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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


zu viel gesagt; es handelt sich im Wesentlichen nur um das Geschick, die fremden Muster nachzuahmen, und wie sehr sich bei manchen auf primitiver Culturstufe befindlichen Menschen persönliche Geschicklichkeit und Handfertigkeit auszubilden vermag, davon erzählt Graf Wurmbrand ein eclatantes Beispiel aus der Gegenwart. Das Gewerbe des Schmiedens treiben in Ungarn zumeist die Zigeuner, die ärmste und verachtetste Volksgruppe. Es wurde einem solchen Zigeuner die Aufgabe gestellt, im freien Walde, ohne irgend ein Werkzeug oder eine Beihülfe, aus einigen Stücken alten Eisens eine Kette zu schmieden. Der Mann suchte sich sofort Steine für Ambos und Hammer, verfertigte sich einen merkwürdig einfachen Blasebalg aus einem Stück Ziegenfell, brannte sich Kohlen, und in wenigen Tagen war die Schmiede im Gange. Zuerst wurden die nöthigen Werkzeuge und dann die Kette selbst gemacht, die ganz vortrefflich ausgefallen ist. Wenn man diesen herumwandernden Zigeunern einige Silber- und Goldmünzen giebt, so wird unter den Augen des Bestellers in einigen Stunden ein Armband oder Ohrring von geflochtenen Drähten mit Filigranarbeit entstehen, welche künstlicher gearbeitet sind, als unsere modernen plumpen Goldschmiede-Arbeiten, und die manchmal directe Formverwandtschaft mit etruskischem Schmuck besitzen.

Die römische Cultur, zu deren Einwirkung wir nun übergehen, war im Allgemeinen so überwältigend, so abgeschlossen, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit in den Ländern südlich der Donau die Romanisirung auch des Gewerbes sich vollzogen hatte, während in rein germanischen Gegenden die alten Gewohnheiten sich noch forterhielten. In Deutschland haben wir in Bezug auf den römischen Einfluß in vorgeschichtlicher Zeit zwei Gebiete von einander zu unterscheiden, nämlich das südliche, unmittelbar von den Römern besetzte und das nördliche, nur durch Handelsbeziehungen berührte.

Wir können bis hoch hinauf in den Norden unseres Vaterlandes eine große Menge römischer Funde verzeichnen, so sind beispielsweise in unmittelbarster Nähe Berlins an nicht weniger als sieben Stellen Funde römischer Kaisermünzen gemacht, so ist in Hinterpommern bei Schlawe eine ganz wundervolle, der römischen Zeit angehörende Bronzecyste, welche gravirt, mit Silber ausgelegt und mit feinen Zeichnungen verziert ist, so ist bei Schivelbein und in der Nähe von Berlin je eine Statue des Jupiter hastatus, bei Bahn eine silberne Statuette u. dergl. m. gefunden worden. Die Beschreibung aller echt römischen Funde in Mittel- und Norddeutschland würde einen ganzen Katalog füllen.

Wie sich in Süddeutschland, soweit es von den Römern besetzt war, der Einfluß dieses weltbeherrschenden Volkes geltend machte, davon haben wir sehr eclatante Beispiele. Hier hatte das gewaltige Reich, welches damals gerade auf dem Höhepunkte seiner Entwickelung stand, sogar die Macht und den Einfluß, ganze Städte, wie beispielsweise Regensburg, zu erbauen, welches etwa in den Jahren 170 bis 180 nach Christi Geburt nach allen Regeln römischer Kriegskunst als bedeutendste römische Festung zwischen Wien und der Schweiz angelegt wurde. Wir finden in Süddeutschland, am Rhein, in Elsaß-Lothringen viele andere römische Anlagen, namentlich auch zahlreiche römische Friedhöfe. Werfen wir einen Blick auf die durch Pfarrer Dahlem und den Grafen von Walderndorf in Regensburg untersuchten römischen Begräbnißplätze, so finden wir, daß sich diese Anlagen vor fast allen Thoren dieser Stadt längs den Straßen, insbesondere aber an der Hauptstraße nach Augsburg hinziehen. Der letztgenannte Beerdigungsplatz ist der interessanteste und instructivste; von ihm wurde beim Bau der Ost- und der Staatsbahn, als stellenweise zwölf bis vierzehn Fuß Erdreich abgehoben werden mußte, eine Reihe von Urnen und Erdbegräbnissen bloßgelegt, deren Gesammtzahl 6000 übersteigt, und es ist in hohem Maße belehrend, sich dieses Todtenfeld, das eine Reihe von Generationen und Beerdigungsarten umfaßt, einmal etwas genauer anzusehen.

