie so viel von der Welt gesehen haben, wird's schwer halten, daß es Ihnen hier gefällt.“

„Wenn mir Zuspruch bei Ihnen erlaubt ist, schöne Base, wird es mehr als leicht sein.“

„Wollen doch abwarten! – Für einen Mann von Welt urtheilen Sie vorschnell.“

„Nehmt doch wieder Platz, Johannes Strohmeyer!“ bemerkt der Thorschreiber dazwischen, und der junge Mann folgt des Oheims Aufforderung.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Gast aus dem fernen Osten.
Studie aus dem Berliner zoologischen Garten von G. Mützel.


„He! Holla!“ rief mir am Charfreitage 1878 mitten im Menschengewühl des Berliner zoologischen Gartens Director Bodinus zu, „versäumen Sie ja nicht den Tragopan!“

„Balzt er wieder?“

„Prächtig, prächtig!“ erschallte die Antwort, und der andere Morgen – es war am 20. April – fand mich um acht Uhr vor dem geräumigen Gehege der Vögel, auf welche die Aufmerksamkeit der Leser zu lenken der Zweck dieser Zeilen sowie des begleitenden Bildes ist.

Schon seit einer Reihe von Jahren war Temminck's Tragopan (Ceriornis Temminckii), der Hornfasan, wie Brehm ihn genannt in Europa eingeführt; in mehreren zoologischen Gärten waren Pärchen gepflegt und beobachtet worden, doch nirgends hatte man bisher eine Balz, das Werbespiel des liebedurstigen Hahnes gewürdigt. Selbst die Forscher, welche den Tragopan in seiner fernen Heimath auffanden und Mittheilungen über sein Freileben machen, schweigen vollständig über die im höchsten Grade merkwürdigen Veränderungen, welche sich bei dieser Gelegenheit in der äußeren Erscheinung des Vogels vollziehen.

Im Jahre 1876 beobachtete Dr. Bodinus zuerst den Balz-Act und machte mir Mittheilung davon, doch trotz eifrigen Bemühens konnte ich damals des mir als entzückend geschilderten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_800.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)