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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Laviren und Diplomatisiren lebe. Lavirt und diplomatisirt sich doch unsere alte Muttererde selber alljährlich mühsälig um die Sonne herum.




2.

Zu seinen männlichen Jahren gekommen, war Josef eine stattliche und gewinnende Erscheinung. Urtheilsfähige zeitgenössische Beobachter, heimische und fremde, denen Schmeichelei fernlag, bezeugen das übereinstimmend.

Er war von mittelgroßem Wuchs, von schlankem, ebenmäßigem, nervigem Körperbau. Eine Stirne von schöner Wölbung, tiefblaue Augen, unter starken Brauen klar und durchdringend hervorblickend, eine kräftige, adlerschnäbelig gebogene Nase, ein Mund, welcher die hängende „habsburgische“ Unterlippe nicht besaß und sehr anmuthig zu lächeln verstand, in zorniger Erregung aber die Oberlippe soweit aufwärts zog, daß die Zähne zum Vorschein kamen, ein energisches Kinn, das lichtbraune Haar, welches er über der Stirne kurzgeschoren, an den Schläfen zu zwei Seitenlocken gerollt und im Nacken in einen kurzen Zopf gebunden trug – das alles bildete mitsammen ein wohlgefälliges Ganzes. Von seiner Mutter hatte er einen Gesichtsausdruck geerbt, der je nach den Umständen von imponirender Majestät zwanglos zu lächelnder Leutseligkeit überzugehen vermochte, und umgekehrt. Er war gesund, muskelstark, voll Kraft und Feuer, abgehärtet, in allen körperlichen Uebungen und Künsten gewandt. Er hielt sich sehr reinlich und kleidete sich sauber, aber einfach. Daheim in seinen Gemächern wie auf Reisen in die Fremde ging er in der sogenannten „deutschen“ Tracht mit dunkelfarbigem Frackrocke. Schmuck legte er selten an, auch keine Ringe. Von Uniformen trug er am liebsten die grüne, rothausgeschlagene der nach ihm benannten leichten Reiterregimenter (Chevauxlegers). Bei feierlichen Veranlassungen wußte er in der Feldmarschallsuniform, weiß und roth, und im blitzenden Ordensschmucke die kaiserliche Majestät recht gut herauszukehren. Sonst überschleierte zumeist ernste, fast schwermüthige Nachdenklichkeit seine Züge, aber dieser Schleier verschwand und wich dem Ausdrucke liebenswürdigster Offenheit und Güte, wenn er mit Menschen verkehrte, denen gegenüber er sich gehen lassen durfte. Er verstand es auch nicht übel, der Vorstellungsweise und Sprache der verschiedenen Volksklassen sich anzupassen und gelegentlich sich „populär“ zu machen. Verständige können freilich an und für sich kein Gewicht auf den Umstand legen, daß Josef auf den Reisen durch seine Provinzen einmal oder zweimal allerhöchsteigenhändig mit dem Pfluge eine Ackerfurche gezogen. Allein für eine Zeit, wo die „Götter dieser Erde“ und das „dumme Bauernvolk“ nichts mit einander gemein hatten als die Luft, bedeutete es doch mehr als eine bloße Komödie, wenn der Kaiser seine Hand da an den Pflug legte, wo unmittelbar zuvor die Hand eines Bauern gelegen.

Ein so frugales und bedürfnißloses Leben wie Josef haben gewiß nur sehr wenige große Herren geführt. Es ist bekannt, daß er, sobald er konnte d. h. unmittelbar nach dem Tode seiner Mutter, den sinnlos verschwenderischen Hofhalt auf den Fuß einer vernünftigen Einschränkung und Sparsamkeit setzte. Er war hierzu um so mehr berechtigt, als er in seiner eigenen Lebensweise ein Vorbild der Einfachheit, Mäßigkeit und Sparsamkeit aufstellte. Er schlief bis zu seiner letzten Krankheit auf einem Maisstrohsack, über welchen eine Hirschhaut gebreitet war; ein Leintuch mit leichter Decke und ein lederüberzogenes, mit Roßhaaren gestopftes Kopfkissen vervollständigten dieses gewiß nicht sybaritische kaiserliche Bett. Im Sommer um 5, im Winter um 6 Uhr aufgestanden, ging er mit seinen Kabinettsekretären sofort an die Erledigung von Regierungsgeschäften. Um 9 Uhr ließ er sich frisiren, rasirte sich selbst, kleidete sich für den Tag an und nahm Kaffee oder Chokolade zum Frühstück. Nach diesem begab er sich in sein Kabinett auf dem berühmten „Kontrolorgang“, wo alltäglich, wann er in Wien war, jedermann zu dem Kaiser Zutritt hatte, um ihm Wünsche, Bitten, Vorstellungen und Vorschläge vorzutragen. Von 12 bis 2 Uhr ging oder ritt oder fuhr er spaziren. Schöpfte er im Wagen frische Luft, so pflegte er die Zügel seines Zweigespanns selber zu lenken. Sein Mittagsmahl nahm er zwischen 3 und 5 Uhr, je nachdem die Geschäfte es erlaubten. Es war einfach genug und bestand, durch eine Mundköchin hergestellt, aus nur 2 Trachten von 6 Schüsseln, welche aber der Kaiser nicht alle kostete, indem er sich fast immer mit Suppe, Rindfleisch, etwas Gemüse, Braten, gekochtem Obst und süßem Backwerk begnügte. Spirituosen trank er gar nicht, sondern sein Lebenlang nur Wasser. Bloß im Feldlager und auch da nur auf Andringen der Aerzte genoß er etwas Ungarwein. In der Hofburg speis’te er gewöhnlich allein; weilte er aber in einem seiner Sommerschlösser, so liebte er Gäste zu haben. Nach der Tafel, welche nicht länger als eine halbe Stunde währte, an welcher aber eine ebenso anständige als zwanglose und, wenigstens in der früheren Zeit Josefs, muntere Unterhaltung herrschte, fand ein Koncert statt, bei welchem der kaiserliche Wirth häufig selber mitwirkte, sei es als Klavierspieler, sei es als Cellist. Er hat sich auch einmal als Tondichter versucht und eine Sonate zuwegegebracht, welche er dem großen Mozart zur Beurtheilung vorlegte. „Nun, wie finden Sie meine Sonate, lieber Mozart?“ „Hm, nun ja, Majestät, die Sonate ist schon gut; aber der sie gemacht hat, ist doch viel besser.“

