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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege unserer eigenen Tage vorbehalten.[1]

Zieht man die Unzulänglichkeit seiner Erziehung in Betracht, so muß die Summe von Josefs Wissen und Können immerhin eine sehr achtungswerthe genannt werden. Nur sein ganz ungewöhnlich gutes Gedächtniß, seine reichquillende Phantasie und sein leichtes Auffassungsvermögen erklären die Erwerbung dieser Summe. Als junger Mann sprach und schrieb er fertig Deutsch, Latein, Französisch und Italisch, auch Magyarisch und Czechisch redete er geläufig. Seinen geschichtlichen, seinen rechts- und staatswissenschaftlichen Kenntnissen fehlte es nicht an Umfang, wohl aber an Vertiefung. Von dem Werth und von der Würde der Wissenschaft hatte er keine klare Vorstellung und im Ganzen achtete er Gelehrsamkeit und Gelehrte gering, was sich freilich großentheils aus der Beschaffenheit damaliger Gelehrsamkeit, sowie aus der elenden Knechtschaffenheit und Feilheit von so vielen Gelehrten erklären läßt. Der Vereinigung von wirklichem, fruchtbarem Wissen und Charakterfestigkeit bezeigte er Respekt: die neuesten Hefte von Schlötzer’s „Staatsanzeigen“ durften nie auf seinem Arbeitstische fehlen. Die Tagespublicistik freilich glaubte er verachten zu dürfen und das ist ihm zu nicht geringem Schaden ausgeschlagen. Denn indem er sich frühzeitig entwöhnte, ein offenes Ohr für die „öffentliche Meinung“ zu haben, gewöhnte er sich allzu sehr daran, diese auch dann geringzuachten, wann sie auf Beachtung vollwichtigen Anspruch hatte.

Sein ästhetisches Organ und Bedürfniß waren schwach. Nur die Musik, die er liebte und übte, hatte sich seiner wirklichen und warmen Theilnahme zu erfreuen. Die Schöpfungen von Haydn, Gluck und Mozart sind darum die glänzendsten künstlerischen Offenbarungen und Verherrlichungen der josefinischen Epoche. Weder zur Poesie noch zu den bildenden Künsten hat der Kaiser eine rechte Beziehung zu gewinnen vermocht. Sein literarischer Geschmack war so mangelhaft entwickelt, daß er den plumpen Blumauer dem feinen Wieland vorzog. In jüngeren Jahren, als ihm die ungeheure Arbeitslast, die er später auf sich nahm und die zu schleppen er sich abmühte, noch nicht alle freie Zeit raubte, las er viel und es entsprach ganz seiner Gemüthsart, daß er dem Abgott der vornehmen Welt Europa’s, dem skeptischen und witzsprühenden Voltaire, den begeisterten Idealisten und feurigen Schwärmer Rousseau bei weitem vorzog. Für die Bewegung der deutschen Literatur, welche sich aus einem Chaos von „Sturm und Drang“ zur klassischen Größe und Schönheit emporarbeitete, fehlte ihm das Verständniß und darum auch die Sympathie. Die Bedeutung der geistigen Großthaten Lessings, Göthe’s und Schillers blieb ihm verschlossen. Dennoch war er weit entfernt von jener hochmüthigen, eisigen Gleichgiltigkeit, womit Friedrich von Preußen die deutsche Literatur ansah. Diesem ist es, trotzdem daß Lessings drei große dramatische Dichtungen so zu sagen unter seinen Augen entstanden waren, niemals eingefallen, für die deutsche Schaubühne etwas zu thun. Josef dagegen hat das deutsche Schauspiel ausdrücklich unter seinen Schutz genommen und eine höchst bedeutsam fortwirkende Kulturthat verrichtet, indem er das wiener „Burgtheater“ schuf (1776), noch heute die deutsche Musterbühne.

Unter den in seinen jungen Jahren empfangenen Eindrücken, welche auf Josefs Charakterbildung ungünstig wirkten, darf sicherlich als einer der nachdrucksamsten die Stellung seines Vaters bezeichnet werden. Diese Stellung war, wenn nicht blankweg die einer Null, so immerhin doch nur die eines prachtvoll herausstaffirten Statisten. Maria Theresia liebte ihren Franz zärtlich, ja leidenschaftlich, aber trotzdem war und blieb sie die Eheherrin. Sie herrschte über die östreichischen Lande und der gute Franz war und blieb, obzwar er den langathmigen und pomposen Titel „Des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Imperator“ führte, auf die Rolle eines geachteten und geliebten Haus- und Familienvaters beschränkt. Er hatte sich auch mit guter Manier in diese Rolle hineingefunden und suchte und wußte seine viele vorräthige Zeit mittels allerhand Liebhabereien und Spielereien todtzuschlagen. Wenn er nicht in kaiserlicher Gala zu „repräsentiren“ hatte, welcher Obliegenheit er sich recht manierlich, ja sogar anmuthig zu unterziehen verstand, so machte er Bankgeschäfte, und zwar gute, oder er machte den Hofdamen den Hof, und zwar mehr oder auch weniger harmlos, oder trieb er die hohen Hazardspiele von damals, und zwar mit entschiedenem Glück, oder endlich führte er in der Loge „Zu den drei Kanonen“ als Meister vom Stuhl den Hammer. Das gehörte auch mit zur Signatur der östreichischen Zustände jener Zeit. Die Freimaurerei war unter Maria Theresia streng verboten, aber der Herr Gemahl der Kaiserin-Königin war Mitglied des verpönten und verfolgten Ordens, entrann, wie glaubhaft erzählt wird, einmal bei einem nächtlichen Ueberfall der genannten, dazumal im Margarethenhof am Bauernmarkt „arbeitenden“ Loge durch die Polizei nur mit knappster Noth dem tragikomischen Verhängniß, durch die Sbirren seiner Frau Gemahlin abgefaßt zu werden, und starb 1765 als Großmeister der Freimaurer Oestreichs.

