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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

No. 47.   1880.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.




Zwischen Fels und Klippen.
Eine Strandromanze von Ernst Ziel.
(Fortsetzung.)


2.

Die Sonne war herauf. Aber was sich mit naßkalten Dünsten fahl und traurig über die breiten Felsrücken legte, das war nicht Tag – es war die leb- und farblose, unsagbar öde Dämmerung eines nordischen Octobermorgens. Ein todtes Licht schwebte über Nebel und Wasser, gerade scharf genug, um die abenteuerliche Schlagschatten der rings emporragenden Steinriesen über die Insel zu werfen. Die Meer- und Felswelt lag wüst und phantastisch da, wie das Traumgebild eines Hünen der Vorzeit. Sie glich einem leeren Abgrund, in dem Alles erstarrt ist – erstarrt bis auf einen Klang, dieser eine Klang aber war das dumpfe Brausen und Rollen der noch immer stürmenden Wellen, welche in den Höhlungen und Buchten des Ufers hallten und wiederhallten und den schäumenden Gischt weit über die scharfgezackten Kanten des Gestades schleuderten.

Die Musik der Elemente war eine gewaltige; nur mitunter trat eine kurze Pause lautloser Stille ein, gleichsam ein Athemholen des Sturmes; dann hörte man jede einzelne Welle an den vielklippigen Strand schlagen oder einen scheuen Wasservogel mit langen, feuchten Schwingen aus dem Dorngebüsch auffliegen, daß es in den tropfenden Zweigen rauschte und rasselte. Langsamer zogen dann die Nebel und legten sich weicher um die Felsenbrüste.

Der Regen hatte aufgehört zu fallen, aber die Luft ging schneidig. Auf der Insel herrschte tiefes Schweigen.

Nun plötzlich tönte es von fern her wie Ruderschlag durch die Nebelluft. Das kräftige Einschneiden der Hölzer in's Wasser war deutlich vernehmbar, und das Anschlagen der Wellen an das vorwärts strebende Fahrzeug schallte weit über die Fluth hin und echoete an den Felsenhängen der Insel. Schon aber brach der Sturm wieder herein und übertönte jeden Klang. Die Wogen jagten mit den Wolken um die Wette, und dann und wann erhob sich ein Wirbelwind, der die Nebel zu dichten gespenstisch einherwandelnden Knäueln zusammenkräuselte. Aber in der nächsten Pause des Sturmes hörte man auf's Neue den nahenden Ruderschlag, und nun war es, als mischten sich hallende Männerstimmen in das Weben des Windes.

„Verdammte Brandung! Zieh' das Segel ein, Daniel!“

„Ja wohl! Hab's gleich gesagt: 'ist nicht hinanzukommen an's Wrack.“

„Ho, Axel! Wirf das Steuer nach links!“

Es waren drei rauhe Seemannskehlen, welche, dem Wellengeräusch zum Trotz, dieses lakonische Gespräch führten. Nur wenige Augenblicke – der Ruderschlag ertönte ganz nahe, und „Alle Mann an's Land!“ rief lachend einer der Drei, indem er sich leichten Satzes auf eine vorspringende Felsplatte des Ufers schwang und das Boot mit einem derben Tau befestigte. Er war über und über naß, eine hochaufgeschossene, starkknochige Gestalt mit energisch blickenden, lebhaft hellen Augen.

„Fürwahr, Olaf,“ sagte er und schlug lustig in die Hände, „siehst in der triefenden Oeljacke aus, wie eine melancholische Wasserratte; so trübselig läßt Du den Kopf hangen und die Arme schlottern, als wär's nicht werth, sie zu regen um's liebe Dasein.“

„Was scheert's Dich, Axel?“ gab der Angeredete, ein blasser Zwanziger mit schönen, edlen Zügen, etwas gereizt zurück, indem er zugleich mit dem dritten Cameraden das Boot verließ. „Uebrigens ich und die Arme nicht regen?“ fügte er in demselben Tone hinzu. „Bah. ich wollte, es ginge noch einmal hinein in die nasse brausende Hölle hier vor uns – und dann wollte ich noch Eines.“

„Das wäre?“

„Daß der Wal mich fräße mit Haut und Haaren.“

„Ah, ich weiß,“ spottete Axel, der noch immer mit der Befestigung des Bootes beschäftigt war, „'s ist um den Wildfang, die Karin. Schöne Gesellschaft das! Mir zur Linken den unglücklichen Liebesschwärmer, mir zur Rechten“ – er stieß seinen zweiten Begleiter leicht mit dem Ellnbogen in die Flanke – „zur Rechten den guten Daniel, den Philosophen unserer Insel.“

Der lose Spötter lachte laut auf, Daniel aber, eine echt finnische Physiognomie mit breiten Backenknochen und kleinen mandelförmig geschlitzten Augen, erwiderte kein Wort; er schmunzelte mit einem dumm wohlgefälligen Lächeln um den Mund still vor sich hin.

„Bomben-Element!“ nahm Axel wieder das Wort, indem er das Schiffstau um einen stämmigen Pflock schlang. „Rüttelt uns da über Nacht so eine auf den Strand getriebene Nußschale von einem Schiff – mir nichts, Dir nichts, hast Du mich nicht gesehen – ganz wider Recht und Billigkeit aus der gewohnten Gemächlichkeit! Müssen uns placken und schinden und bei dem Hundewetter hinaus an's Wrack. Und um was? frag' ich Euch. Um nichts weiter, als um eine Grille von Seiner Ehrwürden Vater

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_765.jpg&oldid=- (Version vom 29.5.2018)