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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

der Neuzeit gedacht, indem sie von der Herstellung eines elektrischen Fernschauers (Telektroskop) träumten. Das Auge der Wirbelthiere stellt bekanntlich einen der Dunkelkammer (Camera obscura), wie sie die Photographen zur Bilder-Aufnahme gebrauchen, im bilderzeugenden Theile sehr ähnlichen Apparat dar, dessen Bildfläche, die Netzhaut, mosaikartig in kleine Felder getheilt ist, von denen je eine empfindende Nervenfaser, mit den andern zu einem ziemlich dicken Strange (Sehnerv) vereinigt, zum Gehirne läuft.

Eine ähnliche Dunkelkammer, deren Bildfelder aus Selenzellen bestehen, durch welche ebenso viele getrennte elektrische Ströme gehen, soll demnach den Aufnahme-Apparat des sogenannten elektrischen Teleskopes darstellen, welches sich ein amerikanischer Ingenieur, der sich Adriano de Paiva nennt, – erträumt hat. In den zu einem Kabel vereinigten Leitungsdrähten der Selenzellen würden demnach ebenso viele elektrische Ströme circuliren, deren Stärken durch die Helligkeit und Färbung der einzelnen Bildfelder bestimmt würden; denn je stärker eine Selenzelle beleuchtet wird, um so mehr Elektricität fließt hindurch.

Es käme also nur noch darauf an, diese metallenen Nervenfäden wiederum zu einer musivischen Bildfläche ähnlicher Art auszubreiten, auf welcher dann die entsprechenden Ströme die erregenden Helligkeiten und Farbentöne wieder zu erzeugen hätten, um ein elektrisches Auge zu haben, welches in Berlin oder Leipzig die Landschaften und Vorgänge zeigen würde, auf die sich in New-York oder Australien das Aufnahme-Auge soeben gerichtet hätte. Der hinter dem obengenannten Pseudonym verborgene speculative Amerikaner

Bell’s Photophon.

hat leider auszuführen vergessen, wie er sich die genauere Einrichtung des Wiedererzeugungs-Apparates denkt. Er beabsichtigte freilich wohl weiter nichts, als sich die Priorität eines Traumes zu sichern, dessen Erfüllung ja in den Grenzen des Denkbaren und Möglichen zu liegen scheint.

Greifbarer ist schon in dieser Richtung das Project eines Franzosen, des Herrn Senlecq von Ardres, in welchem es sich einzig um die elektrische Uebermittlung des auf der matten Glasplatte einer Camera obscura entstehenden Bildes vermittelst des nur einer einfachen Leitung bedürfenden, zeichnenden Telegraphen handeln würde. Auch hier müssen wir der Kürze halber den geneigten Leser ersuchen, eventuell die genauere Beschreibung der zeichnenden Telegraphen in einem früheren Jahrgange der „Gartenlaube“ (1877, S. 49) freundlichst nachlesen zu wollen. Bei denselben läuft, wie wir kurz wiederholen wollen, eine Metallspitze in engen Parallellinien über die zu telegraphirende Linienzeichnung oder Handschrift, die mit einer besonderen Tinte auf Metallgrund gemacht ist, her und hin, als ob sie den letzteren mit einer Schraffirung bedecken sollte. Durch diesen Stift geht beständig ein elektrischer Strom, der nur durch die Tinte unterbrochen wird, wenn die Metallspitze einen Strich der Zeichnung kreuzt, in die Ferne. Die durch ein künstliches Uhrwerk in völlig gleichem Gange erhaltene Zeichenspitze des Empfangapparates zeichnet nun dieselben engen Parallellinien in einem durch den elektrischen Strom erzeugten Farbstoff auf präparirtes Papier, und nur an den Kreuzungsstellen der Zeichnung, wo der Strom ausbleibt, entsteht auf der Empfangsstation eine weiße Stelle, sodaß sich die Zeichnung hell auf farbigem Grunde daselbst wiedererzeugt. Eine ähnliche Spitze, wie die des Absenders beim zeichnenden Telegraphen, aber eine aus metallischem Selen bestehende, soll nun in Selecq’s Telektroskop das Bild der Camera obscura „abtasten“, und seinen verschiedenen Schattirungen und Farbentönen entsprechend modificirte elektrische Ströme in die Ferne senden. Die zeichnende Spitze der andern Station soll dann aus einem weichen Bleistift bestehen, der um so stärker gegen das Papier gedrückt wird, je schwächer die ankommenden Ströme sind, und umgekehrt, und somit wird dieser Stift das Bild der in der Ferne aufgestellten Dunkelkammer getreu wiedergeben. Wir wollen nur noch bemerken, daß verschiedene andere Physiker ähnliche Verkörperungen dieser, wie gesagt, in der Luft liegenden Idee ausgesonnen haben, wahrscheinlich, ohne daß eines dieser Projecte das Stadium der Ausführung erreicht hat.

