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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Bühnen geschritten, und die Einzelaufführungen zählen, da das Werk sich fast überall dauernd im Repertoire hielt, nach vielen Hunderten. Und der Componist selbst?

Er ist trotz der Riesenerfolge seiner Oper und der Anerkennung, welche er mit größeren Chorwerken, geistlicher Musik, dichterisch feingestimmten Orchesterstücken, Liedern etc. errungen hat, ein anspruchsloser gemüthvoller Künstler geblieben. Er lebt in sehr geachteter Stellung als Hoforganist in Dresden. Geboren ward er 1830 zu Ostritz in der Oberlausitz, als Sohn des dortigen Gymnasialrectors, und als er mit etwa sechszehn Jahren nach der sächsischen Hauptstadt kam, hatte er freilich das Glück, von zwei ausgezeichneten Männern in der Musik unterrichtet zu werden: von Julius Otto und Johann Schneider. Aber mühelos ward ihm das emsige Streben nicht gemacht; denn der junge Scholar mußte drei bis vier Musikstunden geben, ehe er das Honorar zusammen hatte, um je eine Stunde nehmen zu können. Den ersten größeren Erfolg hatte Kretschmer 1865, also erst elf Jahre nach seiner 1854 geschehenen Beförderung zum Hoforganisten. Man feierte in Dresden damals (es war am 25. Juli) das erste deutsche Sängerbundesfest, auf welchem der damalige Minister von Beust die geflügelten Worte sprach: „Sein König Johann von Sachsen sei zu jedem Opfer für die deutsche Einheit bereit, und solle es ihm die Krone kosten.“ Kretschmer’s mit dem ersten Preise prämiirtes Chorwerk hieß „Die Geisterschlacht“. Zehn Monate später schlugen die preußischen Heere bei Königsgrätz die vereinten Sachsen und Oesterreicher, und die durch keine „Harmonie der Chöre“ herstellbar gewesene deutsche Einheit erstand auf den blutigen Gefilden Böhmens mittelst Blut und Eisen. 1868 erhielt Kretschmer in Brüssel den ausgesetzten internationalen Preis für eine missa a tre voci.

Nun waren ihm die Flügel gewachsen; er sann ernstlich dem ihm von der Kritik gegebenen Rathe nach: eine Oper zu schreiben. [[BLKÖ:Mosenthal, Salomon Hermann|Mosenthal genoß damals, wie jetzt noch nach seinem Tode, den Ruf des erfolgsichersten Librettisten, und Kretschmer ging geradewegs auf diesen dichterischen Genossen los – aber ach, der Text war wohl da, Meyerbeer war er zugedacht gewesen und seine dramatische Qualifikation einleuchtend, aber der arme deutsche Musiker sollte dem gewandten Wiener Librettisten, dem Vater der „Deborah“, für die „Folkunger“ 1000 Gulden Anzahlung leisten. Kretschmer hat sich die Summe geborgt und begann dann rüstig zu schaffen. Wie manche 1000 Gulden mögen Mosenthal und seine Erben aus den Tantièmen der „Folkunger“ bezogen haben! Dresden war die erste Bühne, die den Ruhm des neuen (man konnte schon nicht mehr sagen „jungen“) Opernschöpfers begründete, und fast alle größeren Bühnen folgten dem Beispiel Dresdens. Im Osten begrenzen Wien und Riga, im Norden Hamburg und Rotterdam, im Westen Köln und Karlsruhe, im Süden Zürich und München das Territorium deutscher Musik, das die „Folkunger“ sich in fünfzig Städten eroberten. Mit fünfzig Jahren steht Edmund Kretschmer auf dem Zenith seiner Manneskraft; zu feiern und sich an vergangenem Ruhm zu sonnen liegt nicht in seinem Charakter. Da darf man denn hoffen, daß sein Streben und Mühen noch manche Frucht trage, welche deutsches Wesen und deutsche Gemüthstiefe zu siegreichem Wettstreit mit den verlockendsten Hervorbringungen Wälschlands und Galliens befähigen möge.

Ludwig Hartmann.




Javanischer Aberglaube.


Jahre lang habe ich die Insel Java bewohnt, Jahre lang mich ihrer tropischen Pracht, ihrer immergrünen Wälder und Felder gefreut und in nahem Verkehr mit ihren Einwohnern deren Charakter und Lebensgewohnheiten, die öffentlichen Verhältnisse und das Privatleben kennen gelernt, besonders aber haben mich die eigenthümlichen Vorstellungen dieser halbcivilisirten Naturkinder von der Welt, ihrer Entstehung und Ordnung interessirt. Aus der Reihe meiner Beobachtungen will ich hier ein paar kleine Züge und Bilder mittheilen, von denen ich glaube, daß sie dem Leser als originell und bemerkenswerth erscheinen werden.

