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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


dessen Aeußeres heute auf mich nicht den günstigen Eindruck machte, wie bisher stets. In seinem Auge schien mir List und Verschlagenheit und zugleich jene Unruhe zu liegen, welche durch die Furcht vor einem drohenden Unheile erzeugt wird. Das ist, sagte ich mir, augenscheinlich der Eindruck jenes „ernsten Wortes“, das der treue Diener mit seinem leichtsinnigen Herrn geredet hat. Meine Voreingenommenheit gegen den Mann, der mir bisher so angenehm gewesen, war bereits so stark, daß ich kaum den gewohnten freundlichen Ton einzuhalten vermochte.

Nach kurzer Begrüßung trug ich ihm meinen Fall vor: daß ich gestern einen Hundertlire-Schein bei ihm gewechselt und fast ausschließlich sicilianische Fünf- und Zehnlire-Scheine empfangen habe, von welchen mir soeben dieser Fünflire-Schein, den ich ihm vorlegte, als falsch von einem Händler zurückgebracht sei. Der Hôtelbesitzer warf einen flüchtigen Blick auf den Schein und sagte:

„Gewiß! Der Schein ist falsch, aber Sie irren, mein Herr, ich habe vorgestern Ihnen nicht gewechselt; den Schein müssen Sie aus anderer Hand empfangen haben.“

„Von einem Irrthum meinerseits ist keine Rede. Vorgestern Morgen um acht Uhr habe ich den Zimmerkellner mit einer Hundertlire-Note zu Ihnen geschickt, habe von Ihnen sicilianische Fünf- und Zehnlire-Noten erhalten, und dieser von Ihnen als falsch anerkannte Schein ist einer der von Ihnen empfangenen.“

Er sah mich auf diese scharf betonten Worte mit einem eigenthümlich fragenden Blicke an, schien eine rasche Entgegnung zu unterdrücken und sagte dann vollkommen ruhig:

„Sie gestatten wohl, daß ich den Kellner befrage, ob er Ihren Auftrag an mich ausgeführt und von mir gegen Ihren Hundertlire-Schein sicilianische Noten empfangen hat.“

Ich nickte nachlässig mit dem Kopfe und dachte bei mir: Jetzt wird der Kellner die Sache auf sich nehmen und erklären, daß er in Abwesenheit des Hôtelbesitzers bei einer anderen Person gewechselt habe. Diese vorausgesetzte Verabredung ließ das Thermometer meiner Achtung noch um ein Bedeutendes sinken. Wie viel höher stand nicht der ehrliche, durch die Schande seines Herrn niedergedrückte Diener gegen diesen, der mit seinen Kellnern listige Verabredungen traf und mir gegenüber mit frecher Stirn den Unschuldigen spielte!

Der Zimmerkellner erschien. Bevor der Hôtelbesitzer ein Wort zu sprechen vermocht, redete ich ihn an:

„Haben Sie vorgestern, acht Uhr Morgens, hundert Lire von mir empfangen, um dieselben bei dem Herrn zu wechseln?“

Der Gefragte erröthete heftig und stammelte eine leise Bejahung meiner Frage.

„Haben Sie meinen Auftrag ausgeführt?“

Der Kellner gerieth in stärkere Verlegenheit und antwortete:

„Ja; nur, weil der Oberkellner sagte, er wolle das besorgen, habe ich diesem den Hundertlire-Schein übergeben, und von ihm habe ich die kleinen Scheine erhalten, die ich auf das Zimmer gebracht habe.“

Der Zimmerkellner mußte bei Seite treten; der Oberkellner erschien und gab an, da der Portier häufig Geld wechsele und ihm gesagt habe, er wünsche die kleinen Scheine, die er von den Gästen für Auslagen oder als Trinkgeld erhalte, in größere Scheine umzuwechseln, so habe er den mehrberegten Hundertlire-Schein dem Portier übergeben, welcher jene kleinen sicilianischen Scheine geliefert, die ich durch den Zimmerkellner empfangen.

Der Portier! Ich wußte nicht mehr, was ich denken sollte. War das Verabredung? Wollte der alte treue Diener die Schuld seines Herrn auf sich nehmen? Gespannt harrte ich der Entwickelung.

Nachdem die beiden Kellner abgetreten, wurde der Portier herbeigerufen. Er trat durchaus unbefangen ein.

„Giuseppe,“ redete ihn der Hôtelbesitzer an, „Du weißt, daß ich allen meinen Leuten und auch Dir verboten habe, den Herrschaften Geld zu wechseln. Ich erfahre jetzt, daß Du den Oberkellner bewogen hast, dies bei Dir zu thun. Warum das? Vorgestern hast Du diesem Herrn Geld gewechselt und ihm dabei diesen Schein gegeben, den Du als Sicilianer als falsch erkennen mußtest. Wenn mein Vater Dich nicht auf dem Sterbebette mir empfohlen hätte, Du wärest noch heute Deines Dienstes entlassen, und Du bist es, wenn dergleichen noch einmal vorkommt. Ist es ehrlich, einen Fremden mit diesen Lumpen zu betrügen?“

Der Mann sprach mit solchem Ernste, mit solcher Strenge, daß er ein Meister der Verstellung hätte sein müssen, wenn er schuldig gewesen wäre. Andererseits warf mir der Alte einen so vorwurfsvollen Blick zu, daß ich mich genöthigt sah, um in's Klare zu kommen, die Geschichte dieser Geldwechselung vollständig zu erzählen.

