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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

Linken. Es gehörte Muth dazu, um diese Position zu behaupten. Alle deutschen Kirchenregimente wurden mehr oder weniger orthodox besetzt, alle Hoffnung auf eine evangelische Kirchenverfassung lag in Trümmern; dahingegen erhob der Ultramontanismus sein Haupt, selbst Döllinger fing an beargwöhnt zu werden. Ketteler als Bischof von Mainz war mit Hülfe der mit Polypenarmen um sich greifenden Jesuiten der hierarchische Agitator geworden. Hase bekannte, als er sein Werk über die deutsche Kirche 1852 neu auflegte, „vordem mehr Achtung vor seinem Volke gehabt zu haben“. Aus dem Zeitalter der Revolution ward das Zeitalter der Concordate.

Eine Einladung zu dem Kirchentage, dem Sammelpunkt der modernsten Orthodoxie, hatte er 1848 unbeantwortet gelassen; jeder Versuch, ihn der neugläubigen Richtung geneigter zu machen, scheiterte. Als Hengstenberg drohte, der Kirchentag werde sein Anathem gegen die Facultäten in Jena und Gießen schleudern, gründete Hase mit den Freunden dort und in Berlin die „Protestantische Kirchenzeitung“ (seit 1854), die unter der unerschrockenen Leitung Heinrich Krause’s die Zerstreuten sammelte, und in ihr hat Hase so oft mit köstlicher Ironie die Kleingläubigkeit jener Starkgläubigen und das ganze Gewebe ihrer Machinationen aufgedeckt. Ohne Umschweife hielt er ihnen vor, daß der Rationalismus, den sie für immer beseitigt wähnten, nicht nur nicht todt, sondern sogar noch eine ungeheure Macht in den Gemüthern sei. Er vertrat den Geist schrankenlosen Denkens und Forschens, wie er in den Tagen Goethe’s und Schiller’s geherrscht habe; er erklärte unumwunden, die theologische Facultät Jena’s werde selbst einen David Friedrich Strauß, wenn er sich bei ihr habilitiren wolle, willkommen heißen, und hat den jungen Theologen Hilgenfeld, einen Geistesverwandten der Tübinger Schule, der in Jena aufgetreten war, treu beschützt. Mit dieser Schule, deren Methode ihm zweifelhaft, deren Ergebnisse ihm unsicher erschienen, hat er in der Schrift „Die Tübinger Schule“ (1854) Abrechnung gehalten, in vollster Anerkennung ihrer Berechtigung. Was er selbst als die wesentliche Aufgabe der Zeit erkannte, hat er in seiner kühnen Rede über die „Entwickelung des deutschen Protestantismus“ ausgesprochen.

Die Jenaer theologische Facultät war in dieser Epoche eine einzigartige Erscheinung. Der feindiplomatische Hase mit dem großartigen Blick in die Zukunft, der felsenfeste Rückert mit dem Fichte’schen Motto: „Du sollst nicht lügen, und wenn die Welt darüber in Trümmer gehen sollte“, und mitteninne der gewaltige Prediger Schwarz mit dem Eliaseifer gegen die Verlogenheit der Zeit – sie ergänzten einander vortrefflich. Das trat hervor in den Tagen des Jenaer Universitätsjubiläums: da empfingen aus ihren Händen, wie früher schon Sydow, so nun Ketzer wie Karl Schwarz, Zittel, Hilgenfeld, Lipsius theologische Doctordiplome. Das schöne Fest erschien als die Morgenröthe einer bessern Zeit. Hatten doch der Prinz und die Prinzessin von Preußen der Universität zu ihrer Jubelfeier die Büsten Fichte’s, Schelling’s und Hegel’s verehrt, in Tagen, wo in Preußen an Fichte und Hegel nicht erinnert werden durfte! Die „Kreuzzeitung“ druckte bei ihrer Mittheilung über die Schenkung die Worte: „der Prinz von Preußen“ gesperrt.

Wenige Wochen später, und die Regentschaft des Prinzen begann, sein Wort von der „heuchlerischen Orthodoxie“ fand tausendfachen Wiederhall. Die „neue Aera“, die man jubelnd begrüßte, schien auch dem Kirchenwesen einen neuen Geist einhauchen zu sollen. Zum Unglück war Bethmann-Hollweg, der Präsident des Kirchentags, der erwählte Cultusminister, und Bunsen ein zu nachgiebiger Rathgeber. Hase hatte dessen „Zeichen der Zeit“ als eine Frühlingslerche begrüßt und ihm im Streit wider Stahl durch Beiträge beigestanden; dennoch, als es nun galt, die theologischen Lehrstühle in Preußen anders zu besetzen, hielt Bunsen dafür, Hase sei „stehen geblieben“! Bald stellte es sich heraus, daß die kirchlichen Hoffnungen auf die neue Aera eitel waren: der Generalsuperintendent Hoffmann und später Bethmann-Hollweg’s Nachfolger von Mühler wußten den Regenten, dann den König umzustimmen und hatten es in der Conflictszeit leicht. Aber das wiedererwachende Nationalgefühl sträubte sich gegen die kirchliche Bevormundung; hier und da, am siegreichsten in Baden, kam es zu kirchlichen Agitationen. Dann suchte der Protestantenverein, durch den geisteskühnen Richard Rothe zu Bedeutung gelangt, ein kirchliches Verfassungsleben durchzusetzen, endlich ergaben sich, oft aus sehr materiellen Gründen – um Kirchensteuern durchsetzen zu können – die meisten evangelischen Regierungm darein, Synodalverfassungen zuzugestehen. An diesen Agitationen nahm Hase nicht Theil. Er erkannte, daß der Schade unendlich tiefer liege. So lange der landesherrliche Summepiskopat bestehe, so lange die bisherigen Landeskirchen fortdauerten, dazu die Angst, mit Bekenntnissen zu brechen, die keine mehr sind, und dem gegenüber der ungeheuere Indifferentismus der Massen, so lange sah er in den Synodalverfassungen modernsten Datums kein Heil.

