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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

sie das einsame Grab, als wollten sie eifersüchtig über seinen Frieden wachen.

„Auch im Tode noch!“ murmelte ich und wandte mich bitter lächelnd ab.

Prinz Christian kehrete erst nach Jahren wieder heim, als ich zwar körperlich noch jung, aber ein Greis an meiner Seele geworden. Er zehret, Johannes, solch ein Jammer; er macht alt vor der Zeit.

Der Prinz trachtete mit mir zu sprechen; ich wies ihn ab, maßen mein Herz vor Kummer und Zorn mich leichtlich hinreißen kunnt', die Ehrfurcht, die ich ihm als meines durchlauchtigsten Herzogs Bruder schuldig, zu verletzen; meines Herzogs Bruder – weiter war er nichts mehr für mich. – Doch nicht einmal, hundertmal wiederholete er den Versuch, aber ich wußte ihm dennoch auszuweichen.

Und wieder nach Jahren warf ihn ein hitzig Fieber danieder, und da sie mir sagten, es gehe mit ihm zum Sterben, ich möge kommen, da ging ich und stand an seinem Bette – nicht liebevoll und vergebend, nein, als ein Richter.

Und da bekannte er mir, daß er sie still geliebet, schon ehe ich sie gekannt, doch daß sie niemalen davon erfahren; nun habe er sie wieder erblicket als mein Weib und habe entdecket, sie sei nicht glücklich, und da sei ihm die Leidenschaft arg in Kopf und Herz gestiegen, also daß er nichts Anderes mehr gesehen als sie und ihr kummerschweres Antlitz. Und da er sie eines Tages in Thränen und Weh gefunden, habe er ihr, nicht mehr Herr seiner Leidenschaft, seine Liebe gestanden.

„Du weißt, Heinz, welchen Tag ich meine,“ setzte er hinzu, und sein farbloses Gesicht ward noch bleicher. „Sie aber wies mich ab mit harten Worten, sie liebe nur Einen, sagte sie – Dich Heinz, Dich Heinz!“ Er richtete sich in den Kissen empor und fassete meine Hände, „Dich allein, Heinz!“ wiederholte er mit vergehendem Athem, ihr Gram, ihr Kummer – sie meinte, Du liebtest sie nicht; armer Heinz, Ihr habt Euch nimmer verstanden – unverstanden! Das ist hart.“

Dann sank er matt in die Kissen zurück, und nach einer Weile flüsterte er nochmalen:

„Vergieb mir, Heinz, um ihres Angedenkens willen! Sie hat Dich, Dich allein geliebet.“

Ich saß bei ihm und hielt die erkaltenden Hände, bis sich der ewige Schlummer auf seine müden Augen gesenket. Von seinem Sterbebette aber eilte ich zu ihrem Grabe – Johannes, weißt Du, was Reue ist? Mag Gott es Dir ersparen! –

Es ist spät! die Dämmerung sinket hernieder; draußen schweiget schon lange das Lied. Es schauert kalt durch’s offene Fenster – ich bin alt.

Vorbei Liebe, Haß und Leiden – vorbei, Johannes!

Kommst Du einmal in unsere Berge, so kehre nicht bei mir ein, wenn ich noch leben sollt', behalte mein jugendfrisches Bild im Gedächtniß! Es ist besser so. Aber gehe nicht vorüber an ihrem Grabe, Du weißt, an dem Tannengestelle unter der Eiche! Und wenn Du die Worte liesest auf dem Täflein, so gedenke ihrer, und meiner – meiner, Johannes, als Eines, der es nimmer verstund, glücklich zu sein.

Geschrieben im rothen Hause.

Dein Freund
Heinrich Mardefeld.“

Nun war der Laut meiner Stimme verhallt und das Gemach erfüllte rosiger Abendschein, noch ebenso rosig, wie vor langer, langer Zeit, als ein einsamer unglücklicher Mann diese Zeilen aufschrieb. Der goldene Schein lag draußen auf den Wipfeln der alten Linden und färbte purpurn die schlichten Wände des kleinen Gemaches, und wie ein rother verklärender Schleier wob es sich um die weiße Mädchengestalt in meinen Armen.

„Friederike!“ sagte ich leise und küßte die weinenden Augen.

Wer von uns Beiden zu dem Andern gekommen ? Ich weiß es nicht mehr.

