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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Stubenfliege, unterscheiden sich aber bei näherer Betrachtung in erster Linie von ihr durch die kräftigen Borsten zwischen der Haarbekleidung des Körpers und zum Theil auch der Beine und durch die nackte Fühlerborste, welche dort gefiedert ist. Ihre Bewegungen sind hastiger, der Flug ein rascherer (daher auch Schnellfliegen), und als Larven ernähren sie sich, wie die Schlupfwespen, parasitisch in anderen Insectenlarven. Weil diese anderen Insectenlarven erfahrungsmäßig vorherrschend Schmetterlingsraupen sind, hat man die in Rede stehenden Fliegen in ihrer Gesammtheit Raupenfliegen, oder nach der ursprünglichen, neuerdings vielfach gespaltenen Gattung Tachina, auch Tachinen genannt.

Die auf ihren braunen, etwas heller und dunkler grünstreifigen Püppchen sitzende Exorista Vulgaris (12) ist kräftiger, namentlich breiter als die Stubenfliege, schwarz von Farbe, auf dem Mittelleibsrücken streifenartig, auf dem Hinterleibe unvollkommen bindenartig weißgrau schillernd, Schildchen gelblichgrau, der Körper stark beborstet, drittes und letztes Fühlerglied sehr lang und schmal, mit kräftiger Rückenborste. Die Beborstung im Gesicht, welche beiderseits nur die halbe Länge desselben, vom Mundrande nach der Stirn zu, reicht, die Behaarung der Augen und die gleich näher zu bezeichnende Beschaffenheit des Flügelgeäders bilden die Gattungsmerkmale. Die Flügel haben sechs Längsadern, von denen sich die erste vorn theilt, die dritte und vierte sind, wie bei allen echten Fliegen, etwa in der Mitte durch die „kleine Querader“ verbunden, jenseits welcher sie die „erste Hinterwandszelle“ bilden; daß dieselbe offen ist, das heißt nach außen nur durch den Flügelsaum und nicht durch eine Ader geschlossen wird, und, entfernt von der Flügelspitze, in den Vorderrand mündet, bildet die weiteren Gattungsmerkmale. Die Beugung der vierten Längsader nach der dritten hinauf, welche die eben bezeichnete Zelle bilden hilft, heißt überall, wo sie vorhanden, die „Spitzenquerader“; ihr ziemlich gleichlaufend, vom Flügelsaume entfernter, verbindet die „hintere Querader“ die vierte und fünfte Längsader mit einander; überdies bemerkt man nahe der Flügelwurzel je vier sehr kleine Queradern zwischen derselben und zwischen der fünften und sechsten Längsader, welche beide zwei unscheinbare für den Fliegenflügel charakteristische Zellen begrenzen. Hinter jedem Flügel steht ein großes, weißes Schüppchen, unter welchem ein gestieltes Knöpfchen, die allen Zweiflüglern zukommenden „Schwinger“, verborgen sind. Hiermit sei ein für allemal auf die wesentlichsten Punkte aufmerksam gemacht, welche zur Unterscheidung der echten Fliegen (Muscidae) in Betracht gezogen werden. Die genannte Exorista schmarotzt in der Raupe der Gamma-Eule; aber auch, wie die folgende, in derjenigen des Kiefernschwärmers.

Auf der eben genannten Raupe sehen wir die Phorocera concinnata (13) sitzen. Nach geschäftigem Hin- und Herschwirren hat das Fliegenweibchen die ihm genehme Raupe erspäht, und nun wiederholt sich ungefähr dasselbe, was oben von den Angriffen des Microgaster erzählt wurde. Die Raupe ist ungemein empfindlich gegen jegliche Berührung, wehrt sich nach Kräften, aber umsonst: die Fliege erreicht ihren Zweck, verfährt jedoch insofern glimpflicher mit ihr, als die meisten Schlupfwespen, als sie die Haut nicht verletzt, sondern die Eier äußerlich anheftet. Man trifft bisweilen Raupen an, namentlich von Schwärmern, welche an einer ihrer Körperseiten reichlich mit kleinen lichten Körnchen, wie mit einem Ausschlage besetzt sind, so regelmäßig oder wenig geordnet, wie es unsere Kiefernschwärmerraupe zeigt. An der der Raupenhaut zugekehrten Eiseite schlüpft die Made aus, dringt unter dem Schutze der Eischale in jene ein und ernährt sich nur vom Fettkörper in der Raupe, ebenso wie die Schlupfwespenlarven. Wenn sie erwachsen ist, findet ein anderer, den echten Fliegen eigener Vorgang statt. Die Larve verkürzt sich, nimmt dadurch in der Breitenausdehnung zu; das Innere löst sich von der Haut los und bildet mit der Zeit die Puppe, während die Haut als schützende Hülle für jene erhärtet. Diese Umwandlung erfolgt meist dann, wenn sich die reife Larve aus der Raupenhaut herausgebohrt hat; die hier vorkommenden Verschiedenheiten sind jedoch noch lange nicht hinreichend erforscht. Die in dem „Tönnchen“, wie man die auf die eben angegebene Weise entstandenen Fliegenpuppen allgemein nennt, entwickelte Fliege stößt ein mehr oder weniger regelmäßiges Deckelchen mit ihrem Kopfe los – nagen kann sie nicht, wie überhaupt keine Schlupfwespe – und wird frei.

