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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Vaterstadt. Nach seiner Heimkehr hatte er sodann noch zwei Jahre unter den Augen des Vaters gearbeitet und diese Zeit benutzt, sich zugleich unter den Mädchen umzuschauen, die, als er fortgezogen war, noch lustig am Rinnstein gespielt hatten.

Eine davon hatte er bald als die „Rechte“ erkannt, und der Vater hatte seine Wahl gebilligt. Wohlbedächtig war die Sache hin und wieder besprochen worden, bei mancher Sonntagspfeife und manchem kühlen Abendtrunk, ehe man sich dahin geeinigt, daß der Vater sich „zur Ruhe“ setzen und dem jungen Mann sein Geschäft übergeben würde. Genau hatten die beiderseitigen Eltern erwogen und abgeschätzt, auf welcher Basis der neue Hausstand zu begründen sei, und dieser Grund ward endlich allseitig als ein zuverlässig sicherer erkannt. So war denn nach und nach Alles fertig geworden.

Kein Fädchen mehr fehlt jetzt an der selbstgesponnenen, selbstgenähten und gebleichten Wäsche der Braut; neu getüncht und gedielt glänzt die alte Wohnstube dem Empfang der fünften Generation desselben Namens festlich entgegen, und das Elternpaar, welches sie heute verläßt, sieht noch stramm und rüstig aus, daß man wohl ahnt, wie tüchtig Beide den jungen Leuten noch manches Jahr unter die Arme greifen werden mit erprobtem Rath und kräftiger That.

Im Vollgefühle seiner Jugendkraft steht nun der achtundzwanzigjährige Mann an der Stelle, zu der er sicher und stetig vorgeschritten ist von Jahr zu Jahr. Er tritt mit dem Bewußtsein an den Altar, daß dieser Tag ihm von Gott gemacht ist, nicht früher und nicht später, als es eben bestimmt war. Haben doch auch Vater und Großvater in demselben Alter ihren Hausstand gegründet.

So steht unser Großvater am Altare, vom Wirbel bis zur Sohle, von innen und außen – ein Bräutigam!

Wenn er aber an seinem Ehrentage nicht nur pietätsvoll zurück schaute auf Vater und Vatersvater, sondern auch hoffnungsvoll vorwärts blickte auf Sohn und Enkel, wünschend, sie möchten es ihm in allen Stücken nachthun, so war diese Hoffnung eine sehr irrige.

Sein Enkel! Du lieber Gott – wie der in hastiger Eile seine weißen Handschuhe überstreift, ungeduldig in der eleganten Garçonwohnung auf- und niederschreitend, weil das vor zwei Stunden bestellte Brautbouquet noch immer nicht eintreffen will! Wie er dabei noch einmal alle Fächer seines Schreibtisches mustert, ob er auch kein verdächtiges Andenken an die Junggesellenzeit zu vernichten vergessen hat; wie er ärgerlich auf den Boden stampft bei der Entdeckung, daß die Hochzeitsreise gerade in die Tage des interessantesten Rennens fällt und in den Beginn der Jagdsaison; wie er dann endlich – während alle diese Fragen in seinem Kopfe spuken – in der kahlen Stube des Standesbeamten steht, die Feder in dessen beschmutztes Tintenfaß taucht und einen unleserlichen Namen hinkritzelt, darauf der wandelnden Atlasschleppe an seiner Seite den Arm bietet, um mit ihr zum Diner in das erste Restaurant der Stadt zu fahren – „zwanzig Mark das Couvert, ohne den Wein,“ erzählt der Schwiegerpapa in lautem Flüstertone seinem Nachbar – wie dann die kostbaren Gerichte eilig hinabgewürgt werden, weil man sich etwas verspätet hat und das junge Paar den Schnellzug nicht versäumen darf – wie nun endlich die Stunde des Abschiedes da ist und der Bräutigam ängstlich alle Schachteln und Taschen des Gepäckes überzählt und die Trinkgelder vertheilt – ach, dieser Enkel unseres Großvaters ist wohl alles Andere mehr, als: ein Bräutigam!

Von der Großmutter sagt unser altes Liedchen nur, daß Großvater sie „nahm“. Es war dies auch jedenfalls das einzig Erhebliche und Wichtige in ihrem Leben, aber doch steht auch ihre Gestalt, wie sie an den Altar getreten ist, gar lebendig vor unserer Seele!

Mit züchtig niedergeschlagenem Blicke, das Gebetbuch und das Rosmarinsträußchen zwischen den Fingern, das hohe, spitze Myrthenkrönchen auf dem festgeflochtenen Haare steht sie da, den einzigen Wunsch im hochklopfenden Busen, diesem ihrem Bräutigam eine brave, treue, gehorsame Hausfrau zu werden.

Wenn ihr aber etwa glaubt, die Eitelkeit ist eine neue Erfindung, so täuscht ihr euch sehr, liebe Leserinnen. Auch Großvaters Braut ist eitel. Da hebt sie beim Einsteigen in die hohe, altmodische, gelbe Kutsche den Saum des Rockes, damit die Nebenstehenden ihre feinen, selbstgestrickten Zwickelstrümpfe bewundern können. Auch das Taschentuch mit dem breiten, kunstvollen Hohlnähtelsaum hält sie nicht umsonst beim Hochzeitstanze so langflatternd vor sich hin. Sie hat ja schier drei Wochen lang daran genäht; also muß sie es doch auch ein bischen bewundern lassen. Mit Stolz denkt sie an die wohlgefüllten Leinwandtruhen, die man bereits in ihr neues Heim hinübergefahren hat, an die hochgethürmten Betten, deren Federn – jede einzeln – Mutter und Großmutter selbst geschlissen haben.

