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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

schäumenden Masse; eine furchtbare Brandung steht an jenen Bänken, welche theils weit hinaus in die See ragen, theils tiefer hinein die Einfahrt der in die Nordsee mündenden Flüsse verlegen und die Küstengebiete von Jütland bis Holland unnahbar, ja zu Stätten der Vernichtung machen, denen schon manch stattliches Schiff verfallen ist.

In der Elbmündung heißen jene Wattbänke „Sande“, z. B. der Marner Sand, vor den Dithmarschen, der Vogel-Sand, in der Mitte der Einfahrt, und andere. Schaarhörn, dem das auf S. 549 gegebene Bild entnommen ist, soll „steile Kante“ bedeuten, friesisch „Skorhörn“; der anderen Erklärung nach ist es eine Abkürzung von „St. Ausgarius-Bank“, was bei der halsbrechenden Geschicklichkeit des Plattdeutschen in volksetymologischen Verdrehungen durchaus annehmbar ist. In der Weser dagegen führen die Bänke meist den Namen „Plate“, z. B. Tegeler Plate, Luhne-Plate, doch kommen auch Sande, wie Lang-Lütjen-Sand, Ewer-Sand, vor. Namenlich sind Schaarhörn, Wittsand, Tegeler Plate, die alte Mellun und noch einige andere gefürchtet. Es giebt wohl kaum ein Meer von der Ausdehnung und Bedeutung der Nordsee, das so viele Opfer fordert, so viel Fahrzeuge verschlingt, wie diese. Wie in der Sahara die Karawanenstraßen von Gerippen umgekommener Thiere bezeichnet werden, so könnten wir in den Sandbänken und Wattgründen Wrack an Wrack finden, wenn nicht der größte Theil tief gesunken oder von den Fluthen nach und nach weggespült worden wäre. Es ist vorgekommen, daß in einer Nacht auf einem Raume von kaum einer Seemeile drei große Schiffe auf dem Watt scheiterten. Merkwürdig ist es, mit welcher Schnelligkeit ein auf Triebsand gerathenes Wrack von diesem eingesogen wird – ein stolzer Dreimaster ist binnen einer Woche, ja noch eher verschluckt. An manchen Bänken halten sich die Wracks lange, ja werden manchmal wieder flott und treiben an andere Stellen, wo sie ihrer Auflösung entgegengehen. Diejenigen, welche nicht ganz versinken, sondern unter dem Fluthniveau aus dem Wattgrund hervorragen, müssen durch sogenannte Wracktonnen gezeichnet werden, um andere Schiffe vor ihrer Berührung zu warnen; den Fischern, namenlich den Schellfischfängern, ruiniren sie oft ihre „Backs“, ihre Angelleinen, welche sich um die Trümmer schlingen und mit den sämmtlichen daran hängenden Fischen über Bord gehen.

In frühesten Zeiten war es eine Sache des guten Glückes, wenn man ungefährdet die Watten und Flußmündungen passirte. Zwar wird uns schon aus alter Zeit, aus dem Jahre 40 n. Chr., die Aufrichtung eines Leuchtfeuers an der Nordseeküste überliefert. Sueton berichtet, daß Caligula nach einem seiner wahnsinnigen Streiche als Siegeszeichen einen sehr hohen Thurm errichtet habe, von welchem herab, wie aus dem Thurme von Pharos, in der Nacht Feuer leuchten sollte, um den Lauf der Schiffe zu lenken. Es geschah dies aller Wahrscheinlichkeit nach im Bataverlande, also an der Rheinmündung.

In den folgenden Jahrhunderten gab es natürlich keinen Wegweiser in der Wattwüste; als schon das Binnenland zunächst der Küste sich einer fortgeschrittenen Cultur erfreute, ja selbst als die Hansastädte schon Bedeutung und Macht gewonnen hatten, sahen die Strandbewohner noch das Strandgut als einen wesentlichen Theil ihres rechtmäßigen Einkommens an, und erst nach wiederholten Kämpfen und Vertragsschlüssen mit den Hansastädten wurde der Strandräuberei ein Ende gemacht; noch 1296 belobt Papst Bonifacius der Achte die Stadt Hamburg für ihre Bemühungen in dieser Richtung. Ganz glatt scheint es aber trotzdem nicht gegangen zu sein; denn ein ganzes Jahrhundert später finden wir die Hamburger in weiteren Verhandlungen mit den Wurstfriesen wegen Beschützung und Freiheit der Handelsschifffahrt.