Die genannte Phorocera welche, wie bei sehr verschiedenen Raupen, so auch noch bei denen des Kohlweißlings, des Weidenspinners, des Goldafters schmarotzt, stimmt in ihren Gattungsmerkmalen fast vollständig mit der vorigen überein und weicht nur dadurch von ihr ab, daß die Borstenwimperreihe beiderseits des Gesichtes nicht in der halben Höhe aufhört, sondern bis zu den Fühlern hinaufreicht. Die abgebildete Art ist schwarz, auf dem Rücken in der Weise grau bestäubt, daß vier Längsstriemen die Grundfarbe beibehalten, auch auf dem Hinterleibe zeigen sich vom zweiten Ringe an breite, weißlichschillernde Bänder; die gelben Tastenspitzen und die nicht winkelig, sondern unter einem Bogen von der vierten Längsader weitergehende Spitzenquerader vervollständigen die Artkennzeichen.

Aus einem der äußeren Eichenblätter ist noch eine dritte und größere Raupenfliege abgebildet, die Echinomyia lucida (14), einer Gattung zugehörig, welche sich leicht an dem an Länge das erste übertreffenden zweiten Fühlergliede erkennen läßt. Unsere Art trägt außer den schwarzen Borsten ein ziemlich dichtes und weißes Haarkleid, hat jederseits der Hinterleibswurzel einen schmutzig gelben Fleck und die Spitzenhälfte der Beine von noch lichterer Färbung. Sie schmarotzt unter Anderem in der Raupe einer „Kapuzeneule“, der Cucullia verbasci.

Bisher haben wir nur schmarotzende Fliegen und Schlupfwespen als Raupenfeinde kennen gelernt und das höchst anziehende Leben derselben allerdings nur andeuten können; näher auf dasselbe, namentlich der Schlupfwespenschaaren, einzugehen, würde einmal ein umfassenderes Vorstudium dieser so hochinteressanten Insecten erfordern, als bei den Lesern vorausgesetzt werden darf; überdies würden wir aber auch weit von unserem vorgesteckten Ziele abweichen, da ja die Raupen nicht allein, sondern auch die Larven anderer Insecten, wie deren Eier oder Puppen von ihnen zu Brutstätten auserkoren werden. Aber selbst dann, wenn wir uns nur auf erstere beschränken, ist es nach dem heutigen Stand der Wissenschaft noch nicht möglich, die angedeuteten Mannigfaltigkeiten in der Lebensweise dieser Thierchen unter gewisse Gesichtspunkte zu ordnen und als gültige Gesetze präcisiren zu wollen.

Durch die Schlupfwespen sind wir mit einem kleinen Theile der interessantesten aller Kerf-Ordnungen, den Hautflüglern, bekannt geworden. Gewisse andere Ordnungsgenossen hat man in Folge ihrer Lebensweise mit dem gemeinsamen Namen der Mondwespen zusammengefaßt und dieselben in Rücksicht auf den Körperbau in mehrere Familien getheilt. Diese Mondwespen legen in dazu geeignetem Erdboden, in Lehmwänden, mürben Baumstämmen, alten Pfosten u. dergl. wenige künstliche Röhren (Nester) an, tragen in dieselben Insecten verschiedener Art, und unter ihnen auch Raupen, eine jede nach ihrem Geschmacke und mit Auswahl, legen ein Ei an das eingetragene Futter, verschließen die Röhre je nach der Oertlichkeit mit Erde, mit Abnagseln von Holz oder Pflanzenmark, reihen wohl auch mehrere Zellen, jede mit ihrem besonderen Futtervorrath und einem Ei, an einander, wenn sie es nicht vorziehen, für jedes folgende Ei eine neue Röhre zu graben. Mit letzterer Beschäftigung z. B. füllt das Weibchen der gemeinen Sandwespe (Ammophila sabilosa [15]) seine sommerlange Lebenszeit aus. Es sucht sich eine und die andere Art der sogenannten Erdraupen, tödtet oder lähmt dieselbe vielmehr nur mit einigen Stichen und schleppt sie oft weite Strecken mit Aufopferung aller ihrer Kräfte, da das Opfer mehrmals schwerer zu sein pflegt, als die Sandwespe selbst, nach ihrer im Sandboden gegrabenen Röhre, legt ein Ei an diesen Vorrath und verschließt den Zugang der Röhre sorgfältig mit kleinen Sandsteinen, dadurch jede Spur von dem Vorhandensein des Nestes tilgend. Zu Ende des nächsten Frühjahres öffnet eine junge Sandwespe den Verschluß ihres Kellergewölbes und ahmt die mütterliche Brutpflege nach, sofern sie ein Weibchen ist. Das außerordentlich schlanke und bewegliche Thierchen ist schwarz, in der Mitte des langgestielten und hierdurch keulenförmigen Hinterleibes roth, an den Brustseiten durch Behaarung silberfleckig und hat drei geschlossene Unterrandszellen im Vorderflügel. Wenige ihr nahe verwandte Arten führen dieselbe Lebensweise und werden zu Raupentödtern.

Manche Ameise dürfte dieses und jenes Räupchen einheimsen, manche Baumwanze eins mit ihrem spitzen Schnabel anstechen und aussaugen, auch der vierpunktige Aaskäfer (16) stellt sich besonders dann zahlreich auf dem Eichenstangenholze ein, wenn dessen Blätter von Raupen zerfressen sind, um an den Fressern seine Mahlzeiten zu halten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_520.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)