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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

leistete. 1870 wurde er zum Landtags-, 1874 auch zum Reichstagsabgeordneten Danzigs gewählt und übernahm 1874 nach Einführung der neuen Provinzialordnung das Landesdirectorat der Provinz Preußen, ein Amt, das er jedoch in Folge der Theilung der Provinz wieder niederlegte. Im Parlament zählt Rickert zu den hervorragendsten, besonders in wirthschaftlichen Dingen allseitig erfahrenen Rednern. Sein persönliches Wesen erscheint mild und versöhnlich, und er war nicht selten geneigt, mit der Regierung einen Compromiß zu schließen.

Um so charakteristischer ist es für die heutige innere Lage, daß selbst ein so versöhnlich gesinnter Geist vor einer Unterstützung des Herrn von Puttkamer zurückscheute und an die Spitze der Opposition in der nationalliberalen Partei trat, welche, über vierzig Mitglieder stark, die kirchenpolitische Vorlage von 1880 auf’s Nachdrücklichste verwarf.

Unter den Unterzeichnern des Aufrufs vom 31. August dieses Jahres begegnen uns noch andere allbekannte und klangvolle Namen von Männern, die den Lesern der „Gartenlaube“ nicht unbekannt sind, wie der humorvolle Präsident des volkswirthschaftlichen Congresses Dr. Karl Braun, Gustav Lipke, Reichstagsabgeordneter für Schwarzburg, Georg von Bunsen, Alexander Meyer. Lasker, der einen wesentlichen Einfluß auf die Initiative der Unterzeichner geübt, hatte zunächst den Aufruf nicht unterschrieben, da er ja bereits früher ausgetreten war. Von anderen Männern, meist früheren Parlamentariern, die ihren Beitritt bereits ausgesprochen, nennen wir Justizrath Lesse, Dr. Kapp, den ausgezeichneten Historiker und Kenner überseeischer Zustände, und den allverehrten Professor Theodor Mommsen, der in einer gewissermaßen constituirenden Versammlung am 8. September sich mit Wärme für die Motive und Ziele der Secession aussprach.

Wenn die Secessionisten sich das Ziel gesteckt, nicht eine neue Fraction, sondern den Stamm der großen liberalen Partei der Zukunft zu bilden, so ist diesem Bestreben von Seiten aller freisinnigen Vaterlandsfreunde nur Glück zu wünschen. Zeit ist es allerdings, daß das deutsche Bürgerthum wieder einmal aus seinem politischen Schlummer aufgerüttelt werde und die Zuversicht zum endlichen Siege der liberalen Ideen wieder Kraft gewinne. Die Zersplitterung der liberalen Partei in sich schließlich feindselig bekämpfende Fractionen hat bereits Schaden genug gestiftet, und so muß ja endlich dem freisinnig und unabhängig denkenden Theile der Nation mit zwingender Macht sich die Erkenntniß aufdrängen, daß nur die Vereinigung aller wirklich freisinnigen Parteien im Stande ist, die Indifferenten und Kleinmüthigen im Volke wiederzugewinnen, die Regierung von weiteren reactionären Schritten zurückzuhalten und dem Liberalismus den gebührenden Einfluß auf die Staatsverwaltung zu sichern.

Heinrich Steinitz.




Telektroskop und Photophon.
Die merkwürdigen Eigenschaften des Selen. – Das Selenauge von Siemens. – Adrianno de Paiva’s elektisches Teleskop. – Senlecq’s telegraphische Photographie. – Hörbare Schatten. – Bell’s Photophon und die Licht-Telegraphie. – Licht als Schallerreger.

Wer erinnerte sich nicht aus seiner Jugend noch jener Märchen, in denen ein Zauberspiegel die Hauptrolle spielt, in welchem man sehen kann, was in fernen Landen vor sich geht? Schon seit Jahresfrist schwirren in der ausländischen Presse, namentlich in den amerikanischen Journalen, Gerüchte über eine Verwirklichung dieses Märchentraums, das heißt über ein Instrument, welches für das Auge leisten soll, was das Telephon für das Ohr zur Wirklichkeit erhoben hat. Wir würden den Leser mit diesen augenblicklich in der Luft liegenden Zukunftsträumen nicht unterhalten, wenn in einer ähnlichen Richtung nicht bereits Schritte gethan wären, die überaus merkwürdige Ergebnisse geliefert haben. „Wollt ihr wissen, was für Augen es sind, womit ich sie sehe durch alle Land’?“ fragte einst Walther von der Vogelweide, und der Zukunfts-Elektriker hofft ihm antworten zu können: „es sind Augen, die man aus Selen gemacht hat“. Zunächst also einige Worte über diesen bisher fast unbenutzten, aber mit einem Male sehr hoffnungsvoll gewordenen Stoff selbst!

