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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Lied brach plötzlich ab. „O, könnt' ich dort,“ hallte es leise nach und – seltsam! – wie von hundert Flügeln schwirrte es dem Ueberraschten um's Haupt. Ein Schwarm weiß und bunt befiederter Tauben – Tauben in dieser Weltabgeschiedenheit? – flog scheu und flüchtig über ihm hin zur Grotte hinaus, den nächsten Klippen des Gestades zu. Hatte sein Kommen sie aufgeschreckt?

„Tauben, Boten des Friedens,“ rief er, „bringt mir, wie Eure Schwestern einst dem Noah, nach Stürmen den Oelzweig!“

Er trat in die Grotte. War das ein Bild! Schlank und majestätisch, wie Säulen von Künstlerhand, ragten die granitenen Pfeiler empor, von Schlinggewächsen reich umrankt und oft die wunderlichsten Profile bildend. Darüber lastete, leicht in den Linien, aber wuchtig in den Massen, die kühn gewölbte Kuppel, durch deren vereinzelte Spalten und Höhlungen das Licht dämmernd hereinfiel. Der Fuß, der die Grotte betrat, schritt auf einem üppigen Teppich von Moos, auf dem sich ein dichtes Geflecht kriechender und kletternder Pflanzen dahinspann. Die rosa angehauchte Linnéa borealis schmiegte sich mit ihren zarten Fäden in jede Felsritze, auf jede Steinplatte und erfüllte den traulich geheimnißvollen Ort mit dem süßen, sanften Duft der Mandel. Aus einer tiefgehöhlten Nische der Felswand aber rauschte ein Quell plätschernd herab; er durchrieselte in schmaler Rinne hell und klar die Grotte und stürzte sich im Hintergrunde derselben, wo durch eine breite klaffende Oeffnung das schäumende, stürmende Meer hereinschaute, jählings in den weiten, unendlichen Schooß der See hinab.

Hallerstein schien den Zauber der reizvollen Scenerie lebhaft zu empfinden; denn sein dunkles Auge leuchtete in feuchtem Glanze, aber nur flüchtig schweifte es von Pfeiler zu Pfeiler, von Höhlung zu Höhlung, und befremdet und doch entzückt weilte es dann lange und fragend in der Tiefe der Grotte auf einem überraschend zauberischen Bilde: dort, wo das plätschernde Wasser in's Meer hinabrauschte, loderte ein helles Feuer empor, und da stand sie, den treuen Rustan an ihrer Seite, und warf mit der weißen Hand trockenes Reisig in die Gluth, Karin, das liebliche Kind. Die Flamme irrte züngelnd im Zugwinde und beleuchtete magisch die volle, elastische Gestalt des Mädchens, und wie der rothe Schimmer warm und satt auf das schöne Oval ihres jugendfrischen Antlitzes fiel, wer konnte da sagen, ob es nur der Abglanz der flackernden Flamme war, der ihr zitternd auf Stirn und Wangen lag, oder ob sie von innen heraus sich rötheten und leise aufzuckten, diese feinen, seelenvoll ausgemeißelten Züge?

„Ruhig, Rustan!“ rief sie und hielt mit einem raschen Griff das knurrende, kläffende Thier am Nacken, daß seine weißen Haare ihr lang und seidenweich über den kräftig schwellenden Arm wallten.

„Warum verscheucht Ihr Karin's Tauben?“ fragte sie dann mit trotzig aufgeworfenen Lippen, und unter den keck geschweiften blonden Wimpern hervor richtete sie einen langen strafenden Blick auf den Fremdling.

„Verzeiht!“ erwiderte er, „ich kam, Euch zu danken.“ Er sprach es mit dem Tone des Herzens, und das Muskelspiel in seinen Mienen verrieth, daß er innerlich bewegt war.

Als hätte eine weiche Hand ihr leise über's Gesicht gestrichen und alles Herbe und Harte darin verwischt, so plötzlich verwandelt stand Karin da. Mädchenhaft schämig senkte sie den Blick, ganz Anmuth und seelische Schönheit.

„Danken?“ fragte sie mit sichtlicher Befangenheit, „und wofür?“

„Ihr könnt noch fragen?“ entgegnete er. „War't Ihr es nicht, die Ihr erst vor wenigen Stunden hegend und pflegend an dem Lager des armen Ertrunkenen standet? Wuschet Ihr ihm nicht Stirn und Schläfen mit dem duftenden, wärmenden Tranke?“

Karin erwiderte nichts. Mit einem stämmigen Föhrenaste schürte sie hastig das lodernde Feuer und summte leise etwas vor sich hin. Um ihren Mund schwebte es fast verächtlich, als wollte sie sagen: „Als ob das etwas wäre!“

„Und hättet Ihr nichts um mich gethan,“ fuhr Hallerstein fort, „als, da ich erwachte, mir nahe zu sein mit holdseliger Gegenwart – – –“

„Wollt Ihr Karin's Taubennester sehen?“ unterbrach sie ihn schnell, und eine dunkle Röthe flammte in ihrem Gesicht auf. „Soll Karin Euch ihre Rankengewächse zeigen oder ihre Eriken in den Nischen der Grotte? Kommt, wir wollen Steine in den Wasserfall werfen; es sieht so lustig aus, wenn sie polternd in das Meer hinabkugeln.“

Hallerstein stand regungslos da, wie im Banne dieser holden Mädchenblüthe. Seine Gedanken schienen weitab zu wandern; denn er schwieg.

