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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

„Von dort holt man Keinen wieder, Heinrich“, sagte sie, und zum ersten Male schlangen sich ihre Arme schier leidenschaftlich um meinen Hals, und ihr Haupt senkete sich an meine Brust.

Und über uns rauschte leise der Nachtwind in den Zweigen der Linde; bleicher zitterte das Mondlicht über dem spitzgiebligen Dache des Hauses, und dann und wann zuckte ein fernes Blitzen auf; still war es in dem weiten Rund, nur ein verschlafen Rauschen des Quellbrunnens drüben, und der Schrei eines Hirschen im tiefen Walde! –

Nur Geduld, Johannes, das Ende kommt, kommt rascher als Du vermuthest.

Sie blieb ein ernst und schweigend Weib, wie sie ein ernst und schweigend Mädchen gewesen; keine Spur von dem süßen Getändel des Wonnemonds, und doch, ich war der glücklichste Mensch, Johannes; ich meinete auch, es sei die Trauer um den Bruder und Vater, die sie stumm und ernst gemacht, und von Tag zu Tage hoffte ich auf ein Lächeln um ihren Mund – vergebens! Mit einer frauenhaften Milde, die schier bedrückend wirkte, waltete sie neben mir, sodaß ich vor ihr hätt' niederfallen mögen, um ihre Hände zu küssen, wär's mir nicht thöricht und läppisch erschienen. Ich sehe noch ihre schlanke Gestalt den Waldweg entlang kommen, wenn sie mir Abends bei meiner Rückkehr aus dem Forste entgegen zu schreiten pflegte; sie ging, als schwebe sie über dem Boden, daß es mich schier dünkete, kein Grashälmchen biege sich unter ihrem Tritt; um das blonde Haupt trug sie ein lose geknüpftes schwarzes Tüchlein aus Spitzen, und meistens hielt sie ein Sträußlein Waldblumen in der Hand, die sie emsig sammelte, bald hier, bald dort sich bückend, und Juno, meine alte Hühnerhündin, ging ihr klug zur Seiten. Später saß sie dann neben mir im traulichen Zimmer, geduldig horchend, wenn ich von des Tages Erlebnissen redete.

So waren vier Wochen dahin; da kam ich einst, wie immer mit dem sinkenden Abend, zurücke und spähete vergeblich den Weg entlang nach ihr, hatte einen Reiger geschossen und dachte, sie würde sich freuen an dem aschgrauen und weißen feinen Gefieder. Aber sie schritt heut nicht daher, ungeachtet es ein prächtiger Septemberabend war, und in Angst, es möge ihr etwas zugestoßen sein, ging ich rascher zu.

Als ich nun näher gelangete und mich eben anschickte, die Stufen hinauf zu gehen in das Haus, da erreichte ein Schall mein Ohr, daß ich innehielt und lauschete; er kam aus den jungen Tannen, hinter denen die Falknerei lag. Das Herz fing mir an zu klopfen; so süße und silbern scholl itzo ein Lachen aus Frauenmund zu mir herüber, und dann ein lockend holdes Sprechen:

„Rupf' an, mein Vöglein rupf' an!“

Rasch schritt ich über den Platz und bog um die Tannenwand; da sah ich im purpurnen Schein der Abendsonne mein Weib; sie hielt den Arm hochgestrecket, und mein weißer Edelfalk stund auf ihrer Hand, mit der Rechten aber bot sie ihm Atzung, und wieder scholl ihr silbern Lachen:

„Ei, Du trotziger Gesell! Rupf' an, mein Vöglein, rupf' an!“

Ich wußt' nicht, ob ein lieblich Wunder geschehen, daß mein ernstes, stolzes Weib ein holdes lachendes Kind geworden; rosenfarben erglühete das schöne Gesicht – ich weiß nicht, kam es vom Abendroth? Aber so neu und süße war sie mir, daß ich stehen blieb, um sie anzuschauen, und schier den trutzigen Vogel beneidete. Ich sahe auch den Mann, der da nicht weit von mir an dem Stamme einer Buche lehnte, erst, als ich dicht an ihm vorüberschritt, um zu ihr zu gehen.

Er war im tiefen Anschauen des lieblichen Frauenbildes verloren, aber nun wandte er sein Haupt, und im nächsten Augenblick hielt ich den heimgekehrten Jugendfreund in den Armen, und ein großes Freuen war über mich gekommen.

Er aber machte sich hastig los und fragete, nach Friederiken hinüber deutend:

„Heinz, Heinz! Was ist das?“

Meine Augen folgeten seinen Blicken und ich sah, wie itzo die schlanke Frauengestalt langsam hinter den Tannen verschwand. Der Vogel saß einsam auf seinem Gestänge, trutzig in sich geducket.

„Was das ist, Christel? Ei nun, mein Weib, mein herzliebstes junges Weib!“

Und ich fühlte, wie mir vor freudigem Stolz das Blut in das Antlitz trat.