„Ich war schuld,“ sagte sie endlich nach langem Schweigen, „ich war bös und trotzig.“

„Nein, nein, ich; ich hätte Dich doch ehrlich fragen können,“ entgegnete ich.

„O, ich dachte, Du wärst mir nicht mehr gut, weil Du nicht ein Mal geschrieben hast.“

„Ich durfte ja nicht, Liebchen, ich hatte es dem Vater versprochen –“

„O Ulrich, wie unglücklich war ich doch!“

„Und ich erst, Frieda!“

Und wie ich ihr nun so tief in die blauen verweinten Augen sah, da las ich ein süßes Versprechen darin: Nie, niemals will ich wieder stolz gegen Dich sein. Und in meinem Herzen versprach ich ihr auch etwas, und Beide haben wir es gehalten, dieses stumme Versprechen, bis zu dieser Stunde, und schon lag vor einem halben Decennium der silberne Myrthenkranz auf der Stirn meines Weibes.

Auf dem Heimwege aber sind wir noch an das einsame Grab getreten, und Frieda hat einen Tannenkranz auf den epheubewachsenen Hügel gelegt. Hand in Hand saßen wir dort auf dem kleinen Bänkchen, und über uns flüsterten und rauschten die Blätter im Abendwinde, und aus dem Rauschen klang es wunderbar an unser Ohr, bald Jubel und Weh, bald Klagen und Jauchzen; der Abendwind erzählte uns von Denen, die hier schlummerten, und die er gar gut gekannt, von der holden, unglücklichen Frau, von dem biederen, sie über Alles liebenden Manne, von einem unendlichen Schatz des süßesten Erdenglückes, der sich unter diesen Steinen barg, weil jene Beiden es nicht verstanden, ihn zu heben.

Am Gatterthor kam uns der Onkel entgegen; schon sah der Mond über die Berge.

„Nun?“ fragte er, „hast Du die Geschichte gelesen?“

„Ja, Vater!“ sagte ich. Und er nickte, lächelte erst, drückte uns die Hände und küßte sein Töchterlein auf die Stirn.

Ich wußte nun, weshalb er mir jene Blätter gegeben, jene alten, vergilbten Blätter.




Thier-Charaktere.

Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.
Talentvolle Vorstehhunde.

Wie lebhaft weckt das Deicker’sche Bild in mir die Erinnerung an meinen unvergeßlichen Bruno glorreichen Angedenkens! Ja, dasselbe Bravourstück, wie das des Musterhundes aus der Illustration meines waidmännischen Freundes, hat gar manchmal mein braver, langjähriger Gefährte auf der Geflügeljagd bestanden.

Bruno war von echtem deutschen Stamme und hatte die Vielseitigkeit seiner Rasse. Er bethätigte seine Anhänglichkeit an seinen Herrn in glänzendem Maße, indem er seine Heimath – Staden in der Wetterau – von Darmstadt aus, wo er meine Spur während eines Platzregens verloren hatte, vierzehn Stunden Weges weit in kurzer Zeit wiederfand, nachdem er den Schienenweg in verschlossenem Raume von Friedberg nach der hessischen Hauptstadt zurückgelegt. Er ist trotz seiner reinen deutschen Abkunft mein flüchtigster, temperamentvollster Hühnerhund gewesen, von jener hochläufigen Art, deren Suche und Ausdauer mit der des englischen Pointer wetteifert, deren Vielseitigkeit aber die immer beschränkteren Eigenschaften des letzteren weit überragt.

Noch gedenke ich des Tages, wo Bruno die erste praktische Probe auf der Hühnersuche ablegte, sein „erstes Feld“ bestand. Ich, damals noch ein Jüngling, sollte von dem Zöglinge auf das Schlagendste an diesem Tage belehrt werden. Das Wetter war windig, weshalb die Feldhühner nicht gut „hielten“. Als der Hund auf das erste „Geläufe“ (Spur) von Hühnern kam, stand er einen Augenblick mit hoher Action, um sogleich in einem Bogen fortzustürmen und im Nu auf etwa fünfzig Schritte wieder nach mir herumzufahren und gleichsam in eine Bildsäule sich zu verwandeln. Nicht durch das Gebahren des Thieres, sondern durch mein lautes Rufen und corrigirendes Hinzulaufen nach demselben stand die zwischen ihm und mir liegende „Kette“ Hühner auf, und das feurige, noch unerfahrene Thier eilte den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_640.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)