Zunächst findet sich in diesen merkwürdigen Regensburger Begräbnißplätzen der alten Römer der Uebergang in den Bestattungsarten sehr schön ausgedrückt. In den älteren Theilen, etwa bis gegen das Ende des dritten Jahrhunderts, kommen auf je eine Leichenbestattung etwa neun bis zehn Verbrennungen, späterhin ändert sich das Verhältniß immer mehr; die Leichenbeisetzung tritt häufiger auf, ohne daß man jedoch die Todten mit dem Gesicht der aufgehenden Sonne zugekehrt bestattet, bis endlich der volle Eintritt auch der letzten Sitte zu bemerken ist. Nach beinahe drittehalbhundertjährigem Bestehen wurde zur Zeit des Kaisers Honorius, etwa zu Anfang des fünften Jahrhunderts nach Christi Geburt, das römische Commando von Regensburg wegverlegt und Augsburg genähert; damit hörten auch die Beerdigungen auf diesen römischer Friedhöfen auf. Für unsere Prähistorie haben wir so durch die Erforschung dieser Localitäten eine sehr schöne Zeitbestimmung dafür gewonnen, wann im Süden und Westen Deutschlands die heute noch übliche Bestattungsweise eingetreten ist. Allein diese Friedhöfe von Regensburg führen uns noch weiter bis an die Grenzscheide des altnationalen Heidenlebens und der neuen Christuslehre, bis zu den Grabalterthümern aus der nachrömischen glänzenden Zeit der Merowinger-Könige, in welcher die Summe der selbstständigen technischen Errungenschaften aller vorhergehenden Bildungsphasen sich zu großartigen Leitungen vereinigte. Die Auflösung des römischen Reiches hatte nicht sofort die Zurückziehung aller byzantinischen Romanen aus dieser Gegend zur Folge; diese Leute lebten dort vielmehr, sich selbst überlassen, lange Zeit, den veränderten Verhältnissen Rechnung tragend, bis im sechsten Jahrhundert die Bajuwaren das Land in wahrscheinlich höchst friedlicher Weise für sich eroberten.

Wir haben bisher fast ausschließlich von der Bronzezeit gesprochen, obgleich mit dem Eintritt der genannten Periode der Gebrauch des Eisens schon vielfach bei uns eingeführt war. Bei einer Betrachtung dieses Verhältnisses müssen wir uns zunächst wieder jenem nordischen Dreiperiodensysteme zuwenden, wie es von den skandinavischen und dänischen Forschern S. Nilsson, Worsaae, Montelius, Hildebrand, Wiberg u. A. m. in einer Reihe von Werken beschrieben ist, welche durch die unermüdliche Interpretin der nordischen Anschauungen, Fräulein J. Mestorf in Kiel, in's Deutsche übersetzt und schon seit Jahren im Verlage von Otto Meißner in Hamburg erschienen sind. Es dürfte vielleicht angemessen sein, hier mitzutheilen, wie sich der dänische Forscher J. J. A. Worsaae nach seinem 1878 veröffentlichten Buche „Die Vorgeschichte des Nordens“ die Chronologie dieses Systems denkt. Hiernach stellt sich die Eintheilung der Culturverhältnisse für den skandinavischen Norden annähernd folgendermaßen: Aeltere Steinzeit circa 3000 Jahre vor Christo; jüngere Steinzeit circa 2000 bis 1000 vor Christo; ältere Bronzezeit circa 1000 bis 500 vor Christo; jüngere Bronzezeit circa 500 vor bis 100 nach Christo; ältere Eisenzeit circa 100 bis 450 nach Christo; mittlere Eisenzeit circa 450 bis 700 nach Christo; die Wikinger- oder jüngere Eisenzeit circa 700 bis 1000 nach Christo. Höchst auffällig muß es erscheinen, sagt der dänische Forscher, daß die Eisencultur, welche in den classischen Mittelmeerländern rasch eine so reiche Entwickelung erfuhr und schon um 800 bis 900 Jahre vor Christo ein neues historisches Zeitalter dort begründet hatte, fast tausend Jahre brauchte, um bis an das nördliche Gestade der Ostsee hinaufzudringen, ja, daß fast zweitausend Jahre nöthig waren, um in der Zeit von 800 bis 900 nach Christo der vorhistorischen Zeit im skandinavischen Norden ein Ende zu setzen, mit andern Worten, diese bis dahin so gut wie unbekannten Länder in das Gebiet der Weltgeschichte hineinzuziehen.

Dieser Ansicht gegenüber treten unsere deutschen Anthropologen – für das deutsche Gebiet – mit großer Entschiedenheit auf. Weit entfernt – ruft Lindenschmit aus – daß die Geräthe aus Knochen oder Stein ausschließlich nur eine fern abliegende und streng isolirte Zeit bezeichnen, bilden sie vielmehr eine durchgehende Grundlage des gesammten vorgeschichtlichen deutschen Culturstandes, welche mit mehr oder minder bedeutender Beimischung von Bronzegeräthen bis zum Eintritt des allseitigsten Eisengebrauchs hinabreicht. Dr. Hostmann in Celle kommt in seiner verdienstvollen Arbeit über den Urnenfriedhof bei Darzau in der Provinz Hannover (Verlag von Fr. Vieweg und Sohn in Braunschweig) unter Anderem zu der Ueberzeugung, daß die feine Bearbeitung vieler der ältesten und schönsten Bronzen gar nicht ohne genügende Stahlwerkzeuge habe ausgeführt werden können, sodaß man also vor der Hand nur eine Eintheilung der Prähistorie in eine „vormetallische“ und in eine „metallische“ Zeit annehmen dürfe. Das Eisen sei jedenfalls gleichzeitig oder noch vor der Bronze bearbeitet worden und in Gebrauch gewesen. Auch in seiner neuesten, im Archiv für Anthropologie erschienenen Abhandlung über die von Schliemann ausgegrabenen Metallarbeiten von Mykenae und ihre Bedeutung für die allgemeine Geschichte der Metallindustrie bleibt dieser Forscher durchaus auf seiner Meinung bestehen; er führt an, daß nicht die Technik des Gießens, sondern

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_632.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)