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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


männliche Theil des Nachmittags in die Wirthshäuser zurück, um Kegel zu schieben und den Wein zu probiren.

Der junge Theil männlicher Einwohnerschaft hatte daneben noch eine besondere Aufgabe: er mußte die „Kerrb“ vergraben. So hieß bildlich eine Flasche Wein, die man an verborgenem Ort in die Erde grub, in der Nähe des Dorfes, vorsichtig, heimlich, damit nicht Schalk und Dieb sie des Nachts auffinden und leeren konnten. Kirchweihsonntagnachmittags um drei Uhr feierte sie schon lustige Auferstehung; früher soll sie von einer Kirchweih zur andern haben warten müssen.

Abgeholt ward die „Kerrb“ unter Vorantritt der Musik, welche bei dieser Gelegenheit „besonders gut“ spielte, weil blos Blechinstrumente thätig waren. Ein Bursche folgte ihr – oder vielmehr: er hüpfte hinter ihr im Tacte, von einem Bein auf das andere springend und unter zeitweiliger vollständiger Drehung um die Längsachse seines Körpers und beständigem Jauchzen; seine Hände bewegten eine Stange im Tacte auf und ab, an deren Spitze ein bändergeschmückter Kranz befestigt war. Vor lauter Lustigkeit war der Träger alsbald heiser. Das schadete aber nicht; denn große Heiserkeit galt als Zeichen größter Heiterkeit, nicht allein beim Kranzträger. Diesem folgten die Burschen in Reih und Glied nach, unter weniger anhaltendem Jauchzen, weil sie doch von Zeit zu Zeit aus dem nebenher getragenen Viertelkruge die Gläser sich füllen lassen und sie dann austrinken mußten, wodurch jedesmal eine Pause entstand. Dem Zuge schloß sich die Jugend, schrillstimmig und vielstimmig, an. War man am Orte, wo die „Kerrb“ vergraben lag, angekommen, so ward diese unter passenden Reden dem kühlen Schooße der Erde entnommen und an die Spitze der Kranzstange erhöht. Darauf kehrte der Zug in umgekehrter Ordnung und noch lauter seiner Freude Ausdruck gebend zum Wirthshause zurück, der Bursche mit der „Kerrb“ voran, dann die Andern, zuletzt die Musik und die Schuljugend.

Zum Schlusse der symbolischen Handlung ward der Kranz mit der Flasche an der Tanzsaaldecke befestigt, worauf die Muse Terpsichore erst ihre Herrschaft antreten durfte. Und über's Jahr ließ man sie wieder auferstehen. Bis dahin aber zählte man die Wochen, die noch verfließen mußten, ehe ihre Herrschaft wieder begann.

Das war „dazumalen“, als auf dem Lande nur auf Kirchweihe getanzt ward. Heute giebt es auch hier, öfters als gut, Sängerbälle, Kriegerbälle, Fahnenweihbälle und „abonnirte“ Bälle nach Belieben. Die „Kerrb“ wird am Rhein aber bald weder mehr vergraben noch abgeholt werden.

Dr. J. Herm. Baas.




Es ist ein räthselhaftes Leid – –


Es ist ein räthselhaftes Leid –
Vielleicht empfindet's ähnlich so
Der Vogel, der zur Ferne weit
Aus seinem Heimathswalde floh

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Und der zum Ort, der ihn geboren,

Auf irrem Flug die Spur verloren.

Mir ist, als sei im Weltenraum
Noch eine andre Heimath mein;
Sie spinnt mich heimlich oft im Traum

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In ihre fremden Wunder ein,

Läßt mich der Götter Antlitz schauen
Und stirbt dahin im Morgengrauen.

Wer hat aus jenem Himmelsland,
Dem Land des Glückes und der Ruh,

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Mich fort in diese Welt gebannt?

Wer schloß mir jene grausam zu?
Waldvöglein du, das sich verflogen,
Wir haben gleiches Loos gezogen.

Du singst das Herz mir seltsam weich;

20
Ich fühl's – es wohnt mein eig'ner Geist

Im Liede, das dein Himmelsreich
Halb jubelnd und halb schluchzend preist.
Des heimwehkranken Sängers Schmerzen –
Sie nisten auch in deinem Herzen.

