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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Production einer möglichst feinen Edelwolle strebte; ferner Vließe der neuen Zuchtrichtungen, deren Vertreter vorzugsweise Fleischgewinnung im Auge behalten. Beide Zuchtrichtungen haben ihre entschiedenen Anhänger; die Einen schwören auf Wollschaf, die Anderen auf Fleischschaf. Man scheint aber schließlich doch zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß die Fleischgewinnung bei der Richtung des Volksgeschmackes nicht ganz die gehofften Resultate ergeben hat, und daß es wirthschaftlich richtiger ist, die Wolle wiederum als wichtigen Factor in die Calculation zu ziehen.

Neben dieser Sammlung der Leipziger Universität erregten besondere Aufmerksamkeit die Vließ- und Stapelproben mehrerer edlen Merinoheerden Westpreußens und Schlesiens und die von einer Wollwäscherei zu Wurzen hübsch zusammengestellten Proben roher und fabrikgewaschener Wollen von circa siebenzig deutschen Stammheerden.

Den Beschluß der deutschen Wollen machten mehrere Vließe des Marsch- respective Eiderschafes, welche von dem nordfriesischen Verein zu Bredstedt und dem landwirthschaftlichen Verein zu Eiderstedt bei Garding ausgelegt waren. Daß diese Wolle der Niederungsschafe mit derjenigen der Edelzüchtungen nicht wetteifern kann, dürfte auch dem Laien bekannt sein; sie ist grob von Haar, indeß fest und elastisch, und wegen ihrer Länge für den Kamm geeignet.

Die ausländische Wollproduction wurde in hervorragendster Weise durch mehrere Collectionen von Colonialwollen veranschaulicht, unter denen besonders eine von neun Bremer Firmen zusammengestellte vortheilhaft auffiel. Hier wurden Wollproben, Vließe, Abfälle von Wolle, Producte aus Wollschweiß etc. aller derjenigen überseeischen Wollen vorgeführt, welche der deutsche Fabrikant vorzugsweise verbraucht. Es verdient dieses selbstständige Importiren Bremer Firmen um so mehr Anerkennung, als es das Bestreben zeigt, den Import überseeischer Wollen nach Deutschland nicht mehr durch Vermittelung des Londoner Marktes zu bewerkstelligen, sondern ihn selbst in die Hand zu nehmen. Daß Bremen immer mehr zu einem Stapelplatze überseeischer Wolle werden möge, ist von Herzen zu wünschen.

Wir wenden uns nun zur Kunstwolle. Als dieses Material Ende der vierziger Jahre auftauchte, war die ganze civilisirte Welt entrüstet. Und fünfundzwanzig Jahre später? – da existirten allein in Deutschland 129 Kunstwollfabriken mit 4776 Arbeitern – eine Anzahl, die sich heutigen Tages schon um ein Beträchtliches vermehrt haben dürfte. Dieser gewaltige Aufschwung eines früher so mißachteten Industriezweiges ist vorzugsweise auf die verbesserte Fabrikationsweise zurückzuführen. Man erfand Maschinen, welche es ermöglichen, die Wollfaser aus dem alten Gewebe oder den Fäden so zu lösen, daß sie nicht zerreißt, also möglichst lang bleibt; man erfand neue Verfahrungsweisen, bei deren Anwendung das immerhin kurze Material gut zu verspinnen ist; man erfand im Anfang der sechsziger Jahre das Verfahren des Carbonisirens, wodurch es möglich ist, auch aus halbwollenen Lumpen die Wollfaser zu gewinnen und zu Fäden zu verspinnen; man wandte endlich verbesserte Reinigungsverfahren an, welche das aus den Lumpen hergestellte Gewebe oder Gespinnst von allen Unreinigkeiten gänzlich befreite. Auch der Widerwille des Publicums gegen das Fabrikat schwand nach und nach. Die Noth lehrt eben beten. Der Unbemittelte greift gern zu jenen billigen, gewöhnlich dicken Stoffen, die, wenn sie auch nicht den aus Naturwolle hergestellten an Feinheit und edlem Aussehen im Entferntesten gleichkommen, doch immerhin eine ziemlich haltbare und warme Bekleidung abgeben. Der Protest der Aesthetiker gegen Shoddy und Mungo hat ebenso wenig genützt, wie derjenige, den sie gegen die Anilinfarben erhoben. Die Kunstwolle hat sich in der Industrie ihre Stellung errungen, und ihre Verfertiger können sich in der That rühmen, die Ausnützung eines Stoffes bis in die äußersten Grenzen der Möglichkeit getrieben und hierdurch neue Werthfactoren geschaffen zu haben.

