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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

die schwäbischen Professoren, die Winer’s Gelehrsamkeit bewundern. Allmählich fassen die Schwaben Vertrauen zu ihm, selbst der Kanzler von Autenrieth wird sein entschiedener Gönner, und der Präsident des obersten Gerichtshofes vom Schwarzwaldkreise, der damals die Vertretung des Criminalrechts an der Universität übernommen, liest ihm sein Heft über Criminalrecht vor. Wurm, der nachmals so berühmte Staatsrechtslehrer in Hamburg, den er sein „schwäbisches Schatzkästlein“ tauft, und Wilhelm Hauff, der frühvollendete Dichter, nächst ihnen Wächter, Robert Mohl, Paul Pfizer wurden unter den jüngeren Schwaben seine Freunde. Eine immerhin ansehnliche Studentenschaar hörte seine Vorlesungen. Bald fühlte er sich so heimisch in Tübingen, daß er gern für immer hier geblieben wäre.

Als er von Stuttgart mit der Gewißheit, seinen Habilitationsplan ausführen zu können, in einer schönen Frühlingsnacht nach Tübingen zurückreiste, stand ihm plötzlich seine Lebensaufgabe in Gestalt eines kleinen Romans vor der Seele, den er in glücklichen Stunden rasch vollendete und „Des alten Pfarrers Testament“ betitelte. Das Büchlein, alsbald gedruckt, zündete wenigstens in den schwäbischen Kreisen. Was hier ahnungsvoll angedeutet war, entschloß er sich voll jugendlicher Kühnheit in zwei größeren Werken auszuführen. In einem „Leben Jesu“ wollte er – der erste, der das versuchte – ein streng kritisches Lebensbild des religiösen Genius, dem achtzehnhundert Jahre hindurch Glaube und Anbetung der Gemeinde in wechselnder Gestalt gegolten, für die religiöse Gemeinde des neunzehnten Jahrhunderts zeichnen. In einer „Dogmatik“ oder Glaubenslehre beabsichtigte er den Tiefsinn der alten Kirchenlehre mit dem geistigen Licht der Gegenwart zu beleuchten.

So waren zwei ungeheuere Stoffe auf seine Seele gelegt, und es handelte sich nun um die Muße zur Bearbeitung. Aber längst waren die Zeichen da, die eine finstere Zeit in Deutschland ankündeten. Mit dem Beginn des Jahres 1824 häuften sich die Verhaftungen ehemaliger Burschenschafter und sonstiger Vaterlandsfreunde. Hase selbst, als er in Augsburg seinen Freund Herbst besuchen wollte, der ihm nach Süddeutschland gefolgt war, wurde dort ausgewiesen – Herbst war bereits ausgeliefert. In Tübingen dachte man für’s Erste an keine Verfolgung, noch war Wangenheim (vergl. „Gartenlaube“ 1873, Nr. 14) Bundestagsgesandter. Doch eine Zigeunerin weissagt Hase bereits: „Glück und Unglück liegen bei Dir noch im Streite, Du wirst aber bald erhöht werden.“ Und wirklich wird er – der Anstoß kam von außen – kurze Zeit später aus seinem Wirkungskreise gerissen und auf die Festung Hohenasperg abgeführt.

Der Jünglingsbund war verrathen worden. Wie Hase, so befanden sich alle schwäbischen Mitglieder – darunter Kolb und Mebow, die nachmaligen Redacteure der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“, Rödinger und Tafel, die späteren Parlamentsdeputirten – auf der Festung, und ein carrierebegieriger Assessor von Prieser aus Eßlingen inquirirt frisch drauf los. Es hilft Hase nichts, daß er nachweisen kann, nie mit den schwerwiegendsten Paragraphen des Bundes einverstanden gewesen und aus diesem bald ausgetreten zu sein; bei seiner Weigerung, Mitschuldige zu nennen, die ihm sogar Wochen lang ein härteres Gefängniß, als das für Diebe und Mörder übliche, einbringt, wird er als gravirt betrachtet. Ein von Berlin ausgehendes Druckstück über den hochverrätherischen Bund nennt unter den „lasterhaften Verbrechern“, die der Nation zum Abscheu hingestellt werden, auch seinen Namen. Da hat er in der Einsamkeit des Kerkers – Papier und Schreibzeug waren am Studium des Spinoza, das mit der Lectüre Walter Scott’s abwechselte, Trost gefunden. Erst als das Urtheil über Hase und seine Genossen gefällt war, das ihn selbst zu Entsetzung von seinem Lehramt und zu mehrjähriger Festungshaft verurtheilte, umwanden sich die Ketten der Gefangenen, die nun frei unter einander Verkehren durften, mit Rosen. Die „Gogs auf dem Aschberg“ wie die schwäbischen Bauern die gefangenen Demagogen hießen, erfuhren allseitig die Sympathieen der Gebildeten, und der Verfasser von „Des alten Pfarrers Testament“ erfuhr sie doppelt. Allen gemeinsam senden die Liberalen des Landes ein Faß Wein nach dem andern, sodaß sie stets einen hübschen Vorrath haben. Wenn sie dann aus einem eichenbekränzten Fasse in einer Grotte lustig drauf los zechen, liest ihnen Rödinger, der in Jena studirt hat, sein Heft von Luden’s Geschichte der französischen Revolution vor. Allwöchentlich sendet der Altvater der württembergischen Liberalen, der treffliche Schott, der häufig mit Frau und Tochter die jungen Märtyrer besucht, an Hase eine runde Magenwurst und andere Gaben. Die schwäbischen Buchhändler schicken Bücher und zahlen Honorar voraus. Hase schreibt jetzt eine anonyme Schrift „Die Proselyten“, eine alte Sage behandelnd, nach welcher zwei Brüder, der eine Protestant, der andere Katholik, sich wechselseitig zu bekehren suchen und zwar mit solchem Erfolg, daß der Protestant Katholik und der Katholik Protestant wird – ein für Hase charakteristisches Thema. Andere Schriften hat er hier entworfen. Das „Leben Jesu“, von dem der Buchhändler Cotta schon einen Bogen gedruckt, giebt er für’s Erste auf, um wenigstens die „Dogmatik“ zu vollenden. Plötzlich wird er auf ein eingereichtes Gesuch vom König begnadigt, nur daß ihm Tübingen verboten wird. Nassen Auges nimmt Hase von dem liebgewordenen Schwabenlande Abschied und denkt: „Sie haben Dich von drei Universitäten fortgejagt, nun sollen sie Dich an drei berufen.“

