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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Prosit! Eine culturhistorische Plauderei. Es ist eine uralte Sitte, dem Niesen als etwas Besonderem, Eigenartigem auch besondere Beachtung zu schenken, ihm gewisse Vorbedeutungen, glückverheißende sowohl wie unheilverkündende, beizulegen. Bereits die Alten übten sie, und schon zu Alexander’s des Großen Zeiten zerbrach sich Aristoteles den Kopf, den Grund dieser Gewohnheit und des Niesens überhaupt zu erforschen. Die Mythe erzählt, Prometheus habe, nachdem er das Feuer vom Himmel geholt, um vermittelst desselben dem Menschen Leben einzuflößen, ihm das Feuer vor die Nase gehalten, sodaß er gewaltig habe niesen und die in ihm erwachte Lebenskraft bekunden müssen. In Folge dessen war der große Weltweise der Ansicht, die ehrfurchtsvolle Erinnerung an diesen frühesten Act menschlicher Lebensäußerung sei Veranlassung zum Beglückwünschen beim Niesen geworden. Dasselbe wurde, eben unter Anknüpfung an jene Sage vom Prometheus, bei den Griechen und Römern als ein Zeichen von Kraft und Lebensfrische angesehen und von Jedermann mit dem Glückwunsch „Jupiter erfreue dich!“ begrüßt. Ja, sich selbst riefen die Römer ein „salve!“ zu, wenn kein Anderer es that. Ein altes Epigramm berichtet von einem gewissen Proklus, er habe eine so lange Nase gehabt, daß er es nicht hörte, wenn sie niesete, und daher ohne sein „salve!“ weiterging, und wollten die Griechen und Römer ihren Damen ein recht schönes Compliment machen, so sagten sie: „die Liebesgötter selbst hätten bei deren Geburt geniest.“

Noch weit höflicher sind die Polen. Bei ihnen ist es oder war es wenigstens bis vor kurzer Zeit üblich, das Niesen eines Anderen mit den Worten zu bemerken: „Ich wünsche Ihnen hundert Jahre Gesundheit,“ worauf der also Beglückwünschte schleunigst: „Ich lade Sie zu meinem Begräbniß“ zu erwidern pflegt. Aber außer dem Glückwunsch haben alle Völker dem Niesen noch die verschiedensten abergläubischen Bedeutungen beigelegt. „Du beniesest es,“ sagt man bei uns, wenn Jemand niest, während er etwas erzählt, was Anderen zweifelhaft erscheint – und man legte ehemals einen besonderen Werth auf solch ein „Beniesen“, das als eine Voraussagung der Erfüllung galt. So hielt Xenophon beim Rückzüge der Zehntausend aus Persien eine Rede an sein Heer, worin er den Kriegern das Gefährliche ihres Unternehmens darstellte, ihnen aber auch nur darin allein Rettung als möglich schilderte und sie zu einem raschen Entschlusse aufforderte. In diesem Augenblicke nieste einer der Krieger, und Alles war über die einzuschlagende Wahl sicher, hatten sich doch die Götter selbst in dem Niesen des Soldaten mit des Führers Vorschlag einverstanden erklärt. Allein dieser an sich harmlose Aberglaube hatte zuweilen auch Schreckliches im Gefolge. So ließ Themistokles, als er nach einem eben beendigten Treffen den Göttern opferte, eine Anzahl ihm als Gefangene zugeführte Jünglinge tödten, weil gerade zu seiner Rechten Jemand geniest hatte und die Priester dies dahin deuteten, daß die Jünglinge den Göttern ein angenehmes Opfer seien, welches den Griechen Ehre und Sieg bringen würde. Von Sokrates, dem aufgeklärtesten der griechischen Philosophen, erzählt man gleichfalls, daß er unter dem Einfluß jenes Aberglaubens gestanden und sowohl sein eigenes, wie das Niesen Anderer, als deutungsreiches Omen angesehen habe. Einer seiner Schüler berichtet, daß ihm, wenn er vor der Ausführung eines gefaßten Vorsatzes nieste, dies als eine Aufmunterung galt, während derselben jedoch eine Warnung bedeutete und er deshalb nicht selten das Unternehmen ganz aufgab.

