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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


O welch ein jubelnder Schrei hallt durch das niedrige Zimmer, welch Jubeln und Weinen zugleich, als sie hinstürzt zu ihm und, seine Kniee mit beiden Armen umklammernd, vor ihm niedersinkt! Die Sichzurueckgegebenen halten sich fest, fest als könnten sie sich nimmer lassen, in wortlosem Jubel umschlungen.

Still war Ingeborg hinausgeschritten in die Küche und hatte die Thür sacht hinter sich zugezogen. Ich ging ihr nach. Die gefalteten Hände auf den rothen Backsteinherd gestützt, stierte sie in die Kohlengluth. Große Thränen rannen ihr über das Gesicht. Das bisher so besonnene, stillgefaßte Mädchen weinte hier in der Verborgenheit ihre Freude aus. Als sie meinen Schritt hörte, wandte sie den Kopf und griff stumm nach meinen beiden Händen; sie preßte sie an ihr Herz und dann in überströmender Dankbarkeit an ihre Lippen.

Tief ergriffen, zog ich sie leise an mich. „Ingeborg, nur gemeinsam konnten wir so wirken,“ raunte ich ihr zu. Dann entwand sie sich hocherröthend meinen Armen und verließ die Hütte.

Ich gab meine Anordnungen. Erst wenn der Patient zu vollen Kräften gekommen, sollte die Schloßherrschaft von dem unerhörten Glück benachrichtigt werden. Inzwischen sollten Vater Steffens, die alte Muhme und Leonore den Kranken pflegen. Als ich den glücklich lächelnden jungen Mann in Vater Steffens' hohem rothwürfligem Federbett verschwinden sah, ihm vorsichtig ein wenig Wein mit warmem Wasser eingeflößt und Leonore beauftragt hatte, ihm später geringe Quantitäten schwachen Kaffees zu geben, trat ich aus dem schwülen kleinen Raum hochaufathmend hinaus in Gottes freie Natur.

Der Seewind fächelte mir die heiße Stirn und lockte mich die Eichen-Allee hinab dem Meere zu.

Ueber der Erde lag der dämmende Tag. Roth schwebte der Morgenhimmel über dem wie Silber schimmernden Element, und rosig hauchte der gluthroth hinter dem Meeresspiegel auftauchende Feuerball den riesigen Schuppenpanzer an, zu dem der leise Morgenwind die Meeresfläche kräuselte. Auf dem Steg erblickte ich Ingeborg. Ihr aufgegangenes Haar warf der Morgenwind wie einen strahlenden Kaisermantel um die hohe Gestalt. Sie blickte sinnend in die Fluth.

„Darf man fragen, Fräulein Ingeborg, worüber Sie nachdenken?“

Ich stand neben ihr auf der Brücke. Ernst lächelnd blickte sie zu mir auf und deutete mit dem Finger auf einen Raubfisch, der in der Tiefe einen kleineren beharrlich verfolgte.

„Es ist so viel Frieden in der Natur – warum bekämpfen sich in mörderischer Fehde alle organischen Wesen in ihr, weshalb ist es Naturgesetz, daß überall die rohe Kraft die schwächere aufzehrt? Weshalb Kampf, Kampf unter Mensch und Thier, wohin man blickt?“

„Ich kenne ein Verhältniß, das im Leben diesen Kampf aufhebt, ein Mittel, das –“

Fein lächelnd fiel sie mir in's Wort. Wieder hatte sie mich errathen und durchschaut, ehe ich ausgesprochen.

„Sie vergessen, daß auch das Verhältniß der beiden Geschlechter zu einander nur ein Kampf um die Herrschaft ist. Nie, nie könnte ich mich zu der Rolle des Ambos herabwürdigen lassen.“

Voll Bewunderung sah ich sie an. Wohin war mein Ideal vom Weibe: Zartheit, Demuth, Kindlichkeit? Die Ahnung dämmerte in mir auf, daß neben den starken Mann das starke Weib gehört, nicht unter, nicht über ihn, aber ihm gleichberechtigt an die Seite gestellt.

„Ingeborg,“ sagte ich, mich tief über sie beugend, „es giebt doch einen Ausgleich in dem Kampfe: die Liebe; sie läßt an eine Ewigkeit glauben.“

Ingeborg schwieg. Nur ihr Auge blickte warm und offen zu mir auf. Und da lehnte sich ihr schönes Haupt vertrauensvoll zurück an meine Schulter, und Friede – der Friede nach dem Kampfe – ruhte auf ihrer Stirn.

Um uns rauschte das Meer – –




3.

