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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

2. Dem Mond.

Ich flüchte aus dem Licht der Sonnen
In deine bleiche Schattenwelt;
Erquickung strömt, ein frischer Bronnen,
Dein Strahlenquell am Himmelszelt.
Du wandelst über fernen Gipfeln
Wie ein geheimes Sehnen hin.
Und über den verklärten Wipfeln
Schwebst du, der Blüthen Königin.

Aufdringlich ist des Tages Leuchte,
Die spähend in’s Verborg’ne schaut;
Dich grüßt die Flur, die thränenfeuchte,
Die dir ein stilles Weh vertraut.
Und wachgeküßt von nächt’gen Winden
Erschließt die scheue Blume sich;
Wenn Schatten sich zu Schatten finden,
Ergreift’s die Seele heimathlich.

Ja, leuchten mag den ewig Klaren
Das Taggestirn mit prächtigem Schein;
Ein ahnungsvolles Offenbaren
Quillt aus der Mondennacht allein.
Wenn zwischen Blumen unter Sternen
Der Falter durch den Dämmer schwebt,
Dann wirst du das Geheimniß lernen,
Das zwischen Erd’ und Himmel webt.

Dann schmilzt und löst sich alles Feste,
Und jede starre Schranke bricht;
Dann scheint das Schlimmste wie das Beste
Dir nur das gleiche Traumgesicht:
Der Mächt’gen Trotz, die Noth der Armen,
Der Tugend Qual, des Frevels Lust,
Und mit unendlichem Erbarmen
Erfüllt der Menschheit Loos die Brust.




Kaiser Josef.
Den Deutsch-Oestreichern zur Säcularfeier von Josefs Thronbesteigung gewidmet
von Johannes Scherr.

Ich nenne Deutschland gern unser gemeinschaftliches Vaterland, weil ich es liebe und stolz darauf bin, ein Deutscher zu sein.

Kaiser Josef am 13. Juli 1787 an den Koadjutor Dalberg.

Saluti publicae vixit non diu sed totus (er lebte dem Gemeinwohl, nicht lange, aber ganz).

Inschrift seines Denkmals.
1.

In der zweiten Morgenstunde vom 13. März 1741 gebar Maria Theresia, die schönste Frau ihrer Zeit und eine der besten aller Zeiten, ihren ältesten Sohn Josef, welcher nachmals als Nachfolger seines Vaters Franz Stefan von Lothringen-Toskana in der schon sehr schein- und schemenhaft gewordenen deutschen Kaiserwürde Josef der Zweite hieß.

Die Geburt des Knaben fiel mitten in die schon angehobenen Drangsale und Nöthen des östreichischen Erbfolgekrieges, in eine Zeit also, wo, wie Maria Theresia noch 31 Jahre später mit Seufzen bezeugte, „alle meine Länder angefochten wurden und gar nit wußte, wo ruhig niederkommen sollte.“ Josefs Eintritt ins Leben war demnach von Vorzeichen umgeben, welche auf Unrast, Kampf und Sorge hindeuteten, und die Vorzeichen trogen nicht. Das Dasein dieses wahrhaft erlauchten Fürsten war voll Mühsal und Bitterkeit. Er hat in seinen 49 Lebensjahren soviel Verkennung und Undank erfahren, hat eine solche Last von Mißgeschicken und Widerwärtigkeiten, Enttäuschungen und Demüthigungen zu tragen gehabt, daß einer der Dichterlinge, welche um ihn die Todtenklage erhuben, jener Mönch Eulogius Schneider, der nachmals zum Apostel und Opfer des französischen Jakobinerthums wurde, den unglücklichen Kaiser wohl den „Dulder Josef“ nennen durfte.

