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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Ihre Vollmacht ist eine unbegrenzte, Bündnisse und Cartellverträge abzuschließen; ihre Instruction beschränkt sich einzig auf die Weisung, der eigenen Fraction möglichst große Vortheile zuzuwenden. Der Senioren-Convent faßt keine Mehrheitsbeschlüsse, sondern ist bestrebt, Einhelligkeit zu erzielen. Das gelingt freilich nicht immer, und nach Erschöpfung der freien Ueberredungskünste kommt es dann zum Stimmkampfe im Plenum, bei welchem allein die brutale Zahl entscheidet.

Die calculatorische Arbeit des Senioren-Convents bezüglich der Vertheilung der Commissionsmitgliedschaft an die einzelnen Fraktionen und Gruppen ist namentlich deshalb eine schwierige, weil Rücksichten der Billigkeit nicht ganz außer Acht gelassen werden dürfen. Es giebt „Wilde“, das heißt außer jedem Fractionsverbande stehende Abgeordnete, welche sich für bestimmte Specialitäten ausgebildet haben und daraus den Anspruch auf einen Sitz in der betreffenden Commission herleiten. Es giebt ferner Gruppen von politisch nicht genau zu rubricirender Farbe, welche der Zahl nach zu schwach sind, um für sich allein in Action treten zu können, und welche deshalb Anschluß an eine befreundete Gruppe nehmen.

Die Mitgliederzahl der beiden Gruppen wird alsdann summirt, und ein besonderes Abkommen zwischen ihnen regelt den Antheil, welcher auf die schutzsuchende Gruppe entfallen soll. Es ist schon vorgekommen, daß solche Schutzgruppen, wie wir sie nennen möchten, zwei Patrone zugleich suchten und fanden, und daß im Senioren-Convent demzufolge zwei Parteien mit dem Anspruche auftraten, im Namen und Interesse derselben dritten zu agitiren. Die reichsländischen Autonomisten beispielsweise wurden seiner Zeit vom Fortschritt ebenso wie von den Nationalliberalen mit Beschlag belegt.

Bei der Fülle der Partei-Unterschiede, deren wir uns erfreuen, ist es natürlich, daß das Divisionsexempel nur in den seltensten Fällen „rein aufgeht“. Hier wird der Ausweg beliebt, einen Turnus eintreten zu lassen, so zwar, daß in vorher bestimmter Reihenfolge eine Commissionsstelle erst einer, dann einer zweiten, einer dritten Fraction und so weiter zur Verfügung gehalten wird. Dabei tritt die Laune des Zufalls wieder in ihr volles Recht; denn der Zufall fügt es, ob das Mehrgewicht einer einzelnen Commissionsstimme in bedeutungsvoller oder in gleichgültiger Angelegenheit in die Wagschale fällt; denn wenn auch zuletzt das Plenum an die Vorschläge der Commissionen nicht gebunden ist, so ist doch das Plenum oft ebenso bequem wie souverain, und die Vorentscheidung der Commissionen bleibt meistens maßgebend. Sind es doch gerade die wichtigsten Details, die eingehendsten Aufschlüsse seitens der Regierungsvertreter, die einzig in den Commissionen zur Sprache kommen können.

Hat nun der Senioren-Convent seines schwierigen Amtes gewaltet, so ist für die ganze Dauer der Session der Antheil stimmlichen Einflusses geregelt, welchen die einzelnen Fractionen bei den Vorberathungen zu üben haben. Die Abtheilungen, welche dem Namen nach die Wahlkörperschaften für die Commissionen bilden, handeln nun nach dem Geheiß der Fractionen; sie „wählen“ diejenigen Mitglieder, welche von diesen bezeichnet worden sind. Die eigentliche Wahl geht in den Fractionen vor sich, die von Fall zu Fall ihre Special-Autoritäten delegiren. Handelt es sich um provinzielle Angelegenheiten, so darf man sicher sein, daß jede Fraction diejenigen Mitglieder entsendet, welche in der betreffenden Provinz ihren Wahlkreis haben, und oft genug kommt es dann vor, daß eine solche Commission ein förmliches Provinzial-Parlament bildet, in welchem die Partei-Unterschiede vor der Rücksichtnahme auf locale Interessen verschwinden. So präsentirte sich in der letzten Session des preußischen Abgeordnetenhauses die Commission, welche über einen Gesetzentwurf wegen der vormals kurhessischen Waldnutzungen die Vorentscheidung hatte, dem Plenum als ein einig Volk von Brüdern, deren sonst so getheiltes politisches Glaubensbekenntniß sich hier zu einem rein hessischen verschmolzen hatte.

Es liegt auf der Hand, daß ein derartiges Verhältniß arge Schattenseiten hat, und es mag als ein Zeichen für den gesunden Sinn und für die Gewissenhaftigkeit unserer Parlamente aufgefaßt werden, daß das Plenum meist Correctur zu üben wußte. Immerhin kann es unter Umständen bedenklich werden, wenn die Vorprüfung wichtiger Fragen stets den Männern überlassen wird, welche, zuweilen auf ziemlich uncontrollirbare Weise, bei ihren näheren politischen Freunden in den Ruf eines Fachverständnisses gekommen sind und diesen Ruf manchmal nur durch ihren eigenen treuherzigen Glauben an dessen innere Begründung aufrecht erhalten. Das muß aber mit in den Kauf genommen werden, da unsere Abgeordneten nicht alle universelle Köpfe sein können, und die meisten von ihnen, nach einem Bismarck’schen Aussprache, gezwungen sind, in Fachfragen sich nach der Autorität eines politisch gesinnungsverwandten Fachmannes zu richten.

