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verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


dürfte: „Solches alles und dergleichen laß ich Herrn und Rath schaffen und machen, wie sie wollen; es gehet mich nichts an. Aber so man begehret, für den Kirchen oder in den Kirchen sie zu segnen, über sie zu beten, oder sie auch zu trauen, sind wir schuldig dasselbe zu thun.“ (Luther.)

Während also die römische Kirche, ihren auf Weltherrschaft und die Unterordnung des Staates abzielenden Plänen gemäß, allein durch dogmatische Vorschriften die Ehegesetzgebung regeln wollte, brachte die Reformation ein neues Princip in das Leben der Völker hinein; an die Stelle der uniformen kirchlichen Gesetzgebung über die Ehe sollte nunmehr eine staatliche treten, welche die gegebenen Verhältnisse jedes einzelnen Landes berücksichtigte.

Kaum war aber die protestantische Kirche zu äußerer Macht gelangt, so wurde sie sogleich ihren ursprünglichen Principien der Freiheit und Duldung untreu, und schonungslos verfolgte auch sie alle Andersdenkenden. Dieses schreiende Unrecht, welches in den katholischen Staaten die Protestanten und in den protestantischen die Katholiken und Dissidenten erleiden mußten, drängte die weltliche Macht zur radicalen Lösung der Frage, nöthigte die Staaten, die ihren Bürgern gleichen Schutz gewähren sollten, zur Emancipation der Ehegesetzgebung von dem einseitigen intoleranten Einflusse der Kirchen.

Zum ersten Male erfolgte die gesetzliche Einführung der Civilehe schon im sechszehnten Jahrhundert. Nach der Unabhängigkeitserklärung der Niederlande hatte in den ehemaligen spanischen Provinzen die protestantische Kirche festen Fuß gefaßt; ihre Macht bekundete sie aber sogleich durch die Verfolgung der Katholiken. Katholiken und Dissidenten wurden genöthigt, ihre Taufen und Trauungen durch reformirte Geistliche vollziehen zu lassen.

Da erhoben sich die Staaten der Provinzen Holland und Westfriesland und führten am 1. April 1580 die facultative Civilehe in der Weise ein, daß allen Holländern und Westfriesen verstattet wurde, bürgerliche Ehen zu schließen. Es ist ihnen nicht gelungen, den Hauptconfessionen gleiche Rechte zu verleihen, der Trauung der Katholiken und Dissidenten vor ihren eigenen geistlichen bürgerliche Rechtswirkung einzugestehen, aber sie betraten den allein richtigen Weg der Emancipation des Staates von der kirchlichen Oberherrschaft. Am 18. März 1656 wurde diese Ehe-Ordnung auf die ganzen Niederlande ausgedehnt, und sie wich erst im Anfange dieses Jahrhunderts der obligatorischen Civilehe, welche bis auf den heutigen Tag in dem Königreiche der Niederlande zu Recht besteht.

Verwickelter waren die Verhältnisse, welche in England zur Einführung der Civilehe Veranlassung gaben. Als im siebenzehnten Jahrhundert die Ideen des Protestantismus dorthin gedrungen waren, führten sie zu der englischen Revolution, welche auf dem religiösen Gebiete jedes an die katholischen und englisch-hochkirchlichen Traditionen erinnernde Kirchenwesen zu beseitigen suchte. Durch das Gesetz vom 24. August 1653 fiel die kirchliche Eheschließung, und an ihrer Stelle wurde die obligatorische Civilehe eingeführt.

Belehrend ist es, über dieses Thema einen Mann zu hören, der durch seine geistige Bedeutsamkeit einen großen Antheil an den revolutionären Bestrebungen gewonnen. Milton, der Dichter des „verlorenen Paradieses“, schrieb über die Bedeutung der kirchlichen Trauung: „Die Geistlichen behaupteten – – , eine Ehe ohne ihren Segen sei unheilig, und stempelten dieselbe zum Sacramente. Und doch ist die Ehe eine bürgerliche Anordnung, ein häuslicher Vertrag, ein Ding, unterschiedlos und frei für das ganze Menschengeschlecht, nicht soweit es einer bestimmten Religion angehört, sondern Menschenqualität besitzt. Am besten freilich ist die Ehe abzuschließen mit gottesfürchtigem Zweck und, wie der Apostel sagt, in dem Herrn; aber darum ist sie nicht ungültig oder unheilig ohne einen Geistlichen und seine angeblich nothwendige Einsegnung, ebenso wenig wie eine andere Unternehmung oder ein anderer Vorgang des bürgerlichen Lebens, welche doch alle auch im Herrn und zu seinem Preise vorgenommen werden sollen. Unsere Geistlichen leugneten die Sacramentalität der Ehe und behielten doch die kirchliche Einsegnung bei, bis das letzte Parlament klug die bürgerliche Freiheit der Ehe ihrer Anmaßung abstritt und die Eheschließung und Registrirung aus dem kirchlichen Kramladen der natürlichen Competenz der bürgerlichen Behörden übertrug.“

