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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


der sich auf dem Hinmarsche nach Paris zutrug. Nach dem Uebergange bei Corbeil über die Seine waren wir in Ris Orangis einquartiert. Ein Officier unseres Regimentes hatte sein Quartier in einem niedlichen Landhause erhalten. Das Haus war vollständig möblirt, den sonstigen Hausrath aber hatte der Besitzer mitgenommen. Wie erstaunte nun Rittmeister K. – derselbe, aus dessen Wohnung in Villegénis die Uhr entwendet worden war – als er eine Commode zum Einlegen seines Revolvers öffnete und dieselbe mit den werthvollsten Schmuckgegenständen angefüllt sah! Die Sachen waren jedenfalls in der Hast der Flucht vergessen worden. Der Rittmeister erstattete sofort Anzeige bei dem Oberst, der in Abwesenheit des gleichfalls davongelaufenen Maire nichts Anderes thun konnte, als den reichen Fund dem im Hause wohnenden Gärtner zur Aufbewahrung zu übergeben. Ob dieser nun den Schatz bis zur Rückkehr der Herrschaft treulich gehütet und ungeschmälert zurückgegeben, oder ob nicht auch die ‚Prussiens‘ als Diebe herhalten mußten? Wer weiß es?“




Im Grünen. (Vgl. das Bild auf S. 565.) Eine Sommeridylle, „wie sie im Buche steht“! möchte man im Anschauen unseres Bildes sagen, dem wir obige Unterschrift gegeben – denn wenn man schon längst gewohnt ist, den Mai der Poeten nicht mehr von der Wirklichkeit zu verlangen, so, scheint es, wird man zum mindesten in diesem Jahre auch auf eine Landschaft mit echter Sommerstimmung in der Wirklichkeit verzichten und sich mit einer solchen auf dem Papier entschädigen müssen. Und ach! welch ein Zauber liegt in dem Genusse eines echten Sommertages, mit seiner reinen, flimmernden, sonnedurchglühten Luft, mit der tiefen, klaren Bläue seines Himmels, welchen nur zuweilen ein weißes Wölkchen langsam wie ein Schwan durchsegelt und in dem sich singende Lerchen verlieren, mit der gilbenden Saat, welche so zukunftssicher die schweren Aehren wie im Traume senkt, mit den zitternden Lichtern auf blumengesticktem Rasen und den leuchtend durchsichtigen Waldesschatten, in denen sich so wonnig ruhen läßt! Die Schmetterlinge flattern und die Bienen, die blauen und stahlgrünen Fliegen summen – Alles athmet tiefstes Behagen und jene Gewißheit der Beständigkeit in der Natur, ohne welche – die Welt empfindet es schmerzlich genug im Jahre des Heils 1880! – der volle beglückende Naturgenuß zur Unmöglichkeit wird. Möchte unser Bildchen dastehen als eine Prophezeiung auf das baldige Kommen einer besseren Zeit, wo sich’s mit den Gestalten desselben heiter und beruhigt genießen läßt – „im Grünen“!




Kriegskämpfer und -Invaliden in Bedrängniß. Zweite Folge. Im ganzen deutschen Reiche wird es wenige Orte geben, in welchen nicht die diesjährige, zehnte Feier des Sedanfestes mit Begeisterung begangen werden und zumeist, was das „Gelingen“ betrifft, „nichts zu wünschen übrig lassen“ wird; denn im Festefeiern sind wir ja stark. Wird man es uns verargen, wenn wir, um die Freude des Tages durch eine ernste Zugabe zu heben, gerade diesen Augenblick wählen, um einmal wieder an unsere armen, verlassenen Kriegs-Invaliden zu erinnern?

Das Sedanfest hat eine doppelte Bedeutung: wir feiern mit ihm den Sieg über Frankreich und die Wiedergeburt des deutschen Reiches. Sind zur Theilnahme an letzterem alle Deutschen verpflichtet, so wären doch wohl zur Mitfeier des Siegesfestes als solchen vor Allem alle Miterkämpfer jenes Sieges berufen. Vom kleinsten Orte bis zur größten Stadt sollte es keine Ausnahme von der Dankes- und Ehren-Verpflichtung geben, an diesem Tage Alle zur Mitfeier zu laden, welche in dem großen Kriege mitgekämpft haben. Wollen wir aber uns an die bis jetzt gefeierten Sedanfeste erinnern, so wird uns die Wahrheit beschämen, daß die Zahl Derjenigen, welche, mit dem Feldzeichen, ja mit dem Eisernen Kreuz auf der Brust, dem Festjubel zusehen mußten, weil sie zur Mitfeier zu arm waren, leider an vielen besonders größeren Orten, keine geringe war.

