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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


selbstständigen schaffenden Künstler seines Faches, das heißt zu einem Musterzeichner oder Modelleur für Werkstatt und Fabrik, auszubilden vermag.

Dort, wo Mittel vorhanden waren, ging man einen Schritt weiter und gründete Museen; ihnen wurden Kunstschulen zur Seite gestellt, sodaß der Schüler seine Kenntnisse und seinen Schönheitssinn an den mustergültigen Erzeugnissen der Vergangenheit vervollkommnen konnte. Gleichzeitig sollten diese Sammlungen auf das Publicum einwirken und seine Theilnahme für die neue Bewegung gewinnen; denn nicht allein der Geschmack des Producenten, des Kunstindustriellen, sollte gebildet werden, sondern auch der des Consumenten, des gesammten Volkes, damit sein Interesse und seine Liebe für schönes Geräth erwache und somit die für den gedeihlichen Bestand jeder Industrie erforderliche Kauflust zunehme. Freilich, bis jetzt erfreuen sich nur wenige größere Städte, wie Berlin, Hamburg, Breslau, Leipzig, München etc., dieser Institute, wiewohl ihr Einfluß auf die weiteren Volkskreise unwiderleglich ist, ihre Vermehrung daher durchaus erwünscht wäre.

Neben diesem gesammten Unterrichts- und Anschauungsapparat bildeten sich allmählich Kunstgewerbevereine, freie Vereinigungen von Industriellen und Interessenten, die im gegenseitigen Austausch von Erfahrungen und Ansichten ihre Kenntnisse zu bereichern suchten, veranstalteten Behörden und Corporationen Preisbewerbungen für kunstindustrielle Arbeiten, um in den betheiligten Kreisen den Wetteifer und den Ehrgeiz anzuregen, veranstaltete man in kleineren Städten sogenannte Wanderausstellungen, zu denen Museen und begüterte Privatpersonen die in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände aus alter Zeit leihweise hergaben, und wendete man schließlich den Local- und Landesausstellungen eine vermehrte Aufmerksamkeit zu.

Gleichzeitig nahm die bezügliche Literatur einen gewaltigen Aufschwung. Bücher, Zeitschriften und Vorlagen erschienen in nie geahnter Menge.[1] Leider ist aber in diesem literarischen Wettrennen die Herausgabe von einfachen, elementaren Vorlagewerke, die den Lehrbedürfnissen der Schule entsprechen, fast vollständig vergessen worden. –

Das sind im Großen und Ganzen die Heilmittel, durch welche unsere deutsche Kunstindustrie genesen soll.

Mehr als ein Jahrzehnt eifriger Arbeit ist verflossen. In Berlin vereinigte eine großartige Gewerbe-Ausstellung die Producte der Residenz und in Leipzig eine nicht minder bedeutende diejenigen Erzeugnisse, welche das Kunstgewerbe des Königreichs Sachsen, der preußischen Provinz Sachsen und der thüringischen Staaten zur Anschauung bringen; eine Menge kleinerer Städte, wie Plauen, Schandau, Wernigerode, Offenbach etc., sind schleunigst nachgefolgt, und gegenwärtig ist es besonders Düsseldorf, welches durch seine ähnlichen Zwecken gewidmete Ausstellung die öffentliche Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt.[2] Da liegt die Frage nahe: Welchen Eindruck macht dort unsere Kunstindustrie, was für Erfolge haben alle Anstregungen gehabt?

Angesichts der ausgestellten Gegenstände muß der Vernünftige zur Erkenntniß kommen, daß die im Laufe von zwei Jahrhunderten eingerissene Geschmacksverwilderung nicht im Handumdrehen auszurotten ist, daß nur das hingebende Schaffen vieler, vieler Jahre die begangenen Sünden wieder gut machen kann, ja, daß unsere jetzige Generation das angestrebte Ziel kaum erreichen, vielmehr die kommende sich erst der rechten Früchte freuen wird. Und um so ferner wird das Ziel gerückt, wenn viele Kunstindustrielle verschmähen, sich auf die breite Masse des Volkes zu stützen, wenn sie ihre Thätigkeit lediglich auf Objecte concentriren, die, für den geringen Mann unerschwinglich, allein auf den begüterten berechnet sind.

Nur ein winziger Bruchtheil unseres Volkes vermag sich eine Zimmereinrichtung im Preise von 5000 bis 12,000 Mark anzuschaffen. So macht die Kunstindustrie auf jenen Ausstellungen wesentlich den Eindruck einer Luxusindustrie, während sie doch streben soll, auch das bis in die ärmste Hütte verbreitete Geräth des täglichen Lebens durch Form und Farbe zu verschönen, den Sinn der Menge für das Schöne zu wecken und zu läutern und so zur Bildung des Geschmacks, zur sittlichen Erziehung unseres Volkes beizutragen.

