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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Es ist die Sprache des Rheinbundes und der napoleonischen Continentalsperre, welche wir in einer etwas veränderten Tonart hier wieder vernehmen. Der Haß gegen den Großhandel, der Neid gegen die Kaufleute, die Verfolgung der Hansastädte wurde in der Zeit von 1806 bis 1812 im Interesse der napoleonischen Universalmonarchie gepredigt, 1820 aber im Interesse des kleinstaatlichen Winkelparticularismus und des gerngroßen Duodez-Sultanismus en miniature.

Ein paar Parallelstellen werden dies deutlich machen.

Am 6. April 1812 erging von Seiten eines der bedeutenderen Rheinbundsfürsten eine Proclamation, in welcher es hieß:

„Der erhabene Protector des Rheinischen Bundes hat das heldenmäßige Bestreben erklärt, dem englischen Handelsdespotismus ein Ende zu machen. Alle Völker des europäischen Continents wissen aus Erfahrung, daß der Seehandel ausschließlich in den Händen einer Nation ist, welche willkürlich alle Preise bestimmt und alle Continentalfabriken lähmt, indem sie die Preise ihrer eigenen Fabrikate herabsetzt. Allgemeine Verarmung aller Continentalländer muß die nothwendige Folge werden, wenn nicht Einhalt geschieht.“

Und als Napoleon die Hansastädte zum Behufe der besseren Vollziehung seines verderblichen handelspolitischen Systems dem französischen Reiche einverleibt hatte, heißt es in einem Berichte, welchen der Minister der auswärtigen Angelegenheiten an den Kaiser erstattet:

„Ihro Majestät bewaffneten Sich mit Ihrer vollen Macht. Nichts konnte Sie von Ihrem Ziele abhalten. Die Hansastädte, die Küstenländer zwischen dem Zuyder-See und dem baltischen Meere mußten mit Frankreich vereinigt, sie mußten derselben Verwaltung, derselben Handelspolitik, derselben Gesetzgebung unterworfen werden. Unmittelbare und unvermeidliche Folge der Maßregeln des englischen Gouvernements! Rücksichten keiner Art konnten bei Eurer Majestät dem wichtigsten Interesse Ihres Reiches entgegenstehen. Höchstdieselben ernten die Früchte dieses wichtigen Beschlusses.“

Das Letztere bewährte sich als vollkommen richtig. Ein Jahr nach Erstattung des Rapports schon war es Jedermann klar, daß die Continentalsperre die Vertheuerung, die Corruption und das Elend hervorgerufen, daß sie, statt England von dem Continent zu verbannen, Frankreich und seine Verbündeten vom Meere ausgeschlossen, daß sie Napoleon gezwungen hatte, gegen alle Länder, welche sich seinem Continentalsystem nicht unterwarfen, Eroberungskriege zu führen, und daß schließlich statt einer Unterwerfung aller unter ihn eine Coalition aller gegen ihn eintrat, der er unterliegen mußte.

In einer anderen Bekanntmachung, durch welche die französische Regierung die Einverleibung zu rechtfertigen versuchte, hieß es: „die Hansastädte seien nur englische Colonien auf dem Festlande, privilegirte Werbeplätze für den Handelsgewinn der Britten, und brächten so die Völker um ihre Baarschaften“.

Es ist immer die nämliche Appellation an die Unwissenheit und an die niedrigste Leidenschaft, nämlich an den Neid. Immer die alte Verwechslung von Geld und Capital. Immer die alte Redensart: „das Geld geht aus dem Land“, während doch das Geld nur den Vermittler spielt, in Wirklichkeit Waare gegen Waare getauscht und die Ausgleichung zwischen Import und Export nicht durch Metallgeld, sondern durch den Wechsel, das Geld der Kaufleute, regulirt wird.

Dem Grund, welcher für die Feindseligkeit gegen den Handel und die Hansastädte angeführt wurde, steht vollständig ebenbürtig die Rechtfertigung der Einverleibung der Niederlande zur Seite. „Dieses Holland,“ sagte Napoleon der Erste, „ist nur eine Anschwemmung von französischen Flüssen, und folglich müssen wir dies angeschwemmte Land, das unseren Flüssen seine Entstehung verdankt, uns wieder nehmen!“

In der Depesche, welche der französische Generalconsul am 20. December 1810 an den Hamburger Senat richtete, und in dem Schreiben des Herzogs von Cadore, des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, welches dieser Depesche beilag, wird Hamburg damit getröstet, „daß es der Betriebsamkeit seiner Kaufleute gelingen werde, unermeßliche Hülfsquellen in dem innern Handel zu finden, dem sie sich, zum Ersatz für den überseeischen, nunmehr mit völliger Sicherheit überlassen könnten“.

Allein es zeigte sich bald, daß dies ein kahler und inhaltloser Trost war. Der auswärtige Handel wurde ruinirt, und mit dem „innern“ wollte es sich nicht machen. Es erwies sich alsbald, daß da, wo nichts herein darf, auch nichts hinaus kann; daß die Thür entweder auf oder zu ist, und daß sie nicht in einem und dem nämlichen Augenblicke nach innen, zum Hineingehen, geschlossen sein kann, und nach außen zum Hinausgehen, geöffnet.