Wäre dies nicht traurige Thatsache, wie könnte es möglich sein, daß heute, nach zehn Jahren, die Noth so vieler Mitkämpfer und ganz besonders so vieler Invaliden jenes Krieges noch so groß ist? Es vergeht keine Woche, wo nicht der Redaction der „Gartenlaube“ die oft bittersten, von Obrigkeiten, Pfarrämtern und Aerzten als berechtigt anerkannten Klagen armer Invaliden zugehen, für die wir keine andere Hülfe, als die öffentliche Bitte haben.

Möchten doch alle Veranstalter und Theilnehmer an dem diesmaligen Sedanfeste sich der Pflicht der Dankbarkeit gegen die durch jenen Krieg um Gesundheit und Lebensglück gekommenen Mitkämpfer erinnern! Wenn sie sich bemühen, diese Männer aufzuspüren und ihnen die Theilnahme an dem Feste zu ermöglichen, so werden sie sich auch überzeugen, wo und wie sehr noch, aber auch wie leicht oft ihnen zu helfen ist. Die meisten der armen Invaliden suchen Arbeit, suchen eine Stelle, freilich in bedingter Wahl, wie sie die Rücksicht auf ihren körperlichen Zustand umgrenzt. Auch solche geeignete Stellen werden sich leichter finden, wenn man die Männer selbst kennen wird. Gewiß würde dann nicht so manche Familie durch die Noth aus einander gerissen – weil der Mann für das Vaterland seine Pflicht erfüllt hat.

Wir waren im Stande, an die Neun, für welche wir jüngst in Nr. 20 der „Gartenlaube“ gebeten, die Summe von 708 Mark als für sie uns zugekommene Gabe zu verteilen. Dagegen sind die Bitten um „Stellungen“ von wenig Erfolg gewesen. In der Hoffnung auf die herzerwärmende Wirkung des Sedanfestes legen wir eine neue Folge solcher Bitten dem deutschen Volke an’s Herz.

10) Ein Opfer der Belagerung von Paris. Mit dem Anhaltischen Infanterie-Regiment zog ein kerngesunder Reservist, Schuhmacher seines Gewerbes, 1870 nach Frankreich, focht vor Toul, bei Beaumont und Sedan und vor Paris (bei St. Denis), dann bei Orleans und Le Mans, von wo er abermals vor Paris kam. Hier packte ihn, noch im Januar 1871, zum ersten Male die Gicht so stark, daß er im März nach dem Wiesbadener Lazareth und von da in das Dessauer Reservelazareth geschafft werden mußte. Seine kräftige Natur schien über die Krankheit Herr geworden zu sein, und so heiratete er 1873 und betrieb sein Handwerk mit Glück. Erst 1875 brach das Leiden wieder aus, aber so heftig, daß er zwei Jahre lang arbeitsunfähig blieb und mit Frau und zwei Kindern total verarmte. Sein Handwerk kann er nun nicht mehr – eine Wächterstelle, die ihn oft von Nachmittags vier Uhr bis Morgens sechs Uhr auch im Winter an den Dienst im Freien fesselte, und durch deren Annahme er die ihm gewährte Pension der „Kaiser Wilhelm-Stiftung“ wieder verlor, drohte die Krankheit auf’s Neue hervorzurufen. Der Mann, der sich durch angenehmes Aeußere, Biederkeit und Solidität auszeichnet, könnte seiner Familie recht gut noch lange erhalten werden, wenn man ihn mit einer Stelle beglücken wollte, die ihm Bewegung im Freien und doch Schutz vor Ueberanstrengung und Erkältung böte. Man denkt bei Besetzung solcher Posten nur gar zu wenig an unsere Invaliden.

11) Durch den Krieg bis vor das Armenhaus gebracht. Ein baierischer Infanterist (vom 14. Regiment) zog als Sohn einer ziemlich wohlhabenden Bauernfamilie 1870 mit aus. Er war der Aelteste von noch neun meist unmündigen Geschwistern. Während des Feldzugs richteten Feuersbrunst, Hagelschlag sowie Krankheiten der überangestrengten Elten die Familie zu Grunde – und 1871 kehrte der Sohn, der die letzte Hoffnung und einzige Stütze des Hauses war, als ein Ganz-Invalide aus dem Kriege zurück und brachte nichts als – den Typhus mit in das Haus. Nun bezieht der junge Ganz-Invalide allerdings einundzwanzig Mark Pension – gewiß recht dankenswerth unter den nun einmal bestehenden deutschen Pensionsverhältnissen – aber die Rechnung bleibt dieselbe: daß dies für den Tag 70 Pfennig ausmacht, wenn der Monat nicht unglücklicherweise 31 Tage hat. Ein total Arbeitsunfähiger kann dabei nur das armseligste Leben fristen – und was wird aus der nicht durch seine Schuld, sondern durch sein Schicksal hülflosen Familie? Sie steht mit ihm – vor dem Armenhaus. Hilft Niemand?