Der Freudentaumel des Wiederfindens war unter Scenen lebhaftester Erregung verraucht. Mein Erstes war, dem glücklichen Vater zu erklären, daß ich jede Verantwortung von mir ab auf ihn schieben müsse, wenn in der schnellfortschreitenden Genesung sich ein Stillstand oder gar ein Rückschritt zeigen sollte, Erscheinungen, die ich dann nur der schädlichen Einwirkung geistiger Erregung zuschreiben könnte. Ohne daß ich bisher die einzelnen Fäden kannte, durchschaute ich längst den kleinen Roman, der sich zwischen Malte und Leonore abgespielt, und benutzte die weiche Stimmung des Barons zu Gunsten des jungen Paares, indem ich versicherte, daß eine durch nichts unterbrochene Gemüthsruhe und die umsichtige Pflege eines ihm mit jedem Gedanken ergebenen Menschen für seinen Stammhalter das beste Mittel sein würde, binnen Jahresfrist das drohende Gespenst der fürchterlichen Krankheit für immer zu bannen. Ungern, aber der Macht der Verhältnisse sich fügend, gab der Baron nach, und Leonore Steffens durfte als die Braut des Junkers mit auf das Schloß ziehen und dessen Pflege übernehmen.

Eine lange im Flüsterton gehaltene Unterredung hatte es vorher in der Küsterwohnung zwischen Vater und Sohn gegeben, während das arme Mädchen einem verschüchterten Vöglein gleich, das mit ängstlich zusammengezogenen Schwingen sich verborgen hält, im dunkelsten Winkel der Küche sich zusammenduckte. Zum Schluß küßte der junge Baron ehrerbietig und mit gerührter Dankbarkeit die Hand des Vaters; Leonore wurde herbeigerufen, und der ältere Baron berührte in etwas zurückhaltender Förmlichkeit mit den Lippen flüchtig die holde Wange. – – –

Mit Ausnahme des Haushofmeisters, der mir ein feines Frühstück mit in krystallner Caraffe funkelndem uraltem Madeira auf mein Zimmer geschickt, hatte sich keiner der Schloßbewohner den langen Vormittag um mich bekümmert. „Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan,“ sagte ich mir. „Darf ich jetzt gehen und den Genesenden sich selbst überlassen?“

Ich zog mein Notizbuch hervor, um mir meine ärztlichen Pflichten daheim zu vergegenwärtigen und nachzusehen, ob ich es verantworten könne, hier noch einen Tag in halber Müßigkeit zuzubringen. Dabei flatterte ein vergilbtes Papierblättchen aus einer der Seitentaschen des Buches.

„Du bist wie eine stille Sternennacht;
Ein süß Geheimniß ruht auf deinem Munde,
In deines dunklen Auges feuchtem Grunde –
Ich weiß es wohl und hab' es wohl in Acht.! – –

las ich kopfschüttelnd. Wie fern, wie schattenhaft fern lag die Zeit, wo ich in jugendlicher Schwärmerei dem verschleierten Blick von Ina's veränderlichen Augen diese Verse gewidmet hatte! Eine Sphinx, ein lebendes Räthsel war sie mir heute mehr als jemals, aber ich ahnte schon: wenn sich der Schleier von dem Bilde zu Sais heben werde – o, dann werde auch nicht der geringste Bruchtheil von meinem Jugendideal stehen bleiben; ich fühlte im Voraus, daß nicht alle Geheimnisse dieser unergründlichen Sirene „süß“ seien.

Ein Anderer, der nach scharfem Klopfen mit umwölkter Stirn und düsterem Auge, kurz grüßend, zu mir eintrat, mußte das auch bereits wissen.

„Haben Sie eine Stunde Zeit für mich?“ sagte Baron Bassowitz mit militärischer Kürze, die eine Hand in den Brustausschnitt seines Rockes geschoben, ohne in dem Sessel Platz zu nehmen, den ich diensteifrig herbeirollte.

„Sie stehen der Baronin nah …“ sagte er, und dabei zuckte es ironisch um seine Nasenflügel. Er wußte also von Ina's Nachtbesuch und deutete ihn, wie ihn Jeder gedeutet hätte, nicht zu meinen Gunsten.

„Ich stand Fräulein von Maltiz nahe,“ erwiderte ich. „Sie war meine Jugendfreundin und mir im Stillen verlobt bis zu dem Augenblick, wo sie – Ihre Braut wurde, Herr Baron.“

„Trage ich die Schuld, daß Sie nicht der Begünstigte waren?“ fragte er unbeschreiblich wegwerfend. Um seine Lippen zuckte es boshaft.

„Herr Baron!“ Das Blut schoß mir in's Gesicht. „Ich mache Niemandem den Vorzug streitig, in dem Herzen der Frau Baronin obenan zu stehen. Ich habe die Ehre, Sie – um Fräulein Ingeborg's Hand zu bitten.“

Er fuhr überrascht auf und sah mich groß an. „Sie kennen Ingeborg kaum,“ meinte er. In seinem Ton lag beinahe eine abschlagende Antwort.

„Ich habe mit Ingeborg eine ganze Nacht am Krankenbett gewacht, Zeit genug, um einen solchen Charakter würdigen zu lernen. Sie wissen, Herr Baron, was der Dichter sagt:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_564.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)