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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Weg zu finden. Ich habe mir vorgenommen, niemals zwischen Euch zu treten; Du siehst ja, daß ich sogar den Gedanken an ein Zusammenleben mit Euch aufgegeben habe.“

Die Abweisung war deutlich genug. Hedwig fühlte sich bis in's Innerste erkältet, wie so oft schon, wenn sie es versucht hatte, der Schwiegermutter mit Herzlichkeit zu nahen. Sie wußte freilich seit jener Unterredung mit Oswald, welchen gefährlichen Gegner sie an der mütterlichen Eifersucht hatte, aber sie merkte doch, daß diese herbe Zurückweisung nicht blos in der Eifersucht wurzelte. Es lag irgend etwas zwischen Edmund und seiner Mutter – Hedwig hatte das längst bemerkt, so sehr die Beiden sich Mühe gaben, äußerlich das alte Verhältniß festzuhalten. Die Gräfin hatte in der ersten Zeit der Verlobung ihren Sohn noch so ganz für sich in Anspruch genommen, war so wenig geneigt gewesen, der Braut den ersten Platz einzuräumen – woher nun auf einmal dies Verzichten auf jeden Einfluß, das so gar nicht in ihrem Charakter lag?

Im Eifer der Unterredung hatten die beiden Damen den Galopp eines ansprengenden Pferdes überhört. Sie wandten sich erst um, als die Thür sich öffnete und der junge Graf erschien. Er hatte Hut und Ueberrock bereits abgelegt, aber in seinen dunklen Haaren hingen noch einzelne Schneeflocken, und sein erhitztes Gesicht verrieth, wie wild der Ritt gewesen war, den er soeben beendigt hatte. Er trat rasch ein und drückte hastig, beinahe stürmisch seine Lippen auf die Stirn seiner Braut, die ihm entgegengetreten war und jetzt vorwurfsvollen Tones sagte:

„Du bist zwei Stunden lang draußen gewesen, Edmund. Wäre das Schneetreiben schon früher eingetreten, so hätte ich Dich nicht fortgelassen.“

„Willst Du mich verweichlichen? Ich liebe nun einmal gerade dieses Wetter.“

„Seit wann? Sonst liebtest Du nur den Sonnenschein.“

Auf Edmund's Antlitz legte sich eine Wolke bei dieser Bemerkung, und er entgegnete kurz:

„Ja, sonst! Das ist eben anders geworden.“

Damit trat er zu der Gräfin und küßte ihr die Hand. Die Umarmung, mit der er in früherer Zeit die Mutter stets bei der Rückkehr begrüßte, unterblieb jetzt, und er vermied auch wie zufällig den Fauteuil zwischen den Plätzen der beiden Damen und warf sich in einen Sessel, der an der anderen Seite seiner Braut stand. Es lag eine nervöse Hast und Unruhe in all seinen Bewegungen, die ihm niemals eigen gewesen war, und dieselbe unruhige Hast verrieth sich auch in seiner Stimme und in der Art, wie er im Gespräche von einem Gegenstande zum anderen sprang, ohne einen einzigen festzuhalten.

„Hedwig hat sich bereits wegen Deines langen Ausbleibens geängstigt,“ warf die Gräfin hin.

„Geängstigt?“ wiederholte Edmund. „Was fällt Dir ein, Hedwig? Fürchtest Du etwa, daß ein harmloses Schneegestöber mich verschütten könne?“

„Nein, ich fürchte nur Dein wildes Reiten in solchem Wetter. Du bist seit einiger Zeit grenzenlos unvorsichtig darin.“

„Warum nicht gar! Du bist ja selbst eine leidenschaftliche Reiterin und zeigst niemals Aengstlichkeit bei unseren Spazierritten.“

„Wenn Du mich begleitest, bist Du auch vorsichtiger, aber allein giebst Du Dich immer wieder diesem tollkühnen Jagen hin, das doch wirklich gefährlich ist.“

„Pah, gefährlich! Mich trifft keine Gefahr, darauf kannst Du Dich verlassen.“

Die Worte hatten nichts von jenem heiteren, sorglosen Uebermuth, mit dem der junge Graf sich sonst auf sein Glück zu berufen pflegte, sie klangen im Gegentheil wie eine bittere Herausforderung des Schicksals, ja beinahe wie eine versteckte Anklage. Die Gräfin hob langsam das Auge, und ein düsterer, schwerer Blick fiel auf den Sohn, aber dieser schien das nicht zu bemerken, sondern fuhr in leichtem Tone fort:

„Hoffentlich haben wir morgen besseres Wetter zu unserer Jagd. Ich erwarte einige Herren, die wahrscheinlich schon heute Nachmittag eintreffen werden.“

„Du hast ja erst vorgestern die ganze Umgegend zur Jagd in Ettersberg versammelt,“ wandte Hedwig ein. „Und übermorgen steht uns das Gleiche in Brunneck bevor.“

„Ist Dir die Einladung nicht recht?“ scherzte Edmund. „Ja freilich, ich hätte erst die allergnädigste Erlaubniß der Damen einholen sollen und bin untröstlich, das versäumt zu haben.“