Und wie sieht es außerhalb der Ausstellungen aus? Nun, da hängen in den Schaufenstern der für den gewöhnlichen Bedarf berechneten Läden noch immer jene vorwiegend anilinroth gefärbten Veloursleppiche mit quellenden, dicken Blumen und Früchten, mit springenden Panthern und zähnefletschenden Löwen in wirklicher Größe, deren Naturwahrheit wirklich Besorgniß erregt; da hängen noch immer die alten Stickereien mit den wie Malerei oder Kupferstich ausgeführten Abbildungen von romantischen Liebespärchen, würdigen Pudeln und zärtlichen Katzen; da stehen noch immer die alten Tassen, Teller, und Vasen mit Abbildungen von Blumen, so naturgetreu und unkünstlerisch, daß sie in ein Buch über Botanik gehörten, – kurz, da ist von Flachmuster keine Rede; da herrscht nach wie vor ein wilder Naturalismus und zeigt sich in crasser Weise die Unfähigkeit, aus den Dingen der Wirklichkeit das Ornament durch die gestaltende Kraft der Phantasie zu entwickeln. Und in den Möbelhandlungen stehen noch immer die alten, lüderlich hergestellten Mahagoni- und Birkenmöbel: Schränke, deren Aeußeres im Glanze der blank polirten Fournitur strahlt, deren Inneres ein erbärmliches Brettergerüst von schlecht gehobeltem Kienholz zeigt; Tische, deren unpraktische, ovale und fournirte Platte nach kurzem Gebrauch Risse und Sprünge bekommt, sogenannte „antike Stühle“ mit steifen, hohen und unbequemen Lehnen und schlechter Schnitzerei, Büffets, aus deren Füllungen Schnitzereien von todten Enten, Hühnern, Hasen, von Allem, was da kreucht und fleugt, in plastischer Brutalität herausspringen. Das sind noch immer die Geräthe für den Mittelstand, für unsere Beamten, Officiere, Kaufleute, Handwerker; die für den untersten Stand bestimmten sehen noch schlimmer aus.

Geben wir uns doch angesichts dieser Thatsachen keinen Illusionen hin, lassen wir uns durch die blendende Etiquette der Ausstellungen nicht täuschen, sondern gehen wir von dem Grundsatze aus, daß Selbsterkenntniß der mächtigste Hebel zum Fortschritt ist, und gestehen demgemäß ein, daß unsere Kunstindustrie auf falschem Wege ist und gerade dort, wo die Noth am größten ist, noch so gut wie gar nichts erreicht hat.

Eine ausschließliche Luxusindustrie wollen wir nicht. Eine Luxusindustrie wird immer ungesund sein, denn die zum echt künstlerischen Schaffen nothwendige Freiheit hat sie mit der Abhängigkeit von den Launen der „oberen Zehntausend“ vertauscht. Sie schafft Prachtstücke und verfällt zumal in unserem Falle, wo der gesunde Boden des Könnens noch fehlt, durchgehends dem Fehler, die zweckliche Bestimmung der Geräthe zu vernachlässigen und unbequemen Prunk als die Hauptsache zu betrachten, sodaß überflüssiger, häufig sinnloser, ja widersinniger Zierrath die Unfähigkeit, den Gegenstand dem Material, der Technik und dem Zwecke gemäß zu gestalten, verdecken muß. Hier ein Beispiel: Ein Büffet soll bekanntlich Tisch und Kasten zugleich sein; der Kasten soll zum Aufbewahren und Schaustellen von Tischservice und die den Unterbau abschließende Tischplatte zum Aufstellen von Terrinen, Schüsseln, Tellern etc. während des letzten Anrichtens der Speisen dienen. Diese zweckliche Bestimmung ist in erster Linie bei dem Aufbau eines Büffets maßgebend. Demgemäß muß der untere Theil mit der Tischplatte recht breit und niedrig, um ein bequemes Aufstellen großer Schüsseln zu gestatten, der obere kastenartige Aufsatz aber möglichst hoch und geräumig sein, um das Tischgeräth und einige hübsche Schaustücke, wie Krüge, Kannen, Majoliken etc., bergen zu können. Nun verfährt man gerade umgekehrt. Der untere Theil wird hoch und schmal gemacht, die an und für sich schon schmale Tischplatte durch aufgesetzte Säulchen und Console, welche den oberen, vorspringende Kastenaufsatz tragen, noch mehr beengt und der räumliche Inhalt des letzteren durch Spiegel und andere Decorationsmittel so beschränkt, daß er völlig unbrauchbar ist. So ist der Beruf des Geräthes

  1. Wir weisen bei dieser Gelegenheit auf zwei neuerdings erschienene Publicationen dieses Genres rühmlich hin, auf Georg Hirth's: „Das deutsche Zimmer der Renaissance, Anregungen zu häuslicher Kunstpflege“ (Leipzig und München, G. Hirth) und „Unser Heim im Schmuck der Kunst“ (Leipzig, E. Schloemp).
    D. Red.
  2. Nicht weniger Aufmerksamkeit lenken in letzter Zeit die Fachausstellungen auf sich, die, wenn sie Material, Bearbeitungsweisen und Erzeugnisse auch hinsichtlich des Ursprungs und der allmählichen Entwickelung zur Anschauung bringen, für allgemeine Kenntnißbereicherung und Geschmacksbildung gleich vortheilhaft wirken können. In Leipzig sah man – um nur Eines zu erwähnen – im Frühling dieses Jahres eine Drechslerwaaren-Ausstellung, die nach der ebengenannten Richtung Vortreffliches bot; als noch ansehnlicher erweist sich die gegenwärtig vielbesuchte allgemeine deutsche Wollen-Industrie-Ausstellung namentlich hinsichtlich ihrer nationalwichtigen Bedeutung, weshalb wir derselben einen besondern Artikel zu widmen gedenken.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_556.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)