Gerade in den Beziehungen Josefs zu Mozart trat der Zauber des Menschlichen, welcher jenem zu eigen, schön zu Tage. Der sparsame Kaiser, unter dessen Regierung die Völkerschaften Oestreichs zum erstenmal erfuhren, daß die Staatseinkünfte nicht zum Belieben und Vergnügen der herrschenden Klassen, sondern zur Deckung der Staatsbedürfnisse da wären, gab dem großen Meister einen Jahrgehalt von nur 800 Gulden. Von anderwärtsher, aus England, aus Berlin, erhielt Mozart Einladungen und Anerbietungen, welche ihm ein Einkommen sicherten, das, verglichen seinem bescheidenen wienerischen, ein glänzendes war. Aber Josef bat mit seiner unwiderstehlichen Freundlichkeit den Meister: „Bleiben Sie bei uns, lieber Mozart!“ und dieser: „Ich bleibe, Majestät.“

Die als „bezaubernd“ gerühmte Liebenswürdigkeit seiner Umgangsformen verdankte der Kaiser zweifelsohne dem Umstand, daß er sein Lebenlang gern in Damenkreisen verkehrte. Er befolgte einen bekannten Rath Göthe’s, ohne dessen Tasso zu kennen. In fraulichen Kreisen hat er auch wohl zuerst gelernt, den brutalen Er-Stil mit dem humaneren Sie-Stil zu vertauschen – auch ein Zeichen der Zeit, und zwar kein bedeutungsloses. Denn es lag ja in dem Gebrauch einer und derselben Anredeform zwischen Hoch und Niedrig, Vornehm und Gering doch auch ein Stück Ahnung vom Heraufdämmern eines neuen, des demokratischen Weltalters …

Nachdem das Nachmittagskoncert vorüber, ertheilte Josef Audienzen, hörte Vorträge und gab Bescheide. Dann begab er sich Abends 7 Uhr ins deutsche Theater oder in die italische Oper. In beiden bevorzugte er die komischen Stücke. Sein Lieblingslustspiel war Großmann’s auf die Rohheit, Plumpheit und Verschwendungssucht des Adels gemünztes „Nicht mehr als sechs Schüsseln“. Dem Zeugniß von Da Ponte zufolge, welcher bekanntlich das Textbuch zu Mozarts „Don Juan“ verfaßt hat, war der Kaiser einer der Ersten, welcher den Werth dieser herrlichen Tondichtung erkannte, die, wie jedermann weiß, bei ihren ersten Aufführungen den Wienern nicht gefiel. Josef sagte: „Das Werk ist himmlisch, lieber Mozart; es ist noch schöner als die ‚Hochzeit des Figaro‘, aber es ist kein Bissen für meine Wiener.“ Worauf der Meister: „Ei was, Majestät; man muß den Wienern nur Zeit lassen, den Bissen zu kosten.“

Nach dem Theater pflegte der Kaiser noch eine der kleinen Abendgesellschaften zu besuchen, welche in solchen Häusern der wiener Aristokratie stattfanden, wo Hausfrauen von feiner Bildung und gutem Ton „das Skepter der Sitte führten“. In seinen späteren Lebensjahren verbrachte Josef seine Abende zumeist in jenem Kreise von fünf älteren Damen (zwei Fürstinnen Liechtenstein, Fürstin Clary, Fürstin Kinsky, Gräfin Kaunitz) und drei Herren (Feldmarschall Lascy, Oberstkämmerer Rosenberg und Oberhofmarschall Kaunitz), wo er in der Form freundschaftlichen Gespräches einige Erholung von seinen schweren Sorgen fand. Noch von seinem Sterbelager aus hat der Kaiser in einem Schreiben voll Zartsinn und Erkenntlichkeit den fünf Damen für alle ihm erwiesene Güte, Nachsicht und Freundlichkeit gedankt. Gegen 11 Uhr fuhr Josef aus diesen Abendgesellschaften nach Hause, ließ sich die neueingelaufenen Depeschen und Berichte vorlegen und arbeitete, ohne ein Abendessen zu sich zu nehmen, oft bis lange nach Mitternacht. Allem leeren Prunk und Pomp war der Kaiser abhold, geräuschvolle und kostspielige Vergnügungen verachtete er, die Jagd liebte er nicht, das Spiel verdammte er und kaum jemals

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