Einmal ist es vorgekommen, daß eine Abtheilung dem Senioren-Convent Trotz bot, vor zwei Jahren, bei der Wahl der Commission zur Vorberathung des Socialistengesetzentwurfes. Eine von den einundzwanzig Mitgliedstellen war vom Senioren-Convent Herrn Bebel zugedacht worden, damit ein Vertreter der socialdemokratischen Abgeordneten in der Commission Sitz und Stimme habe. Die betreffende Abtheilung aber, überwiegend aus conservativen Herren bestehend, machte von ihrem geschäftsordnungsmäßig ganz unbestreitbaren, einzig durch die Tradition außer Uebung gekommenen Wahlrecht Gebrauch und schickte an Stelle des Herrn Bebel Einen der Ihren. Dieser Vorfall machte in parlamentarischen Kreisen um so peinlicheres Aufsehen, als die eine Stimme wohl hätte entscheidend sein können, und als man sich sagen mußte, daß die Correctur des Zufalls, an dessen Stelle die Verabredungen des Senioren-Convents die Regeln der Gerechtigkeit und Billigkeit setzten, nur dann sich rechtfertigen lasse, wenn diese Verabredungen unbedingt respectirt würden.

Da, wie bereits erwähnt, die sieben Abtheilungen wenigstens der Form nach die Wählkörperschaften für die Commissionen bilden und selbstredend jede Abtheilung eine gleiche Anzahl Mitglieder zu benennen hat, so ergiebt sich, daß die Commissionen sämmtlich eine durch sieben theilbare Mitgliederzahl haben. Je nach der Schwierigkeit und der Menge der Arbeit, welche einer Commission zugetheilt wird, steigt ihre Zahl von sieben auf vierzehn, einundzwanzig und – für die complicirtesten Arbeiten – auf achtundzwanzig. Darüber hinaus geht man nicht, weil sonst die Commission selbst wieder ein Parlament und schwerfällig wie ein solches werden würde. Schon bei achtundzwanzig Mitgliedern stellt sich oft die Nothwendigkeit heraus, Subcommissionen – beispielsweise zur Redaction der Beschlüsse– zu ernennen.

Man unterscheidet Fach- und Specialcommissionen, von denen erstere, auch ständige Commissionen genannt, bei Beginn jeder Session zur Vorberathung der regelmäßig wiederkehrenden Aufgaben, letztere von Fall zu Fall aus besonderen Anlässen, für bestimmte Gesetzesvorlagen gewählt werden. Zu ersterer Kategorie gehören die Commissionen für Petitionen, Unterrichtswesen, communale Angelegenheiten, landwirthschaftliche Dinge, Budget, Rechnungslegung, Justizwesen, Wahlprüfungen und Geschäftsordnung.

Die Wahlprüfungscommission hat die Gültigkeit derjenigen Abgeordnetenmandate zu untersuchen, gegen deren Wahlen Proteste eingelaufen sind. Ob solche Proteste vorliegen und wenigstens formal begründet sind, darüber befinden in erster Reihe die Abtheilungen selbst, von denen zu diesem Zweck die erste sich die Wahlacten der zweiten, die zweite diejenigen der dritten vorlegen läßt, und so fort bis zur siebenten Abtheilung, welche die Wahlacten der ersten nachsieht. Ist gegen die Gültigkeit einer Wahl Protest erhoben, so gehen die betreffenden Wahlacten an die Wahlprüfungscommission, welche ihrerseits an das Plenum Bericht erstattet und entweder Gültigkeitserklärung oder Beanstandung oder Ungültigkeitserklärung des Mandats beantragt. Die Beanstandung einer Wahl läßt dem betreffenden Abgeordneten Sitz und Stimme im Parlamente, bis weitere amtliche Erhebungen eine definitive Entscheidung nach der einen oder anderen Richtung hin ermöglichen. Selten nur wartet ein Abgeordneter, dessen Mandat die Wahlprüfungscommission für ungültig zu erklären beantragt hat, den Spruch des Parlaments ab; er kommt gewöhnlich der Ausschließung durch freiwillige Niederlegung des Mandats zuvor. Dagegen geschieht es sehr häufig, daß die Vorschläge der Wahlprüfungscommission erst spät an das Plenum gelangen, und so ist es bereits wiederholt vorgekommen, daß „freiwillige“ Mandatsniederlegungen der erwähnten Art am vorletzten oder gar am letzten Tage einer Session erfolgten, während deren ganzer Dauer der Inhaber des ungültigen Mandats mitberathen und mitgestimmt hatte.

Die Geschäftsordnungs-Commission ist die wenigst beschäftigte unter Allen. Jahre vergehen, ehe sie nöthig hat, eine andere als die constituirende Sitzung zu halten. Ihre Mitglieder sind

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_753.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)