25
Ich weiß, ich sang gar manches Jahr

Kein Lied aus frischer, freier Brust,
Und heute bricht es wunderbar
Sich wieder Bahn in Schmerz und Lust.
Ich sing' empor – du singst hernieder;

30
Gott Lob: Wir haben beide Lieder.
Helene von Götzendorff-Grabowski.




„Die lichten Nächte.“ Ein Freund der „Gartenlaube“ in Waltershausen theilt uns seine Beobachtungen über eine seltene Erscheinung bei Nacht leuchtender Nebel mit, die wir im Folgenden wiedergeben. Derselbe schreibt:

„Ist wohl einem der wissenschaftlichen Naturfreunde die eigenthümliche Erscheinung aufgefallen, welche ich, um derselben nur überhaupt einen Namen zu geben, 'die lichten Nächte' nennen möchte? Ich meine nicht die bekannten hellen Nächte vor und nach der Sommer-Sonnenwende, in welchen einige den Rand unserer Atmosphäre noch erreichende Sonnenstrahlen einen schwachen Reflex bis zur Erdoberfläche gelangen lassen und bei hellem Himmel selbst der Mitternachtsstunde einen schwachen Dämmerungsschimmer verleihen; ich meine eine andere Erscheinung, welche ich, unterstützt durch meinen seit Jahren sehr unvollkommenen Schlaf, von Zeit zu Zeit, wenngleich nicht gerade häufig, beobachtet habe. Es sind dies Nächte (respective Nachtstunden), in welchen jede Quelle von atmosphärischer Beleuchtung (als Mondschein, Sonnendämmerung, Sternenlicht, Nordlicht etc.) ausgeschlossen und dennoch eine eigenthümliche, mir in ihrem Ursprunge nicht erklärliche Helligkeit über Himmelsgewölbe und Erdoberfläche verbreitet ist. – Ich will als Beispiel die letzte meiner diesfälligen Beobachtungen anführen.

Es war in der Nacht vom 6. zum 7. November 1877. Etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht erwachend, nahm ich sofort das Vorhandensein der erwähnten abnormen Nachthelligkeit wahr, stand auf, um mich über die allgemeinen atmosphärischen Verhältnisse zu orientiren, und fand Folgendes: Temperatur: + 9½° Réaumur, Barometer = 766,0 Mm., Wind: lebhafter, jedoch nicht stürmischer WSW., Himmelsbedeckung: eine allgemeine, ununterbrochene, nebelähnliche Verschleierung ohne Wolkenformen, welche nicht allzu dicht zu sein schien, jedoch keinen einzigen Stern durchscheinen ließ. Der Feuchtigkeitsgehalt der Luft schien (ich habe kein hygroskopisches Instrument) nicht mehr als ein mittlerer zu sein. Regen hatte in den vorhergehenden wie nachfolgenden Tagen nur wenig stattgefunden. Der Mond, ohnehin eine kaum sichtbare Sichel, war seit 6 bis 7 Stunden untergegangen. (Neumond war am 5. November Vormittags 9 Uhr 30 Minuten gewesen.) Es waren demnach alle Verhältnisse gegeben, um eine sogenannte 'rabenschwarze' Nacht zu schaffen. Trotzdem war das ganze Himmelsgewölbe von einer eintönigen, blassen, an Phosphorescenz erinnernden Helligkeit in allen Richtungen und Höhen gleichmäßig bedeckt, sodaß erhabene Gegenstände, besonders Dachfirsten, in mäßigen Entfernungen, in welchen von denselben Gegenständen bei wirklich dunkeln Nächten keine Spur von Umrissen sich erkennen ließ, sich mit einer unverhältnißmäßigen Deutlichkeit hervorhoben.

Hier würde, unter den oben angeführten Verhältnissen, nur noch das Nordlicht als die etwaige Quelle der sonderbaren Nachthelligkeit anzunehmen sein, aber ich kann daran nicht glauben wegen der, wie erwähnt, nach allen Richtungen und Höhen hin vollkommen homogenen, dabei gänzlich farblosen Helligkeit. Ich beobachtete in genannter Nacht die geschilderte Erscheinung etwa zwei Stunden lang, worauf ich, da sich keine merkliche Aenderung zeigte, mich dem Schlafe überließ.