Im Jahre 1817 unternahmen die berühmten Chemiker Berzelius und Gottlieb Gahn eine Untersuchung der früher gebräuchlichen Fabrikationsmethode der Schwefelsäure durch Rösten von Schwefelkiesen. Sie fanden in dieser Säure einen röthlichen oder hellbraunen Bodensatz, der vor dem Löthrohre einen eigenthümlichen Geruch verbreitete, nicht unähnlich demjenigen, welcher nach Klaproth den Tellurverbindungen eigen ist. Genauere Untersuchungen ergaben, daß in diesem Niederschlage wirklich ein dem Tellur ähnliches Element vorhanden war, dem Berzelius den Namen Selen (nach der Mondgöttin Selene) beilegte, um dadurch der Verwandtschaft mit dem nach dem Erdgotte Tellus benanten Tellur Rechnung zu tragen. Mit der Zeit erkannte man, daß es dem Schwefel beinahe noch ähnlicher ist, und daß es mit diesem, dem Phosphor und anderen Elementarstoffen die Eigenthümlichkeit theilt, in verschiedenen (allotropischen) Zuständen aufzutreten, die sich durch sehr ungleiche physikalische Eigenschaften auszeichnen. Nach einigen weniger eindringenden Beobachtungen von Knox wies der deutsche Physiker Hittorf zuerst (1852) nach, daß das bei sehr langsamer Abkühlung des geschmolzenen Selens entstandene sogenannte „metallische“ Selen, welches einen matten Bleiglanz zeigt und selbst in dünnen Blättchen völlig undurchsichtig ist, die Elektricität leitet, während das schnell abgekühlte, glänzend schwarze und in dünnen Blättchen rubinroth durchscheinende, sogenannte „glasige“ Selen die Elektricität gar nicht leitet. Hittorf bemerkte ferner, daß das Sonnenlicht auf den Uebergang der einen Modification in die andere von großem Einflusse ist, und diese Beobachtung ist im Hinblick auf die neueren Entdeckungen von besonderem Interesse.

Das Selen hatte lange Zeit nur für den Fachchemiker Interesse, bis der Elektriker Willoughby Smith auf die Idee kam, Barren von metallischem Selen, wegen ihres großen Leitungswiderstandes, als Hülfsmittel bei der Legung und Prüfung der unterseeischen Telegraphenkabel anzuwenden. Der als gleichbleibend vorausgesetzte Leitungswiderstand wurde hierbei außerordentlich veränderlich gefunden, und der Assistent des Genannten entdeckte, daß dieser Widerstand geringer war, wenn der Selenbarren sich im Lichte befand, als wenn er von Dunkelheit umgeben war.

Smith theilte diese anfangs mit Unglauben aufgenommene Entdeckung im Februar der gelehrten Welt mit. Sie wurde aber bald von einer Reihe von Physikern, unter denen wir Sale, Draper, Moß, Adams, Lord Rosse, Day, Sabine und Andere nennen, bestätigt, und die fortgesetzten Versuche dieser Männer ergaben, daß es nur die sichtbaren Lichtstrahlen sind, die je nach ihrer Intensität und Schwingungsart das metallische Selen stärker oder schwächer beeinflussen und zwar derartig, daß es genau in demselben Maße die Elektricität besser leitet, in welchem die Stärke des auf dasselbe wirkenden Lichtes zunimmt.

Das Verdienst, diese Entdeckung zuerst praktisch verwendet zu haben, gebührt dem berühmten Berliner Elektriker Werner Siemens. Ihm gelang es zuerst, sogenannte Selenzellen herzustellen, in denen theils durch eingelegte Platindrähte, theils durch Verwendung von Metallen, die mit dem von ihnen umschlossenen Selen an der Berührungsfläche chemische Verbindungen bilden, der Leitungswiderstand so vermindert ist, daß diese Zellen die höchste Empfindlichkeit gegen Licht zeigen und die Elektricität im Lichte fünfzehnmal besser leiten als im Dunkeln. Wir haben den Lesern der „Gartenlaube“ schon früher (Jahrgang 1876, Seite 780) erzählt, daß Werner Siemens mittelst seiner sehr empfindlichen Selenzellen ein elektrisches Photometer zum Messen der verschiedenen Lichtstärken construirt hat, während sein Bruder Wilhelm Siemens in London sie zur Herstellung eines künstlichen Auges verwendete, welches wie ein lebendes, von zu starkem Lichte geblendet, die Lider schloß, und im Stande war, die verschiedenen Farbentöne durch mehr oder minder starke Bewegungen einer Magnetnadel zu unterscheiden.

Wir bitten den geneigten Leser die genauere Beschreibung dieses Selen-Auges an der obigen Stelle nachlesen zu wollen; denn an ein derartiges, dem thierischen Auge in seinem gesammten Bau noch genauer nachgebildetes Auge haben verschiedene Physiker

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_787.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)