Sein Unglück begann mit seiner Erziehung. Die Folgen der hispanisch-bigoten Abmauerung Oestreichs von Deutschland, wie sie seit Ferdinand dem Zweiten habsburgischer Staatsgrundsatz gewesen, waren der Art, daß zur Zeit von Josefs Kindheit, Knaben- und Jünglingsjahren dort gar keine Erzieher vorhanden sein konnten, welche das Zeug besessen hätten, den Prinzen auf die außerordentlich schwierige Herrscherrolle, welche er dereinst übernehmen sollte, genügend, auch nur annähernd genügend vorzubereiten. Gewiß war Maria Theresia eine ebenso zärtliche und sorgsame Mutter, als sie eine Gattin war, deren Tugend, Sittsamkeit und Pflichttreue in einer Epoche, wo schamloseste Ausschweifung an den Höfen für selbstverständlich galt und die herrschende moralische Pestilenz auch in der vornehmen Frauenwelt nur allzu große Verheerungen anrichtete, niemals auch nur von einem Schatten von Verdacht gestreift wurden. Aber die Kaiserin-Königin war trotz der nicht geringen Dosis von gesundem Menschenverstand, welche sie besaß, in einen zu engen Kreis der Anschauung und des Wissens gebannt, als daß sie hinsichtlich der Erziehung und Unterrichtung ihres Sohnes hätte darüber hinausgreifen wollen oder können. So waren denn Josefs Lehrer der Mehrzahl nach Mitglieder des Jesuitenordens, und es ist ja bekannt, in welchem seellosen Formalismus die Jesuitenpädagogik von dazumal sich bewegte oder vielmehr nicht bewegte, sondern stagnirte. Die Mutter hatte ein wachsames Auge darauf, daß der Knabe körperlich nicht verzärtelt würde, und er ist in Folge dessen zu einem Manne herangewachsen, welcher längere Zeit hindurch die oft übermäßigen Strapazen, die er sich zumuthete, rüstig und ohne Schädigung seiner Gesundheit zu ertragen vermochte. Allein inbetreff der Anstrengung und Uebung des Geistes ihres Sohnes huldigte Maria Theresia weniger gesunden Ansichten. Denn ihre bestimmte Willensmeinung ging dahin, daß man dem Prinzen allen Lehrstoff spielend beizubringen suchen müßte, und die genauere Befolgung dieser Maxime vonseiten der Lehrer Josefs mußte zu übeln Ergebnissen führen. Von einem gründlichen Lernen war der guten, ja theilweise glänzenden Begabung des Knaben ungeachtet keine Rede, sondern derselbe gerieth frühzeitig in eine fahrige Vielwisserei hinein, die sich gar bald zu einem hochmüthigen Herabsehen auf seine allerdings bornirten Lehrer und Erzieher aufsteifte. Er fühlte sich denselben geistig überlegen, was sollten sie ihn also noch lehren können?

Dazu kam, daß in Josefs Jünglingsjahren die so blendenden, so bestechenden, aber häufig so schiefen und falschen „neuen Ideen“ des „Zeitalters der Encyklopädisten“ wie durch die Mauern östreichischer Klöster, so auch durch die Wände der wiener Hofburg sickerten und sich mächtig genug erwiesen, den Prinzen zu einem halben oder ganzen Freigeist im Sinne der modischen „Freigeisterei“ von damals, obzwar keineswegs zu einem wirklich freien Geist zu machen. Denn in einer geräumigen Ecke von Josefs Seele hatte und behielt der rechtgläubige Katholicismus, wie er im Canisius steht, bis zuletzt seinen Altar. Das scharfargwöhnische Auge von Josefs großem Gegner, Friedrich von Preußen, ersah auch hier das Richtige, wenn er von dem jungen Erzherzog urtheilte, derselbe „habe bei aller Begierde, zu lernen, nicht die Geduld gehabt, sich zu unterrichten“.

Frühzeitig erhielt demzufolge Josefs Geist ein dilettantisches Gepräge, und das war ein großes Unglück für ihn selber und für das von ihm unternommene Reformwerk. Aus diesem Dilettantismus entsprang seine Unfähigkeit, die Dinge zu sehen, wie sie sind, entsprang sein Mangel an Kenntniß der Menschen- und Völkernaturen, entsprang seine Ungeschicklichkeit in der Kunst, mit den thatsächlichen Ziffern der Politik zu rechnen. Sein edler Sinn, seine Menschenliebe und Hochherzigkeit wogen diese Mängel nicht auf. Im Gegentheil, sie verstärkten dieselben. Denn gerade aus Josefs besten Eigenschaften quoll jener einseitige Idealismus und Optimismus, welcher ihn so häufig auf den Traumfittigen einer abstrakten Humanitätsduselei über die Welt der Thatsachen hinwegfliegen ließ und zu den bedauerlichsten Mißgriffen verleitete. Die faulsten Früchte dieser Duselei zu zeitigen, war freilich der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_790.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)