Hamburg, wo früher keine Zölle, keine lästigen oder chicanösen Controllmaßregeln dem Kornhandel Fesseln anlegten, vertrieb nicht nur für die hannöverschen und holsteinischen Marschgegenden und für einen Theil von Mecklenburg, sondern auch für die Altmark, für das Magdeburgische, für die Saalegegenden und Schlesien große Getreidevorräthe in das Ausland. Schlachtvieh und Fleischvorräthe aus Deutschland vertrieb es nach England und Westindien; Butter nach Portugal, Spanien, England; Wolle nach England, Holland, Frankreich und den Vereinigten Staaten; Leinen vorzugsweise nach den transatlantischen Völkern spanischer Abkunft etc.

Diese Mission Hamburgs, den Vermittler zwischen seinem Hinterlande, dem deutschen Binnenlande, und dem Auslande, namentlich den transatlantischen Staaten, zu machen, hörte auf, sobald Hamburg seine Freihafenstellung durch die Einverleibung in Frankreich und durch die Unterwerfung unter das napoleonische Blocussystem einbüßte, und das Hinterland, das heißt das übrige Deutschland, litt dadurch fast noch schwerer, als Hamburg. Der ausschließlich militärisch-fiscalische Geist der französischen Verwaltung stand mit den Bedürfnissen und den Gepflogenheiten der Hansastadt an sich schon in einem schreienden Widerspruch, welcher noch geschärft wurde durch die Persönlichkeit dessen, den Napoleon an die Spitze des neuen Departements der Elbmündungen gestellt hatte. Es war Davoust, der „Prinz von Eckmühl“, der den unschuldigen Buchhändler Palm hatte erschießen lassen. Den Bürgermeister und die Senatoren setzte er nicht nur ab, sondern erlaubte sich auch daneben mit ihnen die unwürdigsten Scherze. Eines Nachts ließ er sie alle gewaltsam aus dem Bett holen und dann lange auf sich warten; endlich erschien er, um ihnen zu eröffnen, daß heute der erste April sei.

Die ganze Stadt wurde unsicher gemacht durch den Unfug und die Erpressungen des französischen Douanen-Gesindels. Der Tabakshandel und die Tabaksspinnereien wurden durch die französische Regie vernichtet. Alle öffentlichen Fonds wurden für den französischen Fiscus eingezogen. Nicht einmal der Rathskeller, welcher vormals mit dem von Bremen wetteiferte, wurde verschont; anfangs wurde er „für kaiserliche Rechnung“ verwaltet, endlich aber, kurz vor dem russischen Krieg, wurden sämmtliche Vorräthe in öffentlicher Auction versteigert; der Erlös, etwa eine halbe Million Mark, floß in den unersättlichen Schlund des französischen Fiscus. Nachdem man die Stadt ihres Vermögens und deren Bürger eines großen Theils ihres Einkommens beraubt hatte, belud man sie mit unerschwinglichen Abgaben. Zu den directen Steuern, der Grundsteuer, der Personal-, der Mobiliar-, der Thüren- und Fenstersteuer, der Patentsteuer etc., kamen die indirecten Abgaben hinzu, das Enrégistremet, die Stempeltaxen, die Kanzleigebühren, die Droits-Réunis für den Verkauf von Bier, Wein, Branntwein, Tabak, von Fuhrwerk, von den Spielkarten, den Gold- und Silberarbeiten, dazu dann die Blutsteuer, welche die Leute zwang, sich auf allen Schlachtfeldern Europas herumschleppen zu lassen und als Deutsche gegen Deutsche zu kämpfen. Daneben erging endlich noch ein Befehl Napoleon's, in den drei Departements der Elbe, der Weser und der Ober-Ems sofort dreitausend Seeleute auszuheben oder zu pressen. Der Prevòtalgerichtshof und die Douanen-Tribunale belegten Jeden, der sich diesen Lasten zu entziehen suchte, die Steuerhinterzieher, die Schmuggler, mit draconischen Strafen, welche in einer Art standrechtlicher Weise verhängt wurden. Einzelne Schmuggler wurden zum Tode verurtheilt, Viele zu Galeeren, langjährigem Zuchthaus, Brandmarkung und Ausstellung am Pranger. Der bloße Verdacht war zur Verurtheilung schon genügend.

Diese Mißregierung dauerte ungestört fort, bis die Katastrophe von 1812 die Möglichkeit einer Befreiung in Aussicht stellte. Die verfrühte Erhebung Hamburgs gegen die Fremdherrschaft im Frühling 1813, die furchtbare Rache der Franzosen, die Belagerung der Stadt durch die Russen und endlich die definitive Befreiung sind allgemein bekannt. Sie gehören der Weltgeschichte an. Ich will mich an dieser Stelle darauf beschränken, zwei Zeugnisse aus jener Zeit der Befreiung von der Fremdherrschaft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 653. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_653.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)