Nicht leicht sprechen die Javanen mit Europäern über Sitten und Gebräuche ihres Volks; eine scheue Zurückhaltung läßt sich bei ihnen nur schwer überwinden, und nur bei längerer Bekanntschaft kann ein Reisender diese oder jene Mittheilungen über Sitten oder Gebräuche aus ihnen herauslocken. Diese letzteren sind um so charakteristischer, als sie unverändert seit Jahrtausenden von Geschlecht zu Geschlecht bis auf den heutigen Tag sich fortgepflanzt haben.

In einem der zahlreichen Dörfer, welche versteckt unter hohen Fruchtbäumen am Abhange des Djamboc-Gebirges liegen – meine botanischen Excursionen hatten mich für einige Zeit daselbst verweilen lassen – gelang es mir, das Zutrauen meines Wirthes Pa Idja zu gewinnen. In lebhaftem Geplauder rauchten wir bald zusammen die gebräuchliche Maisstrohcigarette, und unser Gespräch drehte sich um das vor Kurzem stattgehabte Erdbeben.

„Warum haben denn die Leute,“ fragte ich endlich, „als sie beim Ausbruch des Erdbebens aus ihren Hütten herausliefen, sämmtlich mit so lautem Geschrei 'ada, ada' (hier, hier) gerufen? Was 'ada' sagen will, weiß ich sehr gut. Der Soldat giebt es als Antwort, wenn er beim Appell seinen Namen rufen hört. Aber was soll das Wort bei einem Erdbeben bedeuten?“

„Ihr wißt, Herr,“ entgegnete Pa Idja, „daß die große Erdschale auf der Schulter eines riesigen Büffels ruht. Oft liegt derselbe jahrelang still und trägt unverdrossen die schwere Bürde, manchmal aber wird es ihm zu sauer, und er muß sich durch Wechsel der Position einige Erleichterung verschaffen; er wälzt die Erde von der rechten auf die linke Schulter. Dann liegt er wieder still. Durch diese Bewegung entstehen die Erdbeben, und um den Büffel zu erinnern, daß wir doch auch noch auf der Erde sind, wird 'ada, ada' gerufen. Dann weiß das brave Thier, daß wir Javanen noch stets seiner gedenken, und nimmt bei allen Bewegungen die möglichste Rücksicht.“

Vom Erdbeben kamen wir auf die Erschaffung des Menschen und den Unterschied der Hautfarbe. Ich merkte schon lange, daß Pa Idja, auf seine Manier ein Naturphilosoph, gern meine Ansichten über diese Frage hören wollte, konnte ihm aber beim besten Willen hiermit nicht dienen. Ein mitleidiges Lächeln über meine Unwissenheit zeigte sich in dem braungelben Gesichte des Mannes, und nicht ohne einen Ausdruck der Ueberlegenheit rückte er bald mit seiner Erklärung heraus.

„Nach Erschaffung der Welt durch das große Oberwesen,“ sagte er, „stellte sich die Nothwendigkeit heraus, dieselbe auch durch Menschen zu bevölkern. Jener große Feuerberg, der Merapi, welcher dort vor uns seinen spitzen Gipfel in die Luft streckt, war der Ofen, Lehm von dem fruchtbaren Thalboden das Material, aus dem die ersten Menschen geformt wurden. Das Resultat war leider nicht befriedigend; denn hineingeworfen in den Feuerberg durch das große Oberwesen und nach etwas zu langer Zeit erst wieder herausgeholt, kam ein Mensch ganz schwarz und verbrannt heraus. Er erschien durchaus unwürdig, die gesegneten Gefilde Javas zu bewohnen, und wurde darum auch schleunigst unter die glühend heiße Sonne eines andern Landes verbannt. Die zweite Probe mit einer neuen Form fiel auch nicht glücklich aus. War der erste Mensch durch zu langes Verweilen im Feuerberg vollständig verbrannt, so zeigte Nummer Zwei bei dem Herausnehmen, daß auch hier nicht das richtige Zeitmaß gefunden war. Noch ganz weiß, entsprach auch dieser blanke Mann durchaus nicht dem Ideal, welches sich der große Schöpfer von dem ausgezeichnetsten Bewohner seiner Erde gebildet hatte. Unverweilt wurde deshalb auch dieser Mensch nach einem Lande verwiesen, in welchem die Natur es liebt, das Wasser und den Regen in weiße Steine zu verwandeln, und von wo noch jetzt die Menschen mit der kranken Farbe kommen, um das grüne Java zu sehen.“

Pa Idja nickte, als ich mir zu lächeln erlaubte, lebhaft mit dem Kopfe und fuhr dann fort:

„Vorsichtig gemacht durch die wiederholten Mißerfolge, wandte das Oberwesen bei dem dritten Versuch dem richtigen Moment des Herausnehmens eine größere Aufmerksamkeit zu, und siehe da, es kam ein Mensch hervor, welcher den gestellten Anforderungen völlig entsprach. Von angenehm bräunlich-gelber Farbe, wurde er sofort würdig befunden, das blühende Java zu bewohnen. Nicht der schwarz verbrannte noch der weiß gebliebene, zu wenig geröstete Mensch wurden dieses Vorrechtes würdig erachtet; nur den richtig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_738.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)