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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

spinnen begann, noch ehe sie vollkommen frei geworden war; sie hüllte sich allmählich in eines jener eiförmigen Körperchen ein, deren Bedeutung uns nun verständlich geworden ist. Der leere Raupenbalg wurde schließlich von den Maden mehr oder weniger vollkommen eingehüllt; er trocknet nun zusammen, und das Gebilde, durch die Gespinnstfäden befestigt, bleibt den Winter über an derselben Stelle sitzen, wenn nicht Meisen oder andere Insectenfresser unter den Vögeln die Püppchen in der futterarmen Zeit als willkommene Nahrung aufgepickt haben.

Wenn im nächsten Frühjahre wieder geeignete Raupen vorhanden sind, kommt aus jedem jener Cocons eine kleine schwarze Schlupfwespe mit gelben Beinen, der Microgaster glomeratus, hervor. Die Schlupfwespchen umschwärmen die jungen Kohlweißlinge – oder andere verwandte Raupen, damit sich ihre Weibchen eine Stätte für ihre Nachkommen erobern. Ihnen kommt alles darauf an, mit dem kurzen Legestachel die Oberhaut der Raupe zu durchbohren und die Eier unter dieselbe zu bringen. Mag sich die verfolgte Raupe auch noch so sehr dagegen wehren und durch Um-sich-Schlagen mit dem vorderen Körpertheile den ungebetenen Gast zu vertreiben suchen, dieser hat die nöthige Ausdauer, um die Raupe zu ermüden und seinen Zweck schließlich zu erreichen.

Die in kürzester Zeit den Eiern entschlüpften fußlosen Larven, an denen man infolge von Quereinschnitten zwölf Leibesringe und an der größeren Stumpfheit das vordere von dem spitzeren Hinterende unterscheiden kann, ernähren sich im Innern der Raupe. Sie saugen an dem sich aufspeichernden Fettkörper und verschonen die edleren Theile, sodaß beide, der Schmarotzer und der Wirth, gleichzeitig mit einander gedeihen und ungefähr zu derselben Zeit erwachsen sind. Ein Blick auf die Raupe Nr. 1 des beigegebenen Bildes zeigt uns das Ergebniß der Schmarotzerthätigkeit.

Einen ähnlichen Feind hat die Kiefernspinnerraupe in dem Microgaster nemorum, dessen zahlreiche Larven dieselbe in einen ganz ähnlichen Zustand versetzen können, wie die der vorher genannten Schlupfwespe die Kohlweißlingsraupe. Die Puppengespinnste und in deren Mitte den vertrockneten Raupenbalg (vergl. auf dem Bilde Raupe Nr. 2) bekommt man nur tief unten an einem Kiefernstamme zu sehen. Die erwachsene Raupe pflegt sich Ende Juni oder Anfangs Juli hoch oben zwischen den Nadeln oder am Stamme zur Verpuppung in ein dichtes Gespinnst von gelblicher oder graubrauner Farbe einzuschließen, wenn sie aber den genannten Schmarotzer beherbergt, so steigt sie in ihrer Angst tiefer herab und zeigt kein Verlangen zum Spinnen, sondern muß es sich gefallen lassen, daß sie allseitig umsponnen wird von den aus ihrem Leibe hervordringenden Maden.

Einige Monate später, nachdem mittlerweile die gesunden Kiefernspinnerraupen zu Puppen geworden, aus den Puppen die Schmetterlinge gekrochen sind und deren Eier die Räupchen geliefert haben, sind auch die Schlupfwespen ihrer Puppe entstanden. Jede derselben hat ein Deckelchen von dem sie umhüllenden Gespinnste abgenagt (2) und findet nun in der jungen Kiefernspinnerraupe für ihre im nächsten Jahre schwärmenden Nachkommen die geeignete Brutstätte.

Bisweilen bemerkt man statt des abgehobenen Deckels auf dem Scheitel des Puppengespinnstes ein seitliches winziges Löchlein in der Nähe jenes, und darf dann voraussetzen, daß nicht der Microgaster, sondern eine noch kleinere Schlupfwespe, also ein Schmarotzer-Schmarotzer, daraus hervorgegangen ist.

Der hier in starker Vergrößerung beigegebene Microgaster nemorum möge eine Vorstellung von dieser artenreichen, allgemein verbreiteten Gattung geben. Sie gehört mit noch vielen anderen zur Familie der sogenannten Schlupfwespenverwandten, Braconiden, welche bei sonst verschiedener Körpergestalt alle das mit einander gemein haben, daß im Vorderflügel nur eine Querader (rücklaufende Ader) von den Ueberrandzellen in die Flügelfläche führt, während bei den echten Schlupfwespen deren zwei vorhanden sind.