So muß er wieder nach Sachsen zurück, wo damals unter dem allmächtigen Minister Einsiedel die Reaction ganz anders Boden gewonnen hatte, als in Schwaben. Er sieht Mutter und Schwestern wieder, deren Freude, von Tübingen aus über den Verschwundenen so viel Gutes zu erfahren, durch die Gefangenschaft arg getrübt worden war. Um unter den Augen der Behörden und in der Nähe einer großen Bibliothek zu leben, zieht er nach Dresden: aber sobald die Polizei davon Kunde erhält, wird er ausgewiesen; auch das glänzendste Zeugniß der Tübinger theologischen Facultät rettet ihn nicht: Da wendet er sich direct an den Minister Grafen Einsiedel, dem ja sein Vater und Großvater so treu gedient und dem ihn vor drei Jahren Schubert so warm empfohlen. Nicht ohne die Ermahnung, „nie zu vergessen, daß die Philosophie eine Magd der Theologie sein müsse, und sich ja nicht wieder um Politik zu bekümmern, wovon er nichts verstehe“, hat ihn dieser aus den Krallen der Polizei errettet. Aber die ängstlichen Sachsen weichen ihm aus, und nur in nächtlicher Stille hat ihn Frau Elise von der Recke, die Freundin Tiedge’s, die ihn kennen zu lernen wünschte, empfangen mögen.

Er lebt in tiefer Stille von den Honoraren der schwäbischen Buchhändler, anonym vielerlei schreibend. Ein glänzend abgefaßtes Werkchen „Vom Justizmord“, das die Unchristlichkeit der Todesstrafe zu erweisen versucht, macht in den höchsten Kreisen Dresdens Sensation; selbst Prinz Friedrich August, der nachmalige König, ladet ihn zu sich nach Pillnitz, und Ludwig Tieck’s Cirkel und mancher andere steht ihm nun offen. Mittlerweile ist die „Dogmatik“, die in Dresden gedruckt wird, vollendet. Der hochgebildete Ammon, dem Minister Einsiedel gegenüber kleinlich feige, hat als Censor Berge von Bedenken. Selbst der Setzer macht zu einer Stelle in Hase’s Manuskript die Anmerkung: „Diese Stelle wird die Censur wohl nicht passiren!“ So erscheint denn das Schubert und Winer zugeeignete Werk, die erste größere Geistesthat des Verfassers, im Herbste 1826 mit den offenen Wundmalen der Censur, deren Striche Hase nicht ausgefüllt hatte. Als er kurz darauf Ammon fragt, ob er sich nun um eine Pfarrstelle bewerben dürfe? und die Antwort empfängt: „Wenn Sie nur nicht die ,Dogmatik’ geschrieben hätten!“ – entgegnet er bitter: „Da hätte ich die Pfarre allerdings wohlfeiler haben können.“ Ammon räth, er soll nach Leipzig gehen und sich dort habilitiren.

Er geht nach Leipzig. Da er den überängstlichen Professoren immer noch als der weggewiesene Student gilt, will er sich vor der Habilitation, durch ein lateinisch geschriebenes Kirchenrecht der katholischen wie der protestantischen Kirche in Leipzig zünftig machen und lebt einstweilen in tiefer Verborgenheit. Inzwischen wird Ostern 1827 vom Minister Einsiedel der Professor Hahn aus Königsberg berufen, um das, was Einsiedel Christenthum nennt, in Leipzig zu lehren. Der tritt seine Professur mit einer Disputation an, in der er die Behauptung vertheidigt: die Rationalisten seien aus der Kirche auszuschließen. Und dabei war der Rationalismus, die etwas spießbürgerliche Freisinnigkeit jener Tage, die eigentliche Glaubensrichtung der deutschen Bürger! Professor Krug und Andere opponiren heftig, die ganze Stadt nimmt an der Sache Theil. Hase wirft anonym ein Schriftchen dazwischen: „Die Leipziger Disputation“, in welcher er mit vernichtender Schärfe das Unprotestantische jener Behauptung darthut. Er wird bald errathen und ist mit einem Schlage bei Bürgern und Studenten ein hochgeschätzter Mann; Tzschirner, immer noch der Hort des freisinnigen Protestantismus, widmet ihm herzliche Theilnahme.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_489.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)