Anders verhält es sich mit einer Anwendung derselben Eigenschaft des Selens, die der berühmte Erfinder der sich allseitig bewährenden Form des Telephons, Professor Alexander Graham Bell, gemacht hat, und bei der es sich sozusagen darum handelt, den Lichtstrahl zu hören. In einem vor der Londoner Royal Institution am 17. Mai 1878 gehaltenen Vortrage sprach Bell von der Möglichkeit, einen Schatten zu hören durch Unterbrechung der Wirkung des Lichtes auf Selen. Dies führte ihn auf den Versuch, die menschliche Sprache oder andere Töne mit Hülfe eines Bündels paralleler Lichtstrahlen, also ohne Vermittelung eines Drahtes, in die Ferne zu senden, woselbst sie, durch Selen in Schwankungen elektrischer Ströme übersetzt, in einem Telephone gehört werde können. Wir wollen nicht von den Schwierigkeiten erzählen, die sich ihm auf diesem Wege entgegenstellten, sondern nur darlegen, in wie einfacher oder geradezu eleganter Weise er dieses Problem im Verein mit Sumner Tainter gelöst hat.

Wie dem Leser bekannt sein wird, werden in dem Telephon nicht die elektrischen Ströme, sondern die Schwankungen derselben hörbar, und wenn man die Tonschwingungen in entsprechende Undulationen (Schwingungen) von Lichtstrahlen umwandeln könnte, die man durch eine Glaslinse parallel macht, so würde man diese Undulationen leicht in bedeutende Entfernungen senden können, um sie dort mittelst einer empfindlichen Selen-Vorrichtung zuerst in elektrische Schwankungen und diese dann im Telephon wieder in Töne zurückzuwandeln.

Nachdem die Erfinder sich zunächst durch Erhitzen von gewöhnlichem Selen bis zum beginnenden Schmelzen ein noch viel empfindlicheres „metallisches“ Selen, als man bisher kannte, bereitet und dieses in möglichst entsprechender Form zu einem „Empfänger“ verarbeitet hatten, konnte die Hauptschwierigkeit als überwunden gelten; denn die Verwandlung der Tonschwingungen in undulirende Lichtstrahlen – man gestatte der Kürze wegen diesen nicht völlig einspruchfreien Ausdruck – macht so wenig Schwierigkeiten, daß dem dazu dienenden Apparate nicht weniger als fünfzig verschiedene Formen gegeben werden konnten, die alle mehr oder weniger vollkommene Ergebnisse lieferten. Wir wollen indessen hier nur die bewährteste und einfachste Form dieser Vorrichtung, welcher ihre Erfinder den Name Photophon (Lichtsprecher) beigelegt haben, kurz beschreiben. Dieselbe besteht aus einem ebenen Spiegel (B) von elastisch biegsamem Stoff (am besten aus versilbertem Glimmer), auf dessen Rückseite mittelst eines kleinen Schalltrichters die Stimme des Sprechenden gerichtet wird. Das auf den Spiegel durch eine Glaslinse (A) concentrirte Sonnen- oder Lampenlicht wird dadurch in Schwingungen zurückgeworfen, die denen des Spiegels entsprechen. Auf der Empfangsstation, die bei Anwendung von elektrischem oder Sonnenlicht, wenn die Strahlen durch eine zweite Linse (C) wieder parallel gemacht worden sind, sehr weit entfernt sein kann, werden die Strahlen von einem parabolischen Hohlspiegel (E) aufgenommen, in dessen Brennpunkt sich die lichtempfindliche Selen-Vorrichtung (D) befindet, die mit dem Localstrom einer Batterie (F) und einem Telephon (G) verbunden ist. (Siehe die Figur.)

Mit diesem Apparate sind eine große Anzahl von Versuchen angestellt worden, die ergaben, daß das gesprochene Wort und andere Töne auf das Getreueste in Lichtschwankungen verwandelt werden konnten, welche dieselben nach Entfernungen trugen, in denen das gesprochene Wort selbst nicht mehr gehört werden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 788. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_788.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)