„Heinz! Mein guter Heinz!“ rief Prinz Christian in alter vertrauter Weise, „so finde ich Dich wieder? Hast es nicht ausgehalten allein im alten Hause und Dir die schönste Elfe eingefangen, die jemals im Mondschein durch den Wald geflattert? Alter Borkenkäfer, wie hast Du's angefangen, das schönste, stolzeste Mädchen zu gewinnen, Friederike von Babenberg?“

„Wie ich es angefangen, Christel?“ entgegnete ich, und warf einen Blick da hinüber, wo mein Weib gestanden; „wie ich es angefangen?“ wiederholte ich noch einmal, und sah ihn stolz an. „Garnicht habe ich es angefangen; unsere Herzen haben sich in Liebe gefunden und –“

„Und sie kam gern in diese Einsamkeit?“ unterbrach mich Prinz Christian und wandte das Haupt nach den grauen Mauern des Hauses, aus dem die Giebelfenster gleich glühenden Augen in der Abendsonne leuchteten.

„Gern, Christel? Mein Weib liebt mich.“

„Hm!“ meinte er, und schritt neben mir durch das Tannengestelle dem Hause zu. „So schön, so jung und so allein, oder glaubst Du, Dein Edelfalk sei ihr auf die Länge ein guter Zeitvertreib?“

„Sie ist nicht wie die Andern,“ gab ich fast barsch zurück; „ihr ernster Sinn passet wohl zur Einsamkeit.“ Und so schritten wir schweigend in das Haus, und einen Augenblick wollt' es mich bedünken, als wär' mir der heimgekehrte Jugendfreund minder lieb, denn einst.

Da wir aber beim Nachtmahl saßen und uns wie sonst in die Augen schauten, nahm ich meinen Becher und stieß an den seinen: „Willkommen daheim, Christian! Laß Dir das rothe Haus nach wie vor gefallen zu gastlichem Einspruch! Du findest hier stets die alte Gesinnung.“

Mein Weib aber saß schweigend neben mir – ihr Lachen war verstummet; sie sah fast stolzer aus, denn je, nur ein rosiger Anhauch war auf dem bleichen Gesichte zurückgeblieben, und als sich unsere Becher mit vollem Klange trafen, hob sie den Blick und schauete mich an, daß ich zu trinken vergaß; ich weiß nicht, was Alles in ihren Augen lag, Angst und Vorwurf und stummes Bitten. Da ich aber den Mund aufthat, um sie zu fragen, legte sie mir sanft die Hand auf die Schulter, erhob sich und beurlaubete sich von dem Prinzen, „da sich die Herren gewißlich noch Mancherlei zu berichten hätten aus der Zeit der Trennung, und sie noch Hausfrauenpflichten zu üben habe.“

„Bleib, Friederike!“ bat ich, „es mag Dich interessieren zu hören, was man anitzo zu Paris treibet, und wie die Damen am Hofe die Hütlein tragen.“

„Erlaube, daß ich gehe!“ bat sie schier unfreundlich, „was kümmert mich Paris und die welsche Mode?“ Und mit einer tiefen Verneigung gegen den Prinzen schritt sie hinaus.

Ich aber warf einen triumpfhirenden Blick zu ihm hinüber und wiederholete:

„Sie ist nicht wie die Andern, Christel.“

Ich sehe noch sein Gesicht vor mir in jenem Augenblick; er schauete die Thür an, hinter der ihre schlanke Gestalt verschwunden war, und ein purpurn Roth überfloß sein schönes Antlitz. Ich lachete laut auf und hielt ihm den Becher hin, und als er mir Bescheid that, da sah er so bleich aus wie das Tuch auf dem Tische.

Dann aber hub er an zu erzählen von seinen Reisen und lobete Paris mit seinen schönen Frauen und manch ein verwegen Abenteuer klang da in meine Ohren. Welsche Sitte, lockere Zucht – es wollt' mir schier leid thun um den Mund, so dies erzählete, als ich aber in seine Augen sah, da leuchtete mir doch ein gut Theil alter deutscher Ehrenhaftigkeit entgegen und ich dachte, er kann sich wohl einmal in diese wirbelnden, rauschenden Wogen gestürzt haben, aber er wird niemalen darinnen untergehen, und ich dachte an seine Mutter, das Urbild einer edlen Frauen und Fürstin, und daß ihr reiner Geist ihn gefeiet habe gegen jeglich unedel Thun.

Da er heimwärts reiten wollte spät in der Nacht, schritt er leisen Fußes die Gänge entlang und in die Halle, und als ich laut nach den Knechten schrie, daß sie Leuchtung bringen sollten, verwies er mich heftig:

„Denkst Du nicht, daß Dein Weib schläft?“

Ich stutzete. Es ward mir einen Augenblick klar, welch ein ungefüger Gesell ich sei, dann aber lachte ich.

„Man merket, daß Du zu Paris die höfische Sitte noch vervollkommnet hast.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_611.jpg&oldid=- (Version vom 31.8.2018)