Die ersten Nachrichten über Einrichtungen für die Sicherheit der Schifffahrt in den Watten finden wir in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, wo z. B. auf Neuwerk ein Thurm erbaut und zu diesem Zwecke eingerichtet, auch eine „Feuerblüse“ aufgestellt wurde; eine eben solche stand auf Helgoland.

Neben den wenigen Seezeichen der alten Zeit galten überall an der Küste noch alle diejenigen Erhöhungen, die sich nur einigermaßen über dem Horizont erhoben, als Führer durch die Klippen des Watts, so z. B an der Elbmündung ein uralter mächtiger Hünenwall, der Galgenberg, an der Wesermündung der Kirchthurm von Blexen u. a. m.

Gegenwärtig bietet uns ein ziemlich vollständiges System von Seezeichen der verschiedensten Art eine so große Sicherheit der Fahrt, wie es die „höhere Gewalt“ zwischen Himmel und Erde gestattet.

Die Beleuchtung in der Nacht wird durch die Leuchtthürme, durch kleinere Signallichter auf den Deichen und durch sogenannte „Feuerschiffe“, welche Signallichter zeigen, besorgt.

Gestalt und Einrichtung von Leuchtthürmen sind ziemlich bekannt; auch würde die Darstellung der verschiedenen Arten, als: feste Feuer, Blinkfeuer, Drehfeuer, Funkelfeuer hier zu weit führen. Weniger verbreitet ist die Kenntniß des für die Fahrt am Tage nicht minder wichtigen Baaken-Systems, das überdies in seinen einzelnen Exemplaren eine bunte Mannigfaltigkeit ausweist und auch vom malerischen Standpunkte aus dem Küstenbilde oft ein sehr interessantes Profil verleiht. Diese Baaken sind mächtige schwarz angestrichene Gerüste von Eichenholzbalken, die bei den größeren bis zu sechszig Fuß Höhe aufsteigen; sie stehen meist auf einem fest gemauerten Unterbau von Quadern, der seinerseits auf einem starken Fundament von Steinen ruht, die zum Theil noch mit eisernen Klammern zusammengeschlossen sind.

Dreierlei Gesichtspunkte bedingen ihre eigenthümlichen Formen – erstlich, daß sie dem riesigen Luftdrucke des Sturmes einerseits ein stark gefügtes Gerüst, andererseits wieder keinen allzu großen Widerstand in den oberen, ihre eigenthümlichen Formen ausdrückenden Flächen entgegensetzen – diese letzteren sind daher Sparrenwerk, aus Brettern mit luftigen Zwischenräumen zusammengesetzt; der zweite Gesichtspunkt ist der, daß sie, von allen Seiten gesehen, immer ein und dieselbe Figur zeigen – würde man z. B. ein irgendwie geformtes Brett aufrichten, so sähe man von vorn allerdings deutlich seine Form, von der Seite, in der Richtung seiner Längsachse gesehen, schrumpfte es aber zu einem schmalen Streifen zusammen; deshalb hat man die beabsichtigten Formen, doppelt über’s Kreuz wiederholt, in rechtem Winkel zu einander gestellt. Endlich der dritte Gesichtspunkt: daß jede Baake sich von der andern auf das Deutlichste und leicht erkennbar unterscheidet; wir geben hier beispielsweise die Formen einiger Baaken

der Elbe und Weser. Diejenige, welche unser großes Bild auf Seite 569 zeigt, ist die Kugelbaake bei Cuxhaven, und der Leser kann an ihr mit Leichtigkeit die soeben ausgeführten charakteristischen Eigenschaften erkennen.

Auch auf unserem Bilde von Schaarhörn in der vorigen Nummer erblickt man in der Ferne die Schaarhörnbaake, eine der größten und wichtigsten; bei dieser ist noch eine besondere Einrichtung getroffen: in ihrer Mitte befindet sich eine Art kleine hölzerne Stube, und darin Stroh, Schiffszwieback, Wein und eine Signalflagge – Strandungen sind gerade in dieser Gegend häufig, und die Mannschaft eines verlorenen Schiffes kann, hat sie sich bis hierher zu retten vermocht, solange Unterkommen finden, bis Hülfe von der Küste kommt. Es wäre zu wünschen, daß auch auf einigen anderen besonders gefährlichen Stellen die Baaken mit den gleiche Einrichtungen versehen würden.

Während diese Baake mit stolzer Ruhe von ihrer Höhe herab in das Wogengetümmel hinausschauen, giebt es noch eine dritte Gattung ruheloser Seezeichen, welche mit den Wellen zusammen einen ewigen Tanz aufführen. Derjenige, welcher zum ersten Male eine Flußmündung passirt, wird plötzlich auf den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_570.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)