„Nun, wie Ihr wollt!“ sagte endlich Karin; sie nahm behende ihr Halstuch ab und fegte damit den Sand von einer niedrigen Felsbank hinweg, die im warmen Schein des Feuers lag. „Es friert Euch,“ meinte sie mit freundlicher Sorge, „setzt Euch!“

„Wie gut Ihr seid!“ antwortete er und ließ sich neben der knisternden Flamme nieder. „Und was treibt Ihr hier in der seltsam phantastischen Höhle?“

„Ich füttere meine Tauben und wärme mich am Feuer – sie sah ihn mit ihren großen Augen ruhiger an als zuvor – „es ist so traulich und heimlich hier unter den Felsen; nur von fern hört man Wind und Wellen rauschen – und Karin liebt die Stille.“

„Die Stille!“ wiederholte er träumerisch, „nicht wahr, es spinnt sich Gedanke an Gedanke; Alles um uns versinkt, und die Seele hebt sich und wächst –“

„Kennt Ihr das auch?“ fiel sie ihm lebhaft in's Wort. „O, das freut mich. Ja, Gedanke an Gedanke, und die Seele wächst, aber Karin ist eine unzufriedene Seele und unruhig, wie die flackernde Flamme hier. Seht Ihr den Rauch durch die Spalten des Felsens ziehen, hoch und immer höher, zu den Wolken hinan? Das sind – aber lacht mich nicht aus! – das sind Karin's Gedanken. Meint Ihr nicht auch, es müßte schön sein, zu schauen, was da oben ist, da oben hinter den Wolken?“

Hallerstein lächelte. „Wunderlich Mädchen!“ flüsterte er vor sich hin. „Bis in die Einöde dieser Klippen drang das süße Gift des Denkens.“

„Und weil ich nicht schauen kann, was da oben ist,“ fuhr sie mit einem leichten Anhauch von Wehmuth fort, „darum ist meine Seele wie die flackernde Flamme –“

„Unstät und heiß,“ ergänzte er. „Aber glaubt Ihr nicht, daß da oben ein Gott wohnt, der über uns waltet und webt, ein gütiger Gott, der mich soeben errettet aus sicherem Tode?“

„Ein Gott?“ fragte sie zögernd zurück; sie hatte den Finger sinnend an die Lippe gelegt. „Ich weiß nicht, was Ihr damit meint. Mutter Hedda, wenn sie des Abends in den Sternen liest, hat mir den Namen wohl oft genannt, aber Karin versteht ihn nicht und meint, es ist nur ein Name. Und doch – so oft ich das Wort vernehme, stets ergreift mich dasselbe unnennbare Gefühl. Es liegt etwas Großes in diesem kleinen Wort; halb macht es mich erbeben, und halb entzückt es mich. Wißt Ihr – aber nein, ich sag' es nicht,“ brach sie plötzlich ab und warf neues Reisig in die Flamme. „Daß wir auch gleich darauf zu sprechen kommen!“

„O, redet weiter!“ bat er.

„Es ist nichts,“ meinte sie und blies die Reste des Reisigs von der kleinen, schmalen Hand. „Nur ein thörichtes Gefühl – nichts weiter.“

„Sprecht!“ drang er freundlich in sie.

„Nun gut!“ sagte sie zögernd und setzte sich zu ihm auf die Steinbank. „Aber Ihr werdet Karin nicht verstehen, fürchte ich. Seht Ihr dort die kahle Klippe?“ – und sie deutete durch die Felsenöffnung auf einen mächtigen Granitkegel – „es ist die höchste Spitze der Insel, und wir heißen sie: den Mövenstein. Wenn ich einsam dort oben stehe im hellen Sonnenglanz oder im falben Mondlicht, dann schläft das Ohr in der lautlosen Stille und der Blick schweift mit den Wellen weithin in die Leere. Vielleicht weckt ein Stein, der in's Wasser fällt, einen schwachen Hall an der Felswand, oder der Schatten eines vorüberziehenden Vogels huscht flüchtig über das dunkle Moos hin; sonst ist Alles todt – und nun kommt es leise über mich und packt mich gewaltig, das seltsame, unsagbare Gefühl. Ein Abgrund zu Füßen,

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