12) Mit schwerem Brustleiden heimgekehrt, jetzt 35 Jahre alt und ebenfalls Pensionär von 21 Mark. Heimathbehörde und Arzt bezeugen dem Manne, daß eine Badecur ihm Linderung bringen kann – aber woher die Mittel nehmen? Er war ein geschickter Goldarbeiter; unser großer siegreicher Krieg hat ihn arm und elend gemacht.

13) Um ein Auge ärmer geworden. Für diesen Tapfern, der durch seine Verwundung bei Champigny, wo er als Artillerist im Feuer stand, das rechte Auge verloren, bittet sein eigener Bezirksfeldwebel nun eine Anstellung, welche ihm eine Beschäftigung gewährt, die er mit dem einen Auge ausführen kann, ohne es durch Erkältung ebenfalls zu gefährden, eine Stellung etwa als Fabrikaufseher. Der Mann hat Realschulbildung, kann also auch für schriftliche Arbeiten verwendet werden.

14) Auch Einer von Belfort, für den seine unglückliche Frau bittet. Kaufmann und jetzt zweiunddreißig Jahre alt, hat er sein kostbarstes Gut, seine Gesundheit, dem Vaterlande zum Opfer gebracht. Wie so viele unserer Bravsten, die in dem furchtbaren Winterfeldzuge und in der dreitägigen deutschen Thermopylen-Schlacht an der Lisaine Süddeutschland vor den Schaaren Bourbaki’s gerettet, hat auch er sich dort den Keim zu den heftigsten Rheumatismusleiden geholt. Gute Stellungen, ein eigenes Geschäft, das ersparte Vermögen – Alles fraß die Krankheit, und jetzt, wo die Anfälle ihm Ruhe lassen, seine Gesundheit hergestellt scheint, sind alle seine Bemühungen um eine Erwerbsstellung, bei Privaten und Behörden, vergeblich. Mit Lohnschreiberei muß der Arme sein und seiner Familie Leben zu fristen suchen. Und das ist auch Einer von Belfort – welches „Sedanfest“ wird er zu feiern haben?

15) Ein Mann mit Frau und drei Kindern. Bei Wörth durch einen Schuß in das linke Fußgelenk als „temporär ganz erwerbsunfähig“ Ganz-Invalide geworden, erhielt der Mann eine Pension von vierundfünfzig Mark. Da derselbe bei der zweiten „Superrevision“ nicht mehr an zwei Krücken, sondern an Stöcken gehen konnte, so wurde seine Pension um achtzehn Mark herabgemindert. Er bittet nun dringend, da er Weib und Kinder mit sechsunddreißig Mark monatlich unmöglich ernähren kann, um eine Stellung – „bei der er nicht viel zu gehen braucht“.

16) Der Letzte von Dreien. Im Westfälischer lebt ein greiser, fast erblindeter ehemaliger Bergarbeiter, welcher vor 1866 drei rüstige Söhne hatte. Der älteste war verheirathet und erfreute sich eines Kindes. Da bricht der Krieg von 1866 aus – der älteste und der zweite Sohn ziehen mit, und der erstere stirbt während des Feldzuges an der Cholera. Zurückgekehrt, heiratet der Zweite, um die nachgelassene Familie des Bruders zu versorgen, dessen Wittwe. Der Feldzug von 1870 ruft ihn mit dem jüngsten Bruder zusammen in’s Feld – er bleibt in einer Schlacht, und nun heiratet der anscheinend wohlbehalten zurückgekehrte dritte Bruder die zum zweiten Mal Verwittwete, deren Kinderzahl jetzt auf drei angewachsen ist. Da stellt sich bei dem Manne Krankheit als Folge der Kriegsstrapazen ein, und er ist unfähig, die Familie zu ernähren, welcher nun der alte, halb blinde Vater kärglich mit dem aushilft, was er mühsam genug durch Steineklopfen erwirbt – wahrlich, eine Familientragödie, wie sie so erschütternd die letzten Kriege nicht viele im Gefolge gehabt haben dürften.

17) Mit der Neigung zu Podagra-Anfällen aus dem letzten Kriege heimgekehrt, welche ihn zuweilen auf Monate für seinen Beruf untauglich machen, bittet ein Geometer um dauernde Verwendung. Er hat das Gymnasium absolvirt, auch kurze Zeit Chemie studirt. Nun liegt er seiner Mutter zur Last, nachdem er, auf Pensionirung untersucht, momentan gesund befunden und deshalb von der Unterstützung ausgeschlossen worden ist.




Berichtigung. In dem Artikel: „Der österreichische Touristenclub“ (in „Blätter und Blüthen“ unserer Nummer 32) ist in Folge eines Druckfehlers irrthümlich mitgetheilt worden, daß die Zahl der Mitglieder des Clubs sich auf 250 belaufe. Der österreichische Touristenclub zählt heute mehr als 3200 Mitglieder. Dies zur Berichtigung!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 576. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_576.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)