Seite:Die Gartenlaube (1880) 608.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Commissionär und der Geldleiher für die ganze Welt geworden. Der überlegene Einfluß, welchen es in ökonomischer Beziehung auf das übrige Europa, sowie theilweise auch aus die anderen Theile der Erde ausübt, ist hauptsächlich erst im Laufe des gegenwärtigen Jahrhunderts errungen worden. Und es ist für junge Nationen ein ermuthigender Gedanke, daß eine verhältnißmäßig so kurze Periode für die Geschichte eines Volkes zuweilen hinreicht, das Aufblühen desselben mächtig zu entwickeln. Im Jahre 1810 zählte die Bevölkerung des britischen Inselreiches nicht mehr als sechszehn Millionen Einwohner; diese Zahl hat sich bis heute mehr als verdoppelt. Das steuerbare Jahreseinkommen für England und Schottland ward damals auf 100 Millionen Pfund Sterling geschätzt, dasselbe ist seither auf 550 Millionen Pfund Sterling gestiegen. Das gesammte Nationalvermögen überhaupt wurde vor sechszig Jahren auf 2000 und kürzlich von M. Robert Giffon, dem Chef des statistischen Bureaus im britischen Handelsamte, auf 8500 Millionen Pfund Sterling veranschlagt.“

Wir haben obige Sätze hier citirt, weil wir sie als bemerkenswerthe Schlußfolgerung, gleichsam als letztes Ergebniß am Ende umfassender Darstellungen gefunden haben, welche für alle darin enthaltenen Urtheile die handgreiflichsten und überzeugendsten Beweise führen. Nur besondere Umstände haben das Entstehen und die Ausführung dieser Darlegungen ermöglichen können. Als der junge österreichische Kronprinz 1877 eine Studienreise durch die britischen Industriebezirke unternahm, wurde ihm vom Ministerium des Auswärtigen der schon mehrere Jahre in England weilende und mit dem betreffenden Gebiete vertraute Dr. Karl von Scherzer als wissenschaftlicher Führer zugesellt.

Was Karl von Scherzer auf dieser systematischen Wanderung durch die hervorragenden Fabriken, Werk- und Productionsstätten Großbritanniens gesehen und erfahren, erkundet und ermittelt hat, all dieses werthvolle und emsig gesammelte Material ist von ihm zu der beträchtlichen Reihe von nicht weniger als dreiundvierzig Einzelbildern verarbeitet worden, die kürzlich unter dem Gesammttitel „Weltindustrien“ (bei Julius Meier in Stuttgart) veröffentlicht sind. Jede dieser Schilderungen behandelt einen bestimmten Industriezweig, eine Gruppe oder einen Centralpunkt industriellen Schaffens und erscheint so als ein abgerundetes und in sich abgeschlossenes Ganzes. Durch die wohlgeordnete Nebeneinanderstellung und Aufeinanderfolge der einzelnen Schilderungen aber entfaltet sich vor uns ein in hohem Grade eindrucksvolles und imposantes Gemälde britischen Gewerbfleißes, von seinen ersten noch sehr hülfsbedürftigen Anfängen bis zu seinem gewaltigen Aufschwunge als siegreicher Herrscher auf allen Gebieten des Weltmarktes. Zugleich zeigt sich uns dabei unwidersprechlich, wie England diese unleugbaren Erfolge einzig und allein seinen wesentlich demokratischen Institutionen, der Freiheit seiner gewerblichen Bewegung, seiner ausgedehnten Gastfreundlichkeit etc. verdankt und wie sich nur aus diesem Boden jener mächtige, unaufhaltsam nach vorwärts drängende Unternehmungsgeist entwickelt hat, dessen energische Impulse der auf Massenerzeugung gerichteten englischen Production ein so durchgreifendes Uebergewicht einräumten über die zaghafte und mit eingeschränkten Mitteln fortschreitende Gewerbthätigkeit des Continents.