Die in Rede stehende Gattung ist an dem kleinen, nicht gestielten Hinterleibe zu erkennen, welcher den wissenschaftlichen Namen, „Kleinbauch“ zu deutsch, einigermaßen rechtfertigt, an den achtzehngliedrigen, plumpen Fühlern und an der Bildung der Unterrandzellen, das heißt der dem Vorderrande zunächst gelegenen Reihe von Adern geschlossener Räume in der äußern Hälfte der Flügelfläche. Unter Berücksichtigung der eben gegebenen Erklärung erblicken wir in unserer Abbildung unter dem dunklen Flecke am Vorderrande, dem sogenannten Flügelmale, eine unregelmäßig sechseckige Unterrandzelle (auch siebeneckig kann sie sein), bei andern Arten kommt auch noch eine kleine, dreieckige zweite in Steigbügelform nach außen sich anschließende vor, die hier jedoch fehlt. Der Körper unseres Wespchens ist glänzend schwarz; die Hinterränder der beiden ersten Hinterleibringe sind lichter; die Flügelschüppchen das heißt die die Flügelwurzel deckenden Haarplättchen, gelb und die Beine röthlich-gelb, mit Ausschluß sämmtlicher Füße und der ganzen Hinterbeine, welche schwarze Farbe tragen.

Andere zu den Braconiden gehörende Arten sind es, deren Larven aus wieder anderen Raupen kommen und gemeinschaftlich spinnen, sodaß der Raupenbalg gänzlich verschwindet, indem er von der Futterpflanze herabfällt und an dieser ein dichter Gespinnstballen zurückbleibt. Dergleichen gelbe oder weiße, wattenähnliche Flöckchen bemerkt man an Kräutern oder Grasstengeln gar nicht selten, wie inmitten unseres Bildes (3) dargestellt ist. Beim Auseinanderrupfen wimmelt es im Innern von Maden oder von Puppen; sollten sich dagegen kugelige Eier zeigen, so haben wir ein Spinnennest vor uns, da manche Spinnen ihre Eier genau in dieser Weise einschließen und an einen Pflanzentheil anheften.

Die Maden anderer Schlupfwespen, welche zu ermitteln mir indessen noch nicht gelungen ist, bleiben in der Raupe und verwandeln dieselbe in eine sehr verkürzte hartschalige „Mumie“, wie Nr. 4 unseres Bildes auf der Fichte von der Fichtenspinnerraupe (Dasycira abietis) eine solche wiedergiebt. Soweit meine Erinnerungen reichen, waren es immer nur bündelartig behaarte Spinnerraupen, welche ich an der Futterpflanze fest angeheftet in diesem mumienartigen Zustande angetroffen habe; sie zeigten alle eine harte, runzellose Oberfläche, welche meist noch mit einigen Haarbüscheln bekleidet war, und auffällige Verkürzung ihres natürlichen Längsdurchmessers.

Bei Weitem die meisten und zugleich größeren Schlupfwespen führen ihr Schmarotzerleben so im Geheimen, daß der Laie so leicht nichts davon zu sehen bekommt, desto häufiger aber der raupenzüchtende Schmetterlingssammler durch sie schmerzlich enttäuscht wird, wenn statt des erwarteten Schmetterlings, dessen Raupe mit vieler Sorgfalt gehegt und gepflegt worden war, eine Schlupfwespe im Zwinger umherschwirrt. Sofern er diesen untergeschobenen Kindern einige Aufmerksamkeit schenkt – und als wirklicher Naturfreund, dem es nicht blos auf eine schöne Schmetterlingssammlung ankommt, wird er es thun – kann er an jenen mancherlei interessante Erfahrungen sammeln.

Diejenigen Raupen, welche zu ihrer Verpuppung ein Gespinnst anfertigen, hüllen sich in dasselbe ein, wenn ihre Zeit gekommen ist. Oeffnet man es nach Verlauf einiger Wochen, so wird man keine Schmetterlingspuppe sammt der abgestreiften Raupenhaut vorfinden, wie es nach regelrechter Entwickelung zu erwarten stände, sondern – wenn die Raupe „angestochen“ gewesen ist – bis vier sehr langgestreckte, spindelformige, an beiden Polen aber abgerundete Körper neben dem zusammengeschrumpften Raupenbalge; es sind die Cocons von Schlupfwespen. Am häufigsten haben dieselben eine schwarze, stark metallisch glänzende Färbung und solche Derbheit in ihrem Gefüge, daß sie keinem Gespinnste, sondern einer pergamentartigen Umhüllung gleichen, die jedem Versuche des Zerreißens Widerstand leistet. Bisweilen legt sich um die Mitte ein hellerer Ring, oder die ganze Oberfläche hat einen mehr schmutzigen grauen Anflug. In ihrem Cocon nun wird die Schlupfwespenmade zu einer Puppe, und die dieser entschlüpfte Wespe nagt sich an dem einen Pole durch ein mehr oder weniger regelmäßiges Loch zu einer Zeit heraus, in welcher die betreffende Schmetterlingsraupe vorhanden ist, der sie ihre Nachkommen anvertrauen kann.

Was die Schlupfwespe selbst anlangt, welche sich in der angegebenen Weise entwickelt, so kann sie ein sehr verschiedenartiges Aussehen haben, daher bald dieser, bald jener Familie angehören. In erster Linie dürfte es eine Sichelwespe sein, wie der hier in der Mitte des Unterrandes als Beispiel vorgeführte Ophion merdarius mit seiner Puppenhülse (5), eine der verbreitetsten und stattlichsten Arten. Alle Sichelwespen sind durch einen, mindestens in der Hinterhälfte von der Seite her zusammengedrückten Hinterleib ausgezeichnet, welcher gleichsam sichelförmig erscheint und beim Weibchen kaum den Legestachel am Ende sehen läßt; Bei einer Sichelwespengattung (Banchus) ist die Hinterleibswurzel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_518.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)