Bot die Abtheilung für das Rohmaterial in ihrer seltenen Reichhaltigkeit besonders dem Fachmanne vieles Interessante, so noch mehr die Maschinenhalle. Unermüdlich arbeiteten die großen Dampfmaschinen, senkten und hoben sich die Kolben, drehten sich in fliegender Eile die Räder, schnurrten die Spindeln, sausten mit Blitzesschnelle die Weberschiffchen dahin und rasselten in immer beschleunigterem Tempo die Strick- und Stickmaschinen. Die menschliche Hand schien geradezu unnöthig geworden zu sein; denn fast ohne ihre Beihülfe wurden die verschiedensten Functionen verrichtet; die Maschinen webten, wirkten, strickten, stickten, griffen tief hinein in das Gebiet der menschlichen Kunst und beschämten jede Geschicklichkeit unserer Hand. Eine Menge neuer praktischer Constructionen und Verbesserungen übte auf die Fachleute eine ungemeine Anziehungskraft aus, während das Laienpublicum, weniger mit diesem Rädergetriebe vertraut, mit einem gewissen Staunen die modernen Errungenschaften der Technik betrachtete. Ihm schienen besonders die mechanischen Webstühle das meiste Interesse zu gewähren. Angesichts des Schönherr’schen Gobelinstuhles erhielt man in der That einen Begriff davon, welche Fortschritte die Technik gerade in dieser Richtung gemacht hat, und wie die noch vor fünfzehn bis zwanzig Jahren herrschende Ansicht, daß complicirtere Einrichtungen, wie namentlich die Jacquard-Maschine, nur schwer mit dem mechanischen Stuhle in Verbindung gebracht werden könnten, sich als völlig unzutreffend herausgestellt hat.

Der ganze hintere Theil der Maschinenhalle wurde von vier Dampfmaschinen eingenommen, während der vordere Theil und der Raum längs den Wänden zur Ausstellung der Hülfsmaterialien der Wollenwaaren-Fabrikation benutzt worden war. Hier lagen Chemikalien, Seifen, Leime, Oele, Producte aus Wollschweiß, Wasserglas, Dextrine, Kunstgummi, Farbhölzer, Krystallgebilde aus purpurnem Blutlaugensalz, ferner Kratzen, Pappspulen, Bürsten, Kupferarbeiten zum Theil in geschmackvollen Arrangements ausgebreitet.

Die mit Hülfe der Maschinen aus dem Rohmaterial hergestellten Fabrikate barg das Innere der alten Kunstgewerbehalle. Der langgestreckte Raum bot ein glänzendes Bild; denn mit seltenem decorativem Geschick waren nicht nur die kostbaren Stoffe und Teppiche, sondern auch die geringsten Fabrikate in einer dem Auge wohlthuenden Weise zusammengestellt worden. Die Fabrikanten von nicht weniger als sechsundzwanzig Städten hatten Collectiv-Ausstellungen arrangirt und anscheinend keine Kosten gescheut, um ihre Waaren in ansprechender, würdiger Weise vorzuführen. Tuche, Buckskin, Paletot- und Kammgarnstoffe, Decken, Flanelle, Strumpf- und Strickwaaren, Shawls, Möbelstoffe, Teppiche, Filze etc., Producte der süd- und norddeutschen, der rheinischen und holsteinischen, elsässischen, schlesischen und sächsischen Fabrikation waren hier vertreten. Besonders erregten die von den Fabriken zu Wurzen, Schmiedeberg, Cottbus und Springe aufgestellten Smyrnateppiche die allgemeinste Bewunderung. Gerade auf dem Gebiete der Teppichfabrikation sind ja die glänzendsten Resultate zu verzeichnen.

Nachdem auf den ersten Weltausstellungen die Ueberzeugung von der Vortrefflichkeit der orientalischen Teppiche durchgedrungen, beeilte man sich, diese Vorbilder für die eigene Fabrikation zu verwerthen. Die Engländer legten in Smyrna selbst Fabriken an, welche für den englischen Markt[WS 1] arbeiteten, da der Orientale bei seiner langsamen Arbeitsweise den englischen Bedarf nicht decken konnte. In Deutschland war es ein intelligenter Fabrikant, Kühn mit Namen, welcher selbst nach dem Orient reiste, um die Teppichfabrikation zu studiren und dieselbe nach seiner Heimath zu übertragen. Bald entstanden jene schon oben angeführten Fabriken, welche zur Zeit Fabrikate anfertigen, welche die alten, echten Smyrnateppiche an Haltbarkeit übertreffen. Ahmte man anfänglich nur die groben Sorten in Grün, Roth und Blau nach, so schritt man bald weiter fort und wagte sich auch an die feineren Arten, bis man endlich Technik und Ornamentationsprincip so weit beherrschte, daß nach eigenen Entwürfen gearbeitet werden konnte. Alle diese Teppiche sind Knüpfteppiche, also die plüschartig in die Höhe stehenden Fäden der Oberfläche sind genau wie bei den orientalischen einzeln mit der Hand in das Gewebe eingeknüpft. So hatten Schütz und Juel aus Wurzen ein Exemplar ausgestellt, welches bei einer Größe von 9½ Quadratmeter 1,231,200 Knoten enthielt. Hoffentlich wird sich auch bei der Herstellung unserer geringen Teppichsorten jener reformatorische Geist in verstärktem Maße geltend machen, der für die kostspieligeren Erzeugnisse der Teppichweberei so schöne Früchte getragen hat.

Mit diesen Andeutungen über die Fabrikation der Teppiche möge unser Bericht über die Ausstellung der deutschen Wollenwaaren-Industrie schließen; sie ist von 109,105 Personen besucht worden und ergab einen reinen Ueberschuß der Einnahme von 20,000 Mark, welche nach Zurückzahlung des Garantiefonds zu gemeinnützigen Zwecken verwendet werden sollen; ihr Schluß erfolgte

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Mark
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_736.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)