Aber auch auf die katholische Kirche wirkte die neue Aera zurück. Oesterreich, seit dem Costcordat von 1855 ihr Bollwerk, unterlag im italienischen Krieg; Napoleon der Dritte vermochte, obwohl Sieger, nicht, die italienische Einheitsbewegung zu meistern. Die Unterthanen des Papstes fielen von diesem ab und der Kirchenstaat ging aus den Fugen. Hase, der seit 1852 einen Theil fast jeden Jahres in Italien zubrachte, um die neuen Phasen des Katholicismus an Ort und Stelle zu studiren, hatte selbst diese Bewegung dort werden und wachsen sehen, und obwohl er dem von Haus aus so menschenfreundlichen Papste kein Dorf mißgönnte, täuschte er sich doch nicht darüber, daß es mit der weltlichen Herrschaft desselben zu Ende gehe. Auch die Katholiken, soweit sie freieren Blick besaßen, begriffen das. Ihr größter Kirchenlehrer, Ignaz Döllinger, schrieb sein berühmtes Werk: „Kirche und Kirchen“, das der eigenen Kirche unter dem Pontificat Pius’ des Neunten und der Herrschaft der Jesuiten ein langes Sündenregister nachwies, freilich zugleich das protestantische Kirchenwesen als ein durchaus hoffnungsloses schilderte. Da konnte Hase nicht länger schweigen. Und so entstand, zumeist in Rom selbst, sein „Handbuch der protestantischen Polemik gegen die römisch-katholische Kirche“ (1862), das in Anerkennung alles Großen und Schönen, das diese Kirche über die Völker gebracht hat, doch die tief innere Unwahrheit und die Gefahren des hierarchisch-jesuitischen Wesens für die Cultur in einer unendlichen Fülle von Thatsachen schonend und doch schlagend nachweist.

Einer von den Convertiten des Bischofs Ketteler, Regierungsrath Volck in Erfurt, veröffentlichte unter dem Namen Ludwig Clarus als „literarische Hasenjagd“ ein scheußliches Pamphlet dagegen. Aber das Buch machte die Runde durch Europa, und da der Verfasser in Italien so gut wie heimisch geworden war und dort die Entstehung der Encyclica des Syllabus, die Vorbereitungen zum vaticanischen Concil verfolgen konnte, dann dieses selbst zum Theil in Rom erlebte, da er ferner warm befreundet wurde mit Augustin Theiner, der die archivalischen Schätze des Vatikans verwaltete und nicht viel anders über das, was um ihn vorging, dachte, als Hase, so wurde das Werk in zweiter, noch mehr in dritter Auflage die Fundgrube eines Wissens, das nur einmal in dieser Weise vorhanden war.

Die Entscheidung von 1866 verhieß und das Jahr 1870 zeitigte die Erfüllung der nationalen Sehnsucht, wenngleich der alte Burschenschafter nicht verwinden konnte, daß es nicht die Farben Schwarz-Roth-Gold waren, die auf dem Siegesbanner prangten. Er sah seine drei Söhne in den Kampf ziehen und glücklich wiederkehren, er sah das deutsche Kaiserreich sich erheben. Gleichzeitig fiel der letzte Rest der weltlichen Macht des Papstthums, und in die katholische Kirche kam mit dem Dogma der Infallibilität ein tiefer Riß. An der Spitze der Gegner desselben stand nun Döllinger, und die „Altkatholiken“ protestirten gegen den Neukatholicismus des Papstes. Andererseits erhob sich eine starke ultramontane Partei im deutschen Reichstag, und bald stellte sich’s heraus, daß hinter ihr die ungeheuere Mehrheit des katholischen Volks, seine Bischöfe an der Spitze, stand; sie bot der Reichsregierung kühnlich die Stirn – und empfing zur Antwort die Maigesetzgebung von 1873. Wie Hase geartet war, konnte er nur ungern den Namen „Culturkampf“ für die Phase des Conflicts zwischen Staat und Kirche acceptiren, die zum guten Theil durch die frühere Politik der Regierungen, die Roms zu bedürfen meinten, heraufbeschworen worden war. Der mild urtheilende Historiker, der mehr von der Vergangenheit als von der Zukunft aus die Dinge beurtheilte, fand die Maigesetzgebung von 1873 in manchen Punkten drakonisch. Ein Todfeind der Jesuiten und Redemptoristen und völlig einverstanden mit deren Ausweisung, ist er doch der Ansicht, daß das Brodkorbgesetz, daß die sogenannte Anzeigepflicht, daß das weltliche Examen der katholischen Priester nicht durchaus nothwendige Maßregeln seien, und vor Allem konnte

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