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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

allmählich daran, die Königs-Wusterhäuser Kirche als ihre Hauptkirche anzusehen, und kamen nun auch von selber, ohne auf die Trommel zu warten.

Obschon Lieblingsaufenthalt Friedrich Wilhelm’s des Ersten, scheint Schloß Wusterhausen zu seiner Zeit in seiner inneren Einrichtung noch wenig Behagen und namentlich wenig Befriedigung für den ästhetischen Geschmack geboten zu haben, auch wenn wir den Schilderungen der feinsinnigen und geistvollen, aber etwas zur Uebertreibung neigenden Prinzessin Wilhelmine, späteren Markgräfin von Bayreuth, nicht ganz unbedingten Glauben beimessen möchten.

„Das Gebäude“ – so erzählt die Markgräfin in ihren Denkwürdigkeiten – „war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, dessen schwarzes und fauliges Wasser dem Styxe glich.[1] Drei Brücken verbanden dasselbe mit dem Hofe, mit dem Garten und mit einer gegenüberliegenden Mühle. Der nach vornhin gelegene Hof war durch zwei Flügel flankirt, in denen die Herren von des Königs Gefolge wohnten, auf der dritten durch ein Staket geschlossen, an dessen Eingange man zwei Bären – beiläufig gesagt, sehr böse Thiere, welche Jedermann anfielen und erschreckten – als Schildwachen angebunden hatte. Mitten im Hofe befand sich ein mit vieler Kunst angelegter Springbrunnen zum Gebrauche für die Küche. Meine Schwester[2] und ich hatten für uns und unser ganzes Gefolge nur zwei Zimmer oder vielmehr zwei Dachstübchen. Wie auch das Wetter sein mochte, wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das unter einer großen Linde aufgeschlagen war. Bei starkem Regen saßen wir bis an die Waden im Wasser, da der Platz vertieft war. Wir waren immer vierundzwanzig Personen zu Tische, von denen drei Viertel jeder Zeit fasteten; denn es wurden gewöhnlich nur sechs Schüsseln aufgetragen, und diese waren so schmal zugeschnitten, daß ein nur halbwegs hungriger Mensch sie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konnte. Der König saß nie länger bei Tische als bis ein Uhr; er schlief dann bis zweieinhalb Uhr auf einem Großvaterstuhl im Freien, der ärgsten Sonnenhitze ausgesetzt. Wir hatten dieses Vergnügen mit ihm zu theilen und mußten auf der Erde zu seinen Füßen liegen … In Berlin hatte ich das Fegefeuer, in Wusterhausen aber die Hölle zu erdulden …“

Es ist lange her, seitdem Prinzessin Wilhelmine so geschrieben, aber noch heute werden wir bei Betrachtung der inneren Räume des Schlosses und ihrer einfachen, beinahe kasernenhaften Einrichtung lebhaft in die Zeit Friedrich Wilhelm’s des Ersten zurückversetzt. Geräumige, etwas düstere Hallen (weil das Tageslicht nur durch die tiefen Fenster an einer der schmalen Seiten Einlaß findet) durchziehen das Schloß seiner ganzen Länge nach. Aus denselben führen an den beiden langen Seiten Thüren in die angrenzenden Logirzimmer.

Eine uralte Linde, wahrscheinlich dieselbe, unter welcher Prinzessin Wilhelmine sich nasse Füße holte, steht auf der dem Schloßgarten zugekehrten Seite. Die Bären am Eingange des Schloßhofes, welche die Prinzessin erschreckten, sind seit lange nicht mehr zu erblicken; dafür steht am Eingange einer der Jagdhallen ein ausgestopfter gewaltiger Bär mit gefletschtem Rachen hoch aufgerichtet; er ist wohl angethan, dem arglos eintretenden Besucher für den ersten Augenblick Schrecken einzuflößen; er ist ein Geschenk des in Berlin wohnenden Hoflieferanten Ewest für Kaiser Wilhelm. Die Wände der Hallen sind mit Geweihen geschmückt; eine Merkwürdigkeit für Jäger in einer derselben ist das große Geweih eines Hirsches, der mit diesem zwischen den Aesten eines Baumes hängen geblieben. Während das arme Thier qualvoll verenden mußte, wuchsen die grünen Zweige um das Geweih herum lustig weiter und haben sich allmählich der Art mit dem Geweih verschlungen, daß das letztere aus dem Baume selbst hervorzuwachsen scheint.

Auf den Consoletischen – außer einigen Stühlen den einzigen Möbels in diesen Räumen – sieht man die mächtigen Schädel einiger Keiler mit den gewaltigen Fangzähnen, ihrer furchtbaren Waffe gegen die verfolgende Meute. Nach dem Umfange dieser Schädel zu schließen, scheint auch die thierische Generation, welche zu Friedrich Wilhelm's Zeiten in den Wusterhäuser Wäldern hauste, eine ungewöhnliche Größe erreicht zu haben. Heutzutage schießt man so große Keiler hier nicht mehr. Ein merkwürdiges Möbel finden wir in dem ehemaligen Schlafgemache des Königs, nämlich seine „Waschtoilette“ oder vielmehr – wie der uns führende Diener richtiger sagte – seinen „Waschstein“, einen großen Sandsteinblock mit hölzerner Umkleidung und mit einer tiefen, muldenartigen Aushöhlung, auf deren Boden sich eine Oeffnung zum Abfluß des Wassers mit einem Verschlußsteine oder Verschlußzapfen befindet. Man sagt, daß der König, welcher bekanntlich einer der reinlichsten Menschen war, diese Toilette wohl zwanzigmal des Tages benutzte. Das Mittagsmahl wurde unter Friedrich Wilhelm dem Ersten, wie schon Prinzessin Wilhelmine berichtet, nach der Jagd gewöhnlich im Freien, im Schloßgarten, eingenommen:

„Dann saß vor dem Schlosse der fürstliche Jäger
Bei fröhlicher Tafel, das Wildpret darauf;
Die Treiber vom Dorfe, die Hüter und Heger,
Sie füllten die Krüge und warteten auf“ –

Der König pflegte einen starken, waidmännischen Appetit zur Tafel mitzubringen, und es ist nicht erklärlich, wie er mit demselben bei der schmalen Kost – wie Prinzessin Wilhelmine sie schildert – bestehen konnte.

In einem Saale des oberen Stockwerks versammelte sich die berühmte Abendgesellschaft des Königs, das „Tabakscollegium“. Von den hölzernen Stühlen, die an der langen hölzernen Tafel stehen, sind einige von dem Könige selbst gezimmert worden; er hatte es in diesem Gewerbe zu einer gewissen Fertigkeit gebracht; die übrigen sind in späterer Zeit den ersteren nachgebildet worden. Auch die Köpfe, welche aus den Rahmen an den Wänden mit größtentheils sehr nüchternen Mienen herabschauen, sind Portraits von dem Pinsel dieses Königs, die er zum Theil „in tormentis pinxit“ (unter gichtischen Leiden gemalt), obgleich wir nach dieser Unterschrift, die wir unter den lebensgroßen Portraitfiguren seiner Leibriesen im Potsdamer Schlosse häufig erblicken, hier vergebens suchten. Die Originale besaßen übrigens sonst keine andere Berühmtheit, als daß sie eben einmal vom Könige gemalt zu werden die Ehre hatten. In einem anderen Zimmer des Wusterhäuser Schlosses finden wir von des Königs Hand das Bild einer badenden Susanna, über einem Ruhebette hängend, an welches sich eine kleine Anekdote knüpft. König Friedrich Wilhelm dachte nämlich nicht gerade gering von seiner Kunst und sprach öfters selbstgefällig die Ansicht aus, daß er von derselben ganz gut würde leben können, wenn er auch nicht König wäre. Um den Beweis beizubringen, ließ er jenes Bild der badenden Susanna einem Berliner Kunsthändler zum Kaufe anbieten. Dieser zögerte auch nicht, dem Könige den Preis von hundert Thalern dafür zu bieten und wirklich zu zahlen. Er stellte dasselbe darauf in seinem Schauladen zum Verkaufe aus, nachdem er ein Plakat daran befestigt mit der Aufschrift: „Gemalt von Seiner Majestät, dem Könige Friedrich Wilhelm dem Ersten.“ Diese Unterschrift zu diesem Bilde schien dem Könige doch bedenklich, um so mehr, weil sich nun täglich eine Menge Menschen vor dem Schauladen sammelte, um an der badenden Susanna die Kunstfertigkeit des königlichen Malers zu bewundern. Er wünschte deshalb, den Handel rückgängig zu machen. Aber der industrielle Kunsthändler erwiderte dem königlichen Kammerdiener, welcher den Auftrag hatte, ihm die hundert Thaler zurückzuzahlen und dafür das Bild wieder abzuholen: er lebe von dem Handel mit Kunstwerken und könne daher das Gemälde nicht zu demselben Preise verkaufen, den er selbst dafür gezahlt habe. Wolle der König das Bild wieder haben, so möge er nun dreihundert Thaler dafür geben. Schwer entschloß sich der sparsame König, einen so hohen Preis für sein eigenes Gemälde zu zahlen, aber er mußte doch wohl oder übel einwilligen und rückte mit den geforderten dreihundert Thalern heraus, um das Aergerniß zu beseitigen. So kam die badende Susanna nach Königs-Wusterhausen zurück.

Zu den gewohnten Genossen des Tabakscollegiums kam in Wusterhausen noch der Schulmeister loci. Dieser hatte sich nämlich bei dem Könige dadurch in große Achtung gesetzt, daß es dem Letzteren nicht gelungen war, die aus der Schule heimkehrenden Jungen zu dem Rufe zu bewegen: „Unser Schulmeister ist ein Esel.“ Die Jungen blieben dabei, daß der Schulmeister ihnen mehr zu sagen habe als der König.

Wenigstens zwei Monate alljährlich wohnte Friedrich Wilhelm in Wusterhausen. Spätestens am 24. August traf er ein und

  1. Der Graben ist erst 1831 zugeschüttet worden, als seine Ausdünstungen Cholerabefürchtungen aufsteigen ließen; von einem Erdwalle ist nichts bekannt.
  2. Prinzessin Charlotte, spätere Herzogin von Braunschweig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_539.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)