Als sich Penelope wegen ihrer vielen Freier in besonders großer Noth befand, bat sie dringender als je die Götter, ihren Odysseus bald nach Haus zurückkehren zu lassen. Da

„niesete Telemach, daß das ganze Gemach erbebte.“

Nun war Penelope nicht mehr in Zweifel, daß ihre Bitte erhört worden sei.

Sowohl Zeit und Ort wie auch die Zahl der Wiederholung des Niesens entschied bei den Alten darüber, ob es Glück oder Unglück bedeutete. Wenn Jemand am Morgen nieste, noch ehe er sich vom Lager erhoben und die Schuhe angelegt hatte, so war ihm der ganze Tag verdorben, und wenn irgend thunlich, legte er sich sofort wieder in’s Bett, um zu einer glücklicheren Stunde aufzustehen. Nieste man dagegen Mittags oder später, so überließ man sich bei allem Thun der frohen Hoffnung eines glücklichen Erfolges. Und wenn bei Aufhebung der Mittagstafel einer der Gäste sich vom Niesen angewandelt sah, nahm die ganze Gesellschaft abermals auf ihren die Tafel umgebenden Polstern Platz. Zum zweiten Male wurden hierauf Speisen und Getränke aufgetragen, und zum zweiten Male ging es an das Essen und Trinken, bis man damit den üblen Einfluß jenes unseligen Niesens beschworen zu haben glaubte. Lag ein Römer krank und nieste er einmal, so stand ihm ein baldiger Tod bevor, zweimaliges Niesen deutete dagegen auf Genesung. Hatte Jemand bei Schließung eines Vertrages, z. B. der Ehe, einmal geniest, so mußte der Vertrag ungestörte Dauer haben, denn die Götter billigten ihn; dreimaliges Niesen jedoch verkündete einen widerrechtlichen Bruch.

In einem afrikanischen Staate wird, sobald der König niest, dieses durch gewisse Zeichen und durch Gebete, die man auf den Straßen abhält, im ganzen Lande bekannt gemacht, und überall erschallen sodann die Glückwünsche und Jubelrufe der Einwohner. In ähnlicher Weise erließ der schreckliche Kaiser Tiberius Befehl, daß, wenn er niese, Jedermann sogar auf offener Straße ihm ein lautes „Glück und Heil!“ zurufen solle, damit kraft dieses Zurufs die glückliche Vorbedeutung bald in Erfüllung gehe. Auch der berühmte Lehrer des Kaisers Hadrian, der weise Plutarch, war ein großer Verehrer des Niesens. In einer seiner Schriften sagt er: „Was für die ärztliche Wissenschaft der Puls im menschlichen Körper ist, das ist für die Seele das Niesen.“ – Als die Spanier Florida eroberten, fanden sie, daß, wenn der Kaiser nieste, alle Indianer die Hände erhoben und die Sonne anriefen, ihren Fürsten zu schirmen, ihm hold zu sein und ihn zu erleuchten.

Höchst eigenthümlich ist, was die Juden vom Niesen erzählen. Der Mensch, so heißt es bei ihnen, sollte eigentlich nur einmal niesen, und zwar kurz vor seinem Tode; alle Erzväter bis auf Jacob starben in dieser Weise. Jacob jedoch bat den Herrn aus freilich unbekannten Gründen, ihn niesen zu lassen, so oft er wolle, ohne ihn aber dabei von der Erde zu nehmen. Sein Gebet ward erhört, und er nieste nun oft und lebte dabei lange Jahre. Seinen Kindern und Kindeskindern blieb dieses Vorrecht erhalten, aber eingedenk des dadurch ehemals angedeuteten letzten Stündleins rufen sie einander noch heute nach dem Niesen zu: „Jehova stärke Dich!“ Ein Niesen während des Gebetes gilt bei ihnen als Zeichen, daß dasselbe Erhörung finde; Aehnliches glaubten auch die Aegypter und Araber.