Ja, ihr mögt sagen, was ihr wollt, meine lieben, jungen Bräute, die ihr im nächsten Geschäfte die ganze Ausstattung für so und so viel tausend Mark gleich fix und fertig bestellt, es ist doch etwas Anderes um diejenige unserer Großmutter gewesen!

Ist ein modernes Paar unserer Tage vermählt und abgereist, so geht man meist erst an das Einrichten seiner Wohnung. Da hämmern Tapezierer und Tischler; ein lieblicher Duft von Oelfarben und Firniß durchzieht alle Räume, ja sogar Schneider und Wäscherin kommen wohl jetzt erst mit ihren verspäteten Lieferungen.

Was Wunder, wenn das Paar bei der Heimkehr feuchte Wände und nur halb getrocknete Fußböden findet, wenn alle Stuben nur halb möblirt sind – es ist ja dies Alles erst sechs Wochen vor der Hochzeit bestellt worden! Wie ungemüthlich wäre „Großvatern“ der Einzug in solch ein halbfertiges Haus gewesen! Seinen Enkel freilich stört es weniger; denn der ist ja ohnedem nur selten zu Hause. Am Tage halten ihn seine Geschäfte fern und des Abends Zusammenkünfte aller Art, die unter den verschiedensten Benennungen seine freien Stunden ausfüllen. Seine Jugendjahre sind an ihm vorübergeeilt, ohne daß er zu sagen vermag, wo sie geblieben sind. Selbstredend hat er studirt; denn sein Vater wollte aus ihm etwas Besseres machen, als einen einfachen Bürgersmann. Welcher von unseren Professionisten denkt heutzutage noch daran, seinem Sohne den „goldenen“ Boden des Handwerkes zu vererben?

„Mein Sohn muß etwas Besseres werden,“ heißt die Losung, und man hält Umfrage, in welchem der bestehenden Institute diese „bessere“ Erziehung am schnellsten zu Stande gebracht wird, und wenn die Dressur nicht rasch genug von Statten geht, wenn dem Sohne, der vielleicht ein vorzüglicher Tischler oder Schlosser, ein ausgezeichneter Kaufmann oder Oekonom geworden wäre, das Griechische nicht in den Kopf will, so trägt natürlich die Schule die Schuld daran. Man wechselt also. Man springt vom Gymnasium zur Realschule, von dieser zur Handels- oder Gewerbeschule über und sucht schließlich noch sein Heil in einer der vielen „Pressen“, die sich in jeder Zeitung rühmen, binnen drei Monaten oder in noch kürzerer Frist Freiwillige „zum Examen“ zu drillen. Nun ist das „Rechte“ gefunden. Freilich kostet es schmählich viel Geld, aber was schadet’s? „Time is money!“ – Zeit ist Geld, es sind ja dabei fast zwei Jahre Zeit erspart worden.

Mit einem Wuste von halb verstandenen und gänzlich unverdauten Kenntnissen im Kopfe, mit bleichen Wangen und kurzsichtig blöden Augen, aber – das Reifezeugniß in der Tasche, geht Großvaters Enkel aus der „Presse“ hervor und steckt sich in den bunten Rock. Jetzt kommt eine böse Zeit für die gesparten alten Silberthaler Großväterchens. Der junge Freiwillige versteht es meisterhaft, sie auf noble Art los zu werden. Wohl ärgert sich der Vater oft beim Eingehen der kolossalen Rechnungen, aber er freut sich doch auch wieder, wenn sein Sohn gerade so reiten, gerade so tanzen, schwadroniren, wetten und – fluchen kann, wie seine Vorgesetzten. Er blickt mit einer Art scheuen Staunens zu dem vornehmen Sohne empor und zieht seufzend, aber geduldig, immer wieder den Beutel.

Von dem ruhigen, naturgemäßen „Werdenlassen“ früherer Tage weiß unsere Zeit der Dampfeseile nichts mehr. Mit vierzehn Jahren lesen die Kinder Romane; bald darauf fangen sie an, selbst welche zu spielen, und dann geht die tolle Jagd, der athemlose Wettlauf weiter. Alles strebt nach fernen Zielen und flattert, dieselben nie erreichend, unbeständig hin und her. So wenig wie Knabe und Mädchen das stille friedliche Glück der Kindheit genossen haben, just so wenig genießen Jüngling und Jungfrau die herrliche Jugendzeit, und der reife Mann zersplittert erst recht seine Kraft in hundert verschiedenen Aufgaben.

Beständig vorwärts hastend, um seinen Nebenmenschen zu überflügeln, weiß er nichts vom ruhigen Genusse der Gegenwart; denn kaum hat er das eine Ziel erreicht, so ringt er schon wieder athemlos nach einem anderen. Niemand widmet einem Fache,

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