Durch solche Fingerzeige erlangt diese Publication eine weit über den blos literarischen Werth hinausgehende Bedeutung, und wenn wir durch einen Hinweis auf dieselbe an dieser Stelle von unserm Grundsatze, literarische Erscheinungen der Regel nach nicht in den Bereich unserer Stoffe zu ziehen, diesmal abweichen, so findet dies durch eben jene Bedeutung des Buches seine Erklärung. Mit ihrer objectiven Thatsächlichkeit und dem Rüstzeug ihrer statistischen und technischen Belehrungen, mit ihren historischen und culturgeschichtlichen Rückblicken, ja mit den mannigfach eingestreuten anekdotischen Mittheilungen von den Heroen und Märtyrern der Industrie können die Scherzer’schen „Weltindustrien“ aufklärend und spornend, erhebend und erfrischend wirken in einem Moment, wo unsere eigenen handelspolitischen Verhältnisse sich auf dem Wege des Rückschritts befinden und der emsig von allen Dächern gepredigte Glaube an den angeblichen Segen der Verkehrsbeschränkung und des Vorrechtswesens bei uns so vielen Gedankenlosen bereits so stark die Augen geblendet hat, daß eine wirthschaftliche Verirrung und Verwirrung hereinzubrechen droht. Mag der Charakter unserer angelsächsischen Stammverwandten, mag ihre auswärtige Politik und Manches in ihren Zuständen nicht immer unsere Sympathien erwecken, so werden doch unter dem Drucke reactionärer Wendungen, wie es die heutigen sind, unsere Blicke unwillkürlich immer wieder auf die beneidenswerthe Festigkeit der freisinnigen und volksthümlichen Staatseinrichtungen gelenkt werden, aus denen sich in unablässigem Arbeitsringen der wirthschaftliche Frieden und Wohlstand, der behende und intelligente Unternehmungsernst des freiheitliebenden Inselvolkes zu einer so glanzvollen Culturmacht entwickeln konnten.

Wie ungemein wohlthuend berührt es, wenn wir z. B. in dem Buche lesen, daß englische Könige und Regierungen zwar gleichfalls handelspolitische Fehler begingen, fast immer jedoch bereit waren, dieselben offen einzugestehen und nach Thunlichkeit wieder gut zu machen, sobald sie nur überzeugend nachgewiesen waren! Die Fehler, von denen man zurückkam, hatten aber stets in beschränkenden Maßnahmen bestanden, und schon die Königin Elisabeth gab ein interessantes Beispiel solcher Umkehr. Als ihr einst nach langen und heftigen Parlamentskämpfen die Gemeinschädlichkeit der von ihr ertheilten Monopole durch eine an sie abgeordnete Commission dargelegt wurde, antwortete sie derselben: „Die von Ihnen geschilderten Zustände würden unzweifelhaft mir zur Unehre sich entwickelt haben, hätten nicht Sie mir jene Harpyien und Blutegel (die Monopolisten) zu erkennen gegeben. Ich würde lieber mein Herz und meine Hand verderben sehen, als daß ich dieselben dazu bieten möchte, Monopole und Privilegien zu gestatten, unter denen mein Volk leidet.“

Nun, Monopole und Privilegien im Sinne jener Tage giebt es freilich heute kaum noch. Die fanatische Gewinngier aber, welche durch Vorrecht und Ausbeutung sich bereichern will, ist nicht erloschen; die modernen Verhältnisse haben sie nur gezwungen, ihre widerliche Absicht hinter staatsweisen Phrasen und patriotischen Beschönigungsnamen zu bergen, wie „Schutz und Förderung der nationalen Arbeit“ etc. Der Zweck ist sichtlich derselbe geblieben. Ob wir von Seiten unserer Machthaber noch ähnliche Eingeständnisse irrthümlicher Abweichung von den naturgemäßen Bahnen des gewerblichen Verkehrs erleben werden? In Worten vielleicht nicht. Gewiß aber ist, daß die Nöthigung zu Thaten der Umkehr ebenso wenig ausbleiben wird, wie sie in der Geschichte des englischen Wirthschaftslebens ausgeblieben ist.