Bei uns in Deutschland gilt es als ganz besonders heilbringend, wenn Jemand am frühen Morgen niest, während er noch nüchtern ist, das heißt noch nichts gegessen oder getrunken hat. Auch sagt man dann wohl: „Heute werde ich etwas Neues erfahren!“

Im Allgemeinen gilt das Niesen bei uns von jeher als ein gutes Vorzeichen, wenn es auch je nach den Tagen, an welchen es erfolgt, wohl eine verschiedene Bedeutung hat. So heißt es in Sachsen:

„Sonntagniesen: Eingeschränkt!
Montag heißt es: Was geschenkt!
Dienstag aber: Viel gekränkt!
Mittwoch deutet’s: Rückwärtsgeh’n!
Donnerstag: Was Liebes seh’n!
Freitag dann: Recht viel gelacht!
Sonnabends endlich: Ausgemacht (Ausgescholten)!“

Nicht minder bekannt ist der Vers:

„Morgens – beschenkt,
Mittags – gekränkt,
Abends – zu Gast geladen
Oder auch zum – Schaden.“

Auch in Verbindung mit dem neuen Jahr findet sich das „Prosit“, und in Deutschland erschallt bekanntlich am Neujahrstage überall „Prosit Neujahr!“ – Das Glückwünschen nach dem Niesen aber nimmt heute mehr und mehr ab, und nicht lange mehr wird es dauern, dann ist bei uns die alte Sitte verschwunden, wie es bereits bei den Franzosen und Engländern der Fall. Nichts mehr vor uns voraus werden dann die Quäker haben, die, in Allem etwas Besonderes suchend, beim Niesen von jeher keinen Gruß und Glückwunsch kannten.

H. S.




Auf Leben und Tod.
Mit Abbildung Seite 733.

Fort stürme, mein Roß;
Denn Tilly’s Troß
Folgt uns’rer Spur.
Wir können nicht weilen,
Wir müssen enteilen –
Auf, stampfe die dampfende Flur!

In schwerer Noth,
Auf Leben und Tod
Vertrau’ ich dir.
Die Freunde flohen;
Die Feinde drohen –
Greif’ aus, mein tapferes Thier!

In blutigem Krieg,
Vertrauend auf Sieg,
Stritt treu ich für’s Recht –
Nun sollt’ ich sterben
Und ruhmlos verderben,
Als wär’ ich ein niedriger Knecht?

Auf grünender Au’,
Soweit ich schau’,
Kein Retter da!
Vielleicht mit mir Armen
Hat Gott Erbarmen;
Stets bleibt er Gerechten nah’.

Vielleicht dort im Wald
Erreich’ ich bald
Der Schweden Wacht,
Wo Fahnen stolz wehen,
Wo Helden treu stehen
Zu Gustav Adolf's Macht.

Du wieherst, mein Roß?
Horch! Hörnerstoß!
Die Hülfe ist nah’!
Es kommen die Freunde;
Es weichen die Feinde;
Gerettet sind wir – Hurrah!!

St. v. J.



Kleiner Briefkasten.

E. Beatrice M. Der Uebersetzung des Artikels steht nichts im Wege, wenn Sie die „Gartenlaube“ als Quelle angeben.

E. S. 1. Ungeeignet! Verfügen Sie gütigst über das Manuscript!

B. R. in Friedland. Die „Walhalla“ an der Donau hat am 18. October dieses Jahres den fünfzigsten Gedenktag ihrer Grundsteinlegung gefeiert. Sie ist eine Schöpfung Ludwig’s des Ersten von Baiern; der Entwurf stammt von Leo von Klenze.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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