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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


inventiöse Maschine bildet noch heute ein hochinteressantes Object in der Modellsammlung des kaiserlich königlichen Polytechnikums zu Wien.

Ein anderer Erfinder, Barthelemy Thimmonier, ein excentrischer Schneider aus dem Rhonedepartement, hatte überaus tragische Lebensschicksale, er fand Capitalisten, fand selbst die Unterstützung der Regierung, die ihm Schneiderarbeiten für’s Militär übertrug; er ward selbst Fabrikherr, irrte aber schließlich verlacht und vergessen mit seinem Modell auf dem Rücken durch Frankreich und fristete sein Leben als – verkanntes Genie.

Seine Maschine war in der Hauptsache von Holz construirt und nähte den Kettenstich; das heißt sie fing mit einer zweiten Schlinge diejenige Schlinge auf, die der erste Stich gebildet hatte. Die Nadel stach von oben in das Zeug; ein Haken an derselben holte von unten den Faden herauf; die Schlinge blieb oben liegen, bis der zweite Stich eine zweite Schlinge durchgeführt hatte. So erzielte er eine Leistung von dreihundert Stich pro Minute, und ihm ward die Genugthuung, daß er in seiner Fabrik zu Paris sechszig Maschinen zu gleicher Zeit in Thätigkeit sehen konnte. Jedoch sein excentrisches Wesen und die Februarrevolution machten die Fortsetzung seines Unternehmens unmöglich, und auf’s Neue zeigte er auf Jahrmärkten und in Dorfscheunen sein Modell, um den Hunger stillen zu können.

1851 raffte sich Thimmonier zum letzten Mal auf; er schickte eine sehr verbesserte Maschine nach London zur Weltausstellung, wurde aber damit zurückgewiesen, weil er den Termin der Anmeldung nicht eingehalten hatte. Dieses Unglück bedeutete für den armen Erfinder gewissermaßen ein Glück. Auf jener Ausstellung erregte bereits die Elias Howe’sche Maschine das Aufsehen der civilisirten Welt, und so blieb ihm wenigstens der Schmerz erspart, den Glanz der amerikanischen Erfindung durch seinen unvollkommenen Apparat erhöhen zu müssen. Zerfallen mit sich und den Seinen starb er bald darauf vergessen in einer Pariser Winkeltaverne.

Sein glücklicher Nebenbuhler, der Mechaniker Elias Howe, ward 1819 in Spencer im Staate Massachusetts geboren. Die erste Anregung, eine Nähmaschine zu construiren, empfing er durch seinen Arbeitgeber Ary Davis in Boston. Dieser in technischen Arbeiten äußerst geschickte Mann ward eines Tages in seiner Werkstatt von zwei Männern um Rath befragt, wie eine von ihnen erfundene Strickmaschine zu verbessern sei. Aergerlich antwortete der stets kurz angebundene Davis. „Wenn Ihr etwas Nothwendiges und Nützliches thun wollt, so erfindet eine Nähmaschine! Für Eure Strickmaschine bin ich nicht zu Hause.“

Howe war bei jenem Besuche der beiden Männer in Davis’ Werkstatt gegenwärtig, und die Antwort, welche sein kluger Arbeitgeber den Fragestellern ertheilte, regte ihn mächtig an; von Stunde an sann er Tag und Nacht über das Problem nach, bis es gelöst und die populärste Maschine construirt war, die wir nach dem Uhrwerk besitzen.

Auch ihm sind mancherlei Irrgänge nicht erspart gewesen; auch er glaubte die Handnaht nachahmen zu müssen, auch er experimentirte unter der drückendsten Armuth mehrere Jahre hindurch gänzlich erfolglos, bis ihm die Frage durch das Hirn fuhr: Muß es denn die Handnaht sein?

Seine Bekanntschaft mit dem Webstuhlbau führte ihn auf das Schiffchen, und damit war die hundertjährige Krisis der Erfindung gehoben. Im Winter 1846 wurde die erste Howe’-Maschine fertig gestellt, und Howe selbst nähte darauf für seinen Freund Georg Fischer, der ihm das Geld zum Unterhalt während des Experimentirens geliehen, einen completen Tuchanzug, dessen Nähte unverwüstlicher waren, als der Stoff.

Jetzt aber thürmten sich erst die größten Schwierigkeiten vor Howe auf; wir können sie hier nicht weiter verfolgen; der Leser findet Einzelheiten darüber in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“ (vergl. u. A. Jahrg. 1867, S. 492 u. ff.) und möge sich hier mit einigen Andeutungen begnügen. Die Amerikaner verhielten sich in den ersten Jahren verneinend. Howe war gezwungen, Boden für seine Maschinen in England zu suchen, und hier ward er von einem W. Thomas hintergangen, der die Erfindung mit großer Dreistigkeit als seine eigene ausgab und die erlangten Patente mit horrendem Vortheil ausnützte. In Amerika aber baute Isaac Meritt Singer die Howe’sche Maschine mit unwesentlichen Veränderungen nach und nützte mit einer kaufmännischen Routine, die stark an den Humbug heranstreift, die Erfindung in ganz unerhörter Weise aus. Wäre nun Howe ein Deutscher gewesen, so hätte er wahrscheinlich die Rolle des verkannten Genies aufgenommen und wäre um seine Verdienste geprellt worden, doch zu seinem Glücke rollte Yankeeblut in seinen Adern; er trommelte ebenfalls Reclame, fand Anerkennung und Capital und gründete in Bridgeport eine großartige Nähmaschinenfabrik. Howe brachte es zu einem großartigen Vermögen und starb 1867 in einem Alter von achtundvierzig Jahren.