Schon frühzeitig mußte sich dem lebhaften Geiste Josefs die Beobachtung der Inhaltslosigkeit von seines Vaters Stellung aufdrängen und man kann auf dem Wege psychologischer Schlußfolgerung leicht zu dem Resultat gelangen, daß der junge Prinz diese Stellung mit einem von Verachtung nicht ganz freien Mitleid angesehen und sich dadurch zu doppelter Thätigkeit, aber auch zur entschiedenen Herausbildung und herrischen Geltendmachung seiner Persönlichkeit angeeifert gefühlt haben müsse. Daraus dürfte sich, wenigstens zum Theil, der brennende Thatendurst erklären, welchen Josef zu erkennen gab, sobald er konnte, sowie die rücksichtslose Heftigkeit, womit er diesen Durst zu stillen trachtete. Solche Herrischkeit und Hastigkeit, sie waren es, welche das beste Herz, das jemals in einer Fürstenbrust geschlagen hat, mitunter bis zur Fühllosigkeit verhärteten und Josef vergessen machten, daß man sich zur Erreichung von Zwecken der Gerechtigkeit niemals ungerechter, zur Erreichung von Zielen der Menschenfreundlichkeit niemals grausamer Mittel bedienen sollte.

Das Facit von Josefs Bildungsgeschichte war demnach dieses: Ein vielseitiges, aber oberflächliches und lückenhaftes Wissen; ein warmes Gefühl für Recht und Unrecht, aber daneben doch auch eine starke Dosis vom Souveränitätsdünkel; ein kühn idealistischer Gedankenflug und eine mit den Ideen des Jahrhunderts der Aufklärung genährte Anschauung, aber verbunden mit einer illusionärischen Selbsttäuschung, welcher, weil sie es verschmähte, auf Wirklichkeiten, Möglichkeiten und Erreichbarkeiten die gebieterisch nöthige Rücksicht zu nehmen, bitterste Enttäuschungen folgen mußten; das lebhafteste Pflichtbewußtsein, aber keine verständige Regelung der Antriebe desselben und daher jene fahrige Vielgeschäftigkeit des Kaisers, welcher die Folgerichtigkeit mehr und mehr abging und die sich in der Erlassung von Dekreten und in der Zurücknahme von Dekreten, in Befehlen und Gegenbefehlen völlig erschöpfte; aufrichtige Begeisterung für die liberalen und humanitären Theorieen der Zeit, aber eine viel zu einseitig-optimistische Ansicht vom Wesen des Menschen und der Massen; eine hohe Auffassung der eigenen Stellung und Bestimmung, aber auch vielfache Ueberschätzung und Ueberspannung der eigenen Gaben und Kräfte, ein eigensinniges Festhalten falscher Gesichtspunkte, eine Verknöcherung schiefer Begriffe; ein heißes Verlangen nach Ehre und Ruhm, aber nicht jene ruhige Entschlossenheit und besonnene Thatkraft, welche die Stufen zum Ruhmestempel langsam, Schritt für Schritt, fest und sicher hinansteigt; ein glühender Drang, zu bessern und zu bauen, aber außer Standes, die richtigen Werkzeuge zu wählen, und viel zu ungeduldig, abzuwarten, wie gestern Gepflanztes[WS 1] heute dem Morgen entgegenreife. Josef hat nie begriffen, daß Geduld eine der nothwendigsten Eigenschaften eines guten Regenten sei und daß diese unsere Welt, wie sie nun einmal ist, des Diplomatisirens und Lavirens nicht entbehren könne, ja leider eigentlich nur vom

  1. Indessen ging die unselige Verirrung doch schon zu Josefs Zeit so weit, daß „wissenschaftliche“ oder, wie man dazumal sagte, „philosophische“ Versuche auftauchten, das allen Phantasten und Sentimentalitätskrämern verhaßte Princip der Verantwortlichkeit zu verneinen, d. h. an der Grundsäule aller socialen Ordnung zu rütteln. Als der Raubmörder Zahlheim, welcher mit kaltblütigem Vorbedacht seine alte Base ermordet hatte, im Jahre 1786 in Wien gerädert wurde – die letzte Räderung in Oesterreich – erschien eine Brandschrift, welche den Kaiser auf’s heftigste angriff, weil er das Todesurtheil bestätigt hätte, und welche den „Beweis erbrachte“, daß Zahlheim das Opfer der Unwissenheit seiner Richter gewesen, maßen er „nur in Folge der Umstände Räuber und Mörder geworden sei“, weil er „nicht die moralische Freiheit besessen, es nicht zu werden“. In unsern Tagen ist in demselben Wien die herrliche „wissenschaftliche“ Entdeckung gemacht worden, Verbrecher müßten Verbrecher sein, sie könnten gar nicht anders, weil ihnen die allgütige Mutter Natur den hinteren Gehirnlappen zu kurz gerathen ließe. Man sieht auch in diesem Falle, wie in gar vielen anderen, daß das 18. Jahrhundert nur irgendeinen Thorenwahn aufzuschwindeln brauchte, um sicher sein zu können, derselbe würde im 19. seine „wissenschaftliche“ Anerkennung und „Begründung“ finden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gepflanzes
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_791.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)