Die Verkleinerung der Großstädte durch das Telephon. Als der Schreiber dieser Zeilen im Jahrgange 1877 der „Gartenlaube“ (S. 796) die Ansicht aussprach, daß man bald vermiethbare Telephonverbindungen für den Privatgebrauch des Telephons haben würde, wurde er von anderen Zeitschriften ob dieses Sanguinismus abgekanzelt, aber schon bald darauf begannen sich die amerikanischen Großhandelsplätze mit Centralstationen zu versehen, die gegen eine bestimmte Miethe jedes Geschäftshaus in den Stand setzten, in jedem Augenblicke mit jedem beliebigen andern abonnirten Geschäftshause der Stadt mündlich verkehren zu können. New-York, Chicago, Saint-Louis und Cincinnati machten drüben den Anfang, und die Vortheile sind so in die Augen springend, daß überall alsbald die Zahl der auf diese Weise auf Flüsterweite in Verbindung gesetzten Theilnehmer sich auf mehrere Tausend belief, unter denen alle bedeutenden Geschäftshäuser vertreten waren. Seit einigen Monaten ist dieselbe Einrichtung in London durchgeführt, und soeben sind die ersten Schritte gethan, sie nach der deutschen Reichshauptstadt zu verpflanzen, welche ihrerseits mit der Einführung des Telephons in den Postdienst den andern Ländern vorausgegangen war. Suchen wir uns ein Bild von der ganzen Organisation, die, bildlich gesprochen, auf eine Verkleinerung der Großstädte hinausläuft, zu machen! Die Hauptsache dabei ist eine möglichst in der Mitte der Stadt angelegte Centralstation, mit welcher jedes in den Verband eintretende Haus mittelst metallischer Leitung verbunden wird. In dem Centralbureau befindet sich nun eine Einrichtung, die derjenigen der in’s Riesige übersetzten Hôtelklingeln ähnlich ist. Wenn der Privatmann auf seinen Telephonknopf drückt, zum Zeichen, daß er sich mit irgend Jemand dieser engern Gemeinde in Verbindung setzen wolle, so springt auf dem Centralbureau das mit seiner Nummer oder seinem Namen versehene Anzeigertäfelchen auf. Der Beamte verbindet sein Telephon mittelst eines sogenannten Umschalters durch einen einzigen Druck mit dem des Abonnenten und giebt ein Zeichen, daß er bereit sei, die Aufträge desselben auszuführen. Dieser nennt Namen oder Nummer des Hauses, mit dem er in Verbindung zu treten wünscht, und nach wenigen Secunden ist das „alte Haus“ W. in Westend an den neuen Palast in Ostend gerückt und die Bewohner desselben sind bereits vom Centralbureau aus verständigt, daß Haus W. mit ihnen eine Unterredung wünsche. Zugleich ist das Centralbureau aus der Verbindung ausgeschieden und die beiden Häuser können sich mit flüsternder Stimme die größten Geheimnisse mittheilen, ohne Furcht, von irgend Jemand belauscht zu werden.

In dem Centralbureau, durch welches die Gespräche der ganzen Stadt schwirren, hört man von alledem keine Silbe und kann froh darüber sein; denn es müßte sich wie das Meeresbrausen anhören, welches man auf den Gallerien der modernen Börsen an heißen Tagen vernimmt. In New-York werden im Durchschnitt sechstausend Verbindungen täglich verlangt, und damit keine Verzögerung eintritt, sind eine Anzahl Knaben angestellt, die, von einem Oberinspector überwacht, die einfache Arbeit der Verbindung und nach Meldung, daß das Gespräch beendigt sei, die Trennung vornehmen. In Amerika erfreut sich diese Geschäftserleichterung einer solchen Theilnahme und Würdigung, daß man drauf und dran ist, auch zwischen den Nachbarorten, z. B. zwischen New-York und Philadelphia, solchen „elektrischen Geheimbund“ herzustellen, wie er thatsächlich durch Vermittelung der öffentlichen Linien und Verbindung derselben mit dem Centralbureau schon jetzt ausführbar ist.

Wir haben es absichtlich vermieden, die Einzelnheiten dieser Einrichtung zu beschreiben, die ebenso einfach wie veränderlich sind. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß man überall die vollkommensten, lautestsprechenden und ohne Mühe verständlichen Telephone anwendet. So ist der damals ausgemalte „Traum“, der gewiß auch von manchem Leser der „Gartenlaube“ belächelt wurde, bereits an vielen Orten verwirklicht. C. St.     



Kleiner Briefkasten.

Frau M. P. in Gl. Es ist uns zu unserem aufrichtigen Bedauern unmöglich, Ihren Wunsch zu erfüllen.

Gr. in Lothringen. Die reine Grillenfängerei! Milch, dem Kaffee beigemengt, ein Getränk, bei dem unsere Eltern und Großeltern zu hohen Jahren gekommen, ist trotz jener vielverbreiteten Zeitungscorrespondenz auch für uns und unsere Kinder kein Gift.

Lw. in Metz. Allerdings sollte Ihr Aquarium eine oder mehrere Erd- oder Felserhöhungen oberhalb des Wassers haben, damit sein Bewohner das Trockene mit dem Feuchten nach Bedürfniß vertauschen kann.

H. Wilden-Leipzig. Ihre Novelette entspricht in Erfindung und Durchführung zu wenig den zu stellenden Anforderungen, als daß wir von derselben Gebrauch machen könnten. Verfügen Sie gütigst über das Manuscript!

C. in Kassel. Eine derartige Anstalt ist uns nicht bekannt. Vergleichen Sie aber den Bock’schen Artikel in unserem Blatte, Jahrg. 1857, Seite 344!

G. G. aus Odessa. 25 M. für die Nothleidenden in Schlesien sind richtig eingegangen. Besten Dank!

Abonnent in Stettin. Wir warnen Sie vor diesem Schwindel.

J. A. in Melbourne. Auf eingesandte Gedichte kann, wie oft erklärt, eine Antwort nicht ertheilt werden.

H. L. in Leipzig. Es giebt nur private kartographische Anstalten. Die Schule in Potsdam ist längst eingegangen.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 608. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_608.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)