Auf Erscheinungen, wie die hier geschilderte, bin ich seit etwa fünfzehn Jahren aufmerksam geworden. Es mögen in diesem Zeitraume mir dergleichen ungefähr fünf bis sechs vorgekommen sein. Doch hat erst diese zuletzt beobachtete meine Aufmerksamkeit so weit gespannt, daß ich das Betreffende zu notiren für gut fand, was ich bei den früheren Fällen leider nicht gethan hatte.

Eine genügende Erklärung der besprochenen Erscheinung vermag ich nicht zu finden. Vielleicht zieht dieselbe das Interesse der Naturforscher auf sich.“

Wir können Obigem einstweilen nur die Bemerkung hinzufügen, daß dieselbe Erscheinung auch von Anderen bereits beobachtet worden ist, so z. B. 1743 mitten in einer Neumondnacht, wo man Gegenstände in 600 Fuß Entfernung deutlich erkennen konnte. (Humboldt's „Kosmos“ I., Seite 146.) Die Ursache ist noch, wie Plinius sehr schön von einem anderen Phänomene sagt, „in der Majestät der Natur verborgen“.




Verschwunden! Ein Secundaner der Realschule zu Düsseldorf, Eduard Daelen, 17 Jahre alt, ist seit Sonnabend den 14. April nirgends zu finden, trotz der rastlosesten Nachforschungen der trostlosen Eltern und der Behörden. Der Vermißte hat eine Größe von 1,83 bis 1,84 Meter, blondes Haar, blaue Augen, frische Gesichtsfarbe, etwas starke Nase, trägt eine dunkelgraue Jacke, braungestreifte Hose, ein schwarzes Hütchen und in der Weste eine silberne Ankeruhr mit Stahlkette. In einem solchen Falle ist auch die schlimmste Nachricht besser, als gar keine.



Kleiner Briefkasten.

A. Br. in L. und Andere. Auf Ihre Anfrage, wie man in den in Nr. 26 dieses Jahrganges geschilderten Hasbruch gelange, erwidert Ihnen der Verfasser des betreffenden Aufsatzes, Herr F. Lindner, Folgendes: Ausgangspunkt ist Bremen; die Tour selbst ist eine Tagespartie und zwar entweder von Bremen ab per Wagen über Delmenhorst nach Falkenburg, wo man einen Führer nimmt, oder von Bremen per Eisenbahn bis zum Haltepunkt Gruppenbühren (Oldenburger Bahn), von da zu Fuß durch den Wald nach Falkenburg; der Rückweg ist am besten nicht wieder nach Gruppenbühren, sondern nach Hude einzuschlagen, wo man die interessante Klosterruine in Augenschein nehmen und per Bahn nach Bremen zurückkehren kann. Bei der letzteren Tour muß man allerdings von Falkenburg aus wieder zurück nach dem Hasbruche, den man zum Theil auf dem Heimwege durchschneidet, aber es ist theils wegen eines leicht möglichen Verirrens zu bedenklich, theils wegen der Unkenntniß der schönsten Stellen zu undankbar, den Wald ohne Führer zu betreten. Bei der Wahl des letzteren muß man sich auch zuvor versichern, daß er das Terrain genau kenne.

R. P. in Metz. Geben Sie Ihrer Melancholie keinen Raum! In Arbeit und heiterm Lebensgenuß bietet sich Ihnen ein Mittel zur Bekämpfung trüber Stimmungen von dem Sie ohne Zweifel sehr bald sagen werden: Probatum est. Wozu all den trüben Möglichkeiten, welche uns das Gebiet erblicher Krankheiten erschließt, nachhängen? Es giebt kein thörichteres Thun; denn – wir können es Ihnen zur Beruhigung sagen – trotz der Behauptungen Ihres leichtfertigen Zeitungscorrespondenten ist nichts so willkürlich, so trügerisch, wie diese sogenannten Wahrscheinlichkeitsrechnungen in Betreff erblicher Krankheiten.

Alter Abonnent in T. b. L. Nach Auskunft von Fachmännern giebt es für Fälle, wo der Betreffende schon so weit über die Zeit der Erziehungsfähigkeit hinaus ist, auch keine Erziehungsanstalten, sondern nur öffentliche „Besserungshäuser“, weshalb sechs Jahre früher das Leipziger Pestalozzi-Stift für den Betreffenden zu empfehlen gewesen wäre; jetzt ist's dazu zu spät. Doch ist auf eine Anfrage dort ein guter Rath sicher.

Filomene in Wien. Wegen mangelnden Raumes leider unmöglich.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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