Aber die Reaction gegen dieses Gesetz, welche sich in den Ausdrücken gefiel: „Die goldenen Zeiten sind zurückgekehrt; der neuen Regierung gelten hängen und heirathen als naheverwandt; derselbe Richter amtirt bei beiden“ – diese Reaction war im Volke so stark, daß nach der Restauration der Stuarts das verhaßte Gesetz bald verschwunden war. Im Jahre 1753 ging man sogar so weit, daß man den Katholiken und Dissidenten vorschrieb, ihre Ehen durch einen anglikanischen Geistlichen vollziehen zu lassen. Erst im Jahre 1836 wurde, dank den Bemühungen Robert Peel’s, auf Antrag Lord Russell’s die facultative Civilehe für alle Engländer eingeführt und hierdurch dem Uebel Abhülfe gethan. Dieses Gesetz hatte jedoch auf Schottland und Irland keine Anwendung gefunden, wiewohl es im Interesse Englands gewesen wäre, wenn man diese Ehegesetzgebung auch auf die anderen Theile des vereinigten Königreichs ausgedehnt hätte.

Die schottischen Ehen sind weit und breit bekannt. In Schottland ist zur Schließung einer Ehe bis heute noch nichts weiter, als die gegenseitige Willensübereinstimmung der beiden Parteien nothwendig. Es bestehen zwar nach schottischem Rechte die kirchliche Trauung und öffentliche Aufgebote, deren Unterlassung nur mit einer geringen Strafe bedroht wird, aber das Volk[1] kümmert sich wenig um diese Vorschriften, sondern benutzt sie vielmehr, um die kirchliche Trauung zu umgehen. Vor dem Friedensrichter erscheinen Paare, welche in allerdings verwerflicher Weise erklären, daß sie von einem Geistlichen, den sie nicht nennen wollen, getraut worden, bezahlen die geringe Strafe von einer halben Guinea bis fünf Schillinge und erhalten auf diese Weise einen rechtsgültigen Beweis der geschlossenen Ehe. So hat der Schotte in Wirklichkeit ein merkwürdiges Institut der Civilehe, wiewohl es in den Gesetzen mit keiner Silbe erwähnt wird. Dieses schottische Recht gefährdete geradezu die Sittlichkeit des benachbarten Englands.

In dem Lande der bürgerlichen Freiheit und der Oeffentlichkeit aller Staatshandlungen wucherte in früheren Zeiten das Uebel der heimlichen Ehe. Verschuldete Geistliche fristeten ihr Leben durch derartige kirchliche Handlungen, welche den Liebenden es möglich machten, gegen den Willen ihrer Familien in den Ehestand zu treten. Es wurde damit auf den Straßen Reclame getrieben, und selbst in Wirthshäusern fand man eigene Geistliche, welche die fröhlich Zechenden sofort zu verheirathen bereit waren. Als durch das Gesetz von 1753 diesem Unfug auf Albions Boden ein Ende gemacht wurde, da zogen die Paare nach dem benachbarten Schottland, wo die Ehe mit der größten Leichtigkeit rechtsgültig abgeschlossen werden konnte. Ein kleiner, an der englisch-schottischen Grenze gelegener Ort, Gretna-Green, war von ihnen besonders bevorzugt worden. Die Paare erschienen vor dem Schmiede, der zugleich Friedensrichter war, und sprachen dort ihren Eheconsens aus. (Vergl. „Gartenlaube“ 1872, S. 414.) Es ereignete sich sogar, daß die drei höchsten Beamten der englischen Krone, welche gleichzeitig des Amtes walteten, sich vor dem Schmiede verheirathet hatten. Erst im Jahre 1856 wurde das englische Recht dahin abgeändert, daß die schottischen Ehen nur dann gültig sein sollten, wenn die Brautleute sich schon 21 Tage vorher in Schottland aufgehalten hatten.

So sehen wir auch das englische Volk in einer Reformbewegung begriffen, welche schließlich zur Einführung der obligatorischen Civilehe führen muß.

In dem katholischen Frankreich war die Lösung der Frage einfacher gewesen; nicht darum etwa, weil das Schwert der Revolution den Knoten durchhieb, sondern weil die Rechtsverhältnisse von vornherein sich eigenthümlich zu Gunsten des Staates gestalteten. Der französische Clerus und die französische Regierung erkannten zwar nach den Beschlüssen des Tridentiner Concils die Ehe als Sacrament an; sie erklärten aber, daß die Consenserklärung der Brautleute einen Vertrag bilde, der erst durch den Segen des Priesters zum Sacrament werde. Die Verträge aber mußten der staatlichen Gesetzgebung unterworfen bleiben, und so beanspruchte die Regierung für sich eine weitgehende Gerichtsbarkeit in Ehesachen.

Diesen Grundsätzen entsprach auch die für die Protestanten Frankreichs bestimmte Trau-Ordnung vom 16. Juni 1685, der gemäß sie verpflichtet werden sollten, ihre Aufgebote durch königliche Behörden verkünden zu lassen und ihre Ehen vor einem bestimmten evangelischen Geistlichen in Gegenwart eines Justizbeamten einzugehen. Aber unmittelbar hierauf begann die wüthende Protestantenverfolgung, während der es in Frankreich officiell nur katholische Trauungen gab. Die Protestanten leisteten diesen Staatsgesetzen Widerstand. In Wäldern, Höhlen und Klüften

  1. Vorlage: „Völk“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1880, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_776.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)