„Hedwig hat Recht,“ nahm die Gräfin das Wort. „Du muthest Dir und uns jetzt wirklich allzu viel zu. Seit Wochen haben wir keinen einzigen Tag gehabt ohne Gäste oder Ausfahrten. Ich will froh sein, wenn ich erst in meinem ruhigen Schönfeld bin und es Euch allein überlassen kann, dies aufreibende Gesellschaftsleben weiter zu führen.“

Noch vor wenigen Monaten würde eine solche Hindeutung auf die bevorstehende Trennung die leidenschaftlichsten Proteste und Bitten von Seiten Edmund's hervorgerufen haben, der ja stets behauptete, nicht ohne seine Mutter leben zu können – heute schwieg er. Er hatte nicht ein einziges Wort des Widerspruches, nicht einmal einen Vorwurf dafür, daß die Mutter sich sehnte, Ettersberg zu verlassen.

„Mein Gott, Ihr seht ja die Herren nur bei Tische!“ rief er, die letzte Bemerkung vollständig ignorirend. „Sie sind den ganzen Tag draußen im Walde.“

„Und Du mit ihnen,“ ergänzte Hedwig. „Wir hofften Dich morgen wenigstens für uns allein zu haben.“

Edmund lachte laut auf. „Wie schmeichelhaft für mich! Aber Du hast wirklich Deine ganze Natur geändert, Hedwig. Ich habe diese romantische Neigung zur Einsamkeit früher niemals an Dir bemerkt. Bist Du menschenfeindlich geworden?“

„Nein, ich bin nur müde,“ sagte das junge Mädchen leise, aber in einem Tone, der wirklich die tiefste Ermüdung verrieth.

„Wie kann man mit achtzehn Jahren müde sein, wenn es sich um ein Vergnügen handelt!“ spottete Edmund, und nun begann er, wie sonst, seine Braut mit Neckereien und Zärtlichkeiten zu überströmen. Es war ein förmliches Raketenfeuer von Scherzen, das da aufflammte, aber es war doch nicht die alte Weise, nicht jenes heitere, muthwillige Getändel, in dem der junge Graf so hinreißend liebenswürdig sein konnte. Hedwig hatte Recht, es lag jetzt etwas Wildes, Krampfhaftes in seiner Heiterkeit, die viel zu laut und stürmisch war, um natürlich zu erscheinen. Sein Scherz gestaltete sich zum Spott, sein Uebermuth zum Hohne. Dabei klang sein Lachen so grell und laut, und die Augen glänzten so fieberhaft, daß es beinahe wehe that, ihn zu sehen und zu hören.

Der alte Eberhard trat jetzt ein und meldete, daß der Bote, den man nach Brunneck senden wollte, draußen warte; das gnädige Fräulein habe noch eine Bestellung an den Herrn Oberamtsrath mitgeben wollen. Hedwig erhob sich und verließ den Salon. Fast gleichzeitig stand auch Edmund auf und machte Miene, ihr zu folgen, als ihn die Gräfin zurückrief.

„Willst Du auch den Boten sprechen?“

„Jawohl, Mama. Ich will in Brunneck sagen lassen, daß wir übermorgen zur Jagd bestimmt dort eintreffen.“

„Das war ja ohnehin ausgemacht, und überdies steht es in dem Billet Hedwig's an ihren Vater. Es ist nicht nöthig, daß Du es noch einmal wiederholst.“

„Wie Du befiehlst, Mama!“ Der junge Graf, der bereits an der Schwelle stand, schloß zögernd die Thür und schien unentschlossen, ob er wieder auf seinen Platz zurückkehren solle oder nicht.

„Ich befehle nichts,“ sagte die Gräfin. „Ich meine nur, daß Hedwig in fünf Minuten zurückkommen wird, und daß Du deshalb nicht so ängstlich nach einem Vorwande zu suchen brauchst, um das Alleinsein mit mir zu vermeiden.“

„Ich?“ fuhr Edmund auf. „Ich habe ja niemals –“ er verstummte mitten in der Rede, denn er begegnete wieder jenem düsteren, vorwurfsvollen Blicke, dem sich diesmal nicht ausweichen ließ.

„Du hast das niemals ausgesprochen,“ vollendete die Gräfin. „Nein, mein Sohn, aber ich sehe und fühle es doch, wie Du meine Nähe fliehst. Ich würde Dich auch jetzt nicht bei mir zurückhalten, wenn ich nicht eine Bitte an Dich richten müßte. Laß dieses wilde Jagen nach Zerstreuung, dieses stundenlange Umherstürmen im Freien! Du reibst Dich auf. Von meiner Angst spreche ich nicht, Du hörst ja längst nicht mehr darauf, aber auch Deine Braut täuschest Du nicht länger mit dieser erzwungenen Heiterkeit. Ich habe es vorhin während Deiner Abwesenheit hören müssen, wie sie sich um Deinetwillen ängstigt.“

Sie sprach in gedämpftem Tone. Ihre Stimme war matt und klanglos, und dennoch zitterte ein schmerzliches Weh hindurch.

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