In Deutschland waren es zunächst nur unbemittelte Schlosser und Mechaniker, die sich mit Herstellung der stark begehrten Maschinen befaßten. Das deutsche Capital ließ die junge Industrie vollständig unbeachtet. Die Fabrikanlagen blieben auch im ersten Jahrzehnt klein und mangelhaft. Die Arbeitstheilung, die den Amerikanern durch große Anlagen sofort möglich gemacht wurde, war hier unmöglich; dazu kam die geschäftliche Unbeholfenheit der meist nur praktisch ausgebildeten Unternehmer und eine Art Reclamescheu, die wohl zu rühmen wäre, wenn die ausländische Concurrenz sich gleichsam in diesem Punkt enthaltsam gezeigt hätte; diese schlug aber so viel Lärm, daß das Publicum mehr betäubt als überzeugt wurde. Thatsache ist, keines Erfinders Name ward so oft gedruckt und in die Welt hinausgeschrieen, wie die Namen Howe, Singer, Grover und Baker etc., sie gehören zu den populärsten des Erdballs.

Natürlich war der deutsche Markt im Handumdrehen an Amerika vergeben, und die Legende von der alleinseligmachenden Amerikanerin war geschaffen und wuchert noch heute fort, obgleich der letzte Schein der Berechtigung längst dahin geschwunden ist.

Trotz alledem und alledem ist aber die kleine, unscheinbare, unbeachtete und unbeschützte deutsche Nähmaschinen-Industrie zu einer Bedeutung gelangt, daß ihre Existenz, ihre Wohlfahrt eine nationale Angelegenheit geworden ist. Sie beschäftigt gegenwärtig 8000 Arbeiter und fertigt im Jahr 350,000 Nähmaschinen mit einem Verkaufswerth von 16 Millionen Mark, wovon sie das reichliche Dritttheil nach überseeischen Ländern schickt, und zu diesem Resultat gelangte sie nur durch die heilige Dreieinigkeit, welche allüberall der deutschen Industrie den Weltmarkt sichert: Fleiß, Intelligenz und Genügsamkeit.

Dieses Resultat wächst an Bedeutung, wenn wir die Entwickelung weiter verfolgen.

Der amerikanische Nähmaschinenbau hatte zunächst den Vorsprung der Zeit und die intellectuellen Vortheile, daß die Erfindung auf heimischem Boden gemacht worden war, für sich voraus; er hatte ferner den festen Rückhalt am eigenen Mutterland; er hatte das Monopol, welches sich auf die amerikanischen Patentgesetze stützt; er ist an den Grenzen vor Einfuhr durch Zölle geschützt, die ihrer Höhe nach einfach als Sperrzölle bezeichnet werden können; denn sie betragen bis zu 40 Procent des amerikanischen Marktwerthes; er hatte von Anfang an große Capitalien zur Verfügung, mit denen man Riesenetablissements errichtete, die schon durch ihre Größe eine permanente Weltreclame darstellen, und diese Capitalien wuchsen in’s Fabelhafte, obgleich man in einigen dieser Compagnien bis zu 60 Procent Reingewinn im Jahr zur Vertheilung brachte.

Zum Trost, dürfen wir sagen, steuerte Deutschland zu diesen Reichthümern das Wenigste bei; hier mußten die Amerikaner Preise ansetzen, die 50 Procent niedriger sind, als diejenigen des einheimischen Marktes, und das kam daher, weil vom Anfang an die Billigkeit des deutschen Fabrikats trotz der Legende von der amerikanischen Nähmaschine doch in die Wagschale fiel.

Aber um das Geldverdienen ist es den Amerikanern auf deutschem Boden auch gar nicht zu thun gewesen; sie suchten ihren Vortheil ganz wo anders.

Es war den Amerikanern bekannt, daß die Deutschen in vielen anderen Industrien trotz ungeheuerlicher Sperrzölle den Markt in Amerika behaupten. Nun hatten aber die verschiedenen Nähmaschinenbaucompagnien sich durch Cartell eine geldspendende Domäne in Amerika, das heißt ein Ausbeutungssystem zum Unsegen des amerikanischen Volkes geschaffen, das durch nichts alterirt werden durfte, und so setzte man alle Hebel in Bewegung, um die deutsche Industrie nicht emporkommen zu lassen; sie durfte vor Allem im eigenen Mutterland keinen Rückhalt finden.

Die Amerikaner warfen ihre Maschinen in ungeheuerlichen Mengen auf den deutschen Markt; sie führten einen auch bei uns

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_695.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)