Kaum hatte der Hôtelbesitzer erfahren, daß die sämmtlichen Scheine, die ich empfangen, falsch gewesen seien, und daß der Portier mich in dem Glauben gelassen habe, diese falschen Scheine rührten aus seiner, des Hôtelbesitzers Casse her, als derselbe in eine namenlose Wuth gerieth. Rasch errieth er, daß ich ihn für einen Betrüger gehalten haben müsse; frühere Vorkommnisse ähnlicher Art mochten ihm die Gewißheit geben, daß mancher seiner Gäste eine sehr schlechte Meinung von ihm mitgenommen haben möge.

Die nun folgende Unterredung zwischen Herr und Diener, diese heftigen Fragen des Einen, diese anfangs rückhaltenden, allmählich aber zur Offenheit übergehenden Antworten des Anderen, die Ausrufungen und leidenschaftlichen Gesticulationen Beider, das auf und ab Gehen und Rennen der Betheiligten – diese Erregbarkeit und Hast der beiden Sicilianer zu schildern ist geradezu unmöglich. Das Ergebniß der mehrstündigen Unterredung fasse ich in Kürze folgendermaßen zusammen:

Zum Verbrecher war der Alte vor etwa fünf Jahren, wie er selbst sagte, durch Zufall geworden: für eine außerordentliche Dienstleistung hatte er eines Tages von einem reichen Fremden das für dortige Verhältnisse ungewöhnliche Trinkgeld von fünf Lire empfangen. Voll Freude über den glänzenden Verdienst geht er in's Weinhaus, thut sich und einigen Bekannten gütlich, sieht den Fünflire-Schein vom Weinwirth als falsch zurückgewiesen und wird in Folge dessen von den Freunden, die er bewirthet, ausgelacht und verhöhnt. Rasch entschlossen begiebt er sich zu dem reichen Fremden, klagt diesem sein Unglück und bittet um einen echten Schein, wird aber mit dieser Bitte unter der beleidigenden Voraussetzung des Fremden, daß es auf eine Prellerei abgesehen sei, schroff abgewiesen.

Dieser unglückliche Geldschein wurde die Ursache seines Falles; nachdem er denselben bei nächster Gelegenheit einem Fremden als echt beim Wechseln einer großen Summe aufgehängt, um den durch einen anderen Fremden erlittenen Schaden wieder einzubringen, muß er denselben Schein, der dem Empfänger vielleicht bedenklich erschienen, sofort in echte Einlira-Scheine umwechseln; der Schein kehrt mehrere Male in seinen Besitz zurück; er darf die Annahme nicht ablehnen, weil sein Unglück bekannt geworden ist. Dadurch wächst natürlich sein Trieb, den Schein für immer los zu werden, was nach einigen Tagen bei einem abreisenden Fremden glücklich gelingt. Dieses Mittel wird von nun an immer angewendet, wenn er selbst einmal wieder in den Besitz falscher Scheine gekommen ist.

Bald wenden die Kellner, wenn sie solche angenommen haben, sich an ihn; er gewährt die erbetene Hülfe anfangs unentgeltlich; bald darnach kauft er die falschen Scheine ihnen zu fünfundsiebenzig Procent ab. Das Geschäft geht gut; er beginnt, falsche Scheine zu suchen – und eines Tages trifft er mit „Jemandem“ zusammen, der ihm die Lieferung falschen Geldes in beliebiger Masse zusagt. So ist er einer der besten Agenten der Falschmünzerbande geworden und hat auf diese Weise ein nicht unbedeutendes Vermögen erworben. Größere Summen wurden nur denjenigen Fremden aufgehängt, welche unmittelbar nach dem Wechselgeschäfte abreisten, und jene hundert Lire, die ich empfangen, waren für einen Anderen bestimmt gewesen und nur aus Versehen an mich gelangt. Im Ganzen, behauptete er, seien Reclamationen nur selten vorgekommen; wenn, wie in meinem Falle, die Zurücknahme der falschen Scheine nicht zu vermeiden war, so wußte der alte, wie gesagt, allgemein beliebte Mann immer durchzusetzen, daß der Hôtelbesitzer von der Sache nichts erfuhr. Glaubte er diesen Zweck bei Dem und Jenem nicht auf andere Weise erreichen zu können, so spielte er eine ähnliche Komödie, wie mit mir – und erreichte stets seinen Zweck.

„Und stets hielt man mich für einen Spitzbuben,“ schrie der Wirth in äußerster Entrüstung.

Giuseppe schwieg und wurde vorläufig aus dem Zimmer entlassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_658.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)