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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

dessen Augen der leidlich gut erhaltene Körper eines Schiffes bloßgelegt wurde, jedenfalls eines Wikingerschiffes.

Man kannte bereits die Abbildung solcher Schiffe auf einer alten, sehr merkwürdigen Tapete – Wollgarnstickerei auf dickem Leinen – welche, zu Bayeux in der Normandie gefunden und aus dem Ende des elften Jahrhunderts stammend, den Zug Wilhelm’s des Eroberers abgebildet zeigt. Man hat sogar früher bereits im Kirchspiel Tune in Smaalenene (Norwegen) ein kleines Wikingerboot gefunden, welches, wenn auch gut erhalten, doch zu unbedeutend war, um wichtigere Aufschlüsse zu geben. Hier stand man auf einmal vor einem der größten und vollständigst ausgerüsteten, dem Schiffe eines jener Seekönige, welche ihre Würde dem Umstände verdankten, daß sie alle ihre Gefährten an Kraft, an Rücksichtslosigkeit, Todesverachtung und Rohheit übertrafen, welche es für eine Schande gehalten haben würden, „unter rauchgeschwärzten Balken zu schlafen und am häuslichen Herd ihr Trinkhorn zu leeren“, und welche sonst gern, wenn der Tod des Alters über sie kam, auf ihrem Schiff hinausfuhren in das Meer, um dort mit dem liebsten Besitz in Flammen unterzugehen.

Die gewöhnlichen Wikingerschiffe waren flach (daher ohne Verdeck) und klein, so klein, daß ihrer drei- bis vierhundert zu einem Raubzuge gehörten; hier aber hatte man einen Riesen von zweiundzwanzig Meter Länge und etwa fünf Meter Breite vor Augen!

Flach muß das Schiff freilich auch gewesen sein, nicht viel höher als anderthalb Meter, was ungefähr zu dem älteren, in Tune gefundenen stimmt; freilich ist anzunehmen, daß der Druck der Erde beide flacher gestaltet hat, als sie ursprünglich waren; beide sind übrigens in blauem Thon gebettet gewesen, was sich für ihre Conservirung als ganz besonders günstig erwies.

Das Schiff besteht aus an einander genagelten Brettern; im Innern laufen zwanzig Rippen, welche von oben durch Nägel, von unten durch Reifen an die Bretter geschlagen sind, und sie schließen an einen der Länge nach durch das Boot laufenden Balken, dessen Enden fischschwanzförmig zugeschnitten erscheinen. Auf dem Balken erhebt sich noch ein Stück des Mastes, welcher, wie es scheint, sechs Meter lang gewesen ist und dessen oberes Ende abgehauen im Schiffe vorgefunden ward, ebenso wie eine Reihe anderer Ausrüstungsgegenstände: Ruder in verschiedener Größe, aber in der Form nicht viel von einander abweichend, Reste von Segel- und Tauwerk, das Seitensteuer des Schiffes, eigenthümlich geformte Holzstückchen von einem halben Meter Länge mit kreisrunden Ausschnitten, durch welche einst Taue gelaufen sind und welche ganz abgenutzt erscheinen. Ferner entdeckte man merkwürdige Einrichtungen von Manneslänge, welche möglicher Weise als Bettstellen gedient haben. An sonstigen Geräthen fanden sich vor: ein großes Gefäß aus Holzstäben, mehrere Spaten, ein Kupferkessel mit zwei Traghenkeln, ein genieteter Eisenkessel von trefflicher Arbeit, Trinkkellen mit kurzen geschnitzten Handgriffen etc. Der Schiffsbord muß ganz mit Schilden bedeckt gewesen sein, von denen der ganze Eisenbeschlag, auch breite Schildbretter mit Spuren von Farbe sich erhalten haben. Außer dem großen Schiff sind aber noch Theile von zwei bis drei kleineren Booten an der Seite desselben ausgegraben worden.

Von menschlichen und thierischen Resten zeigten sich Spuren verbrannter Knochen, sowie die Gebeine von drei Pferden und einem oder zwei Hunden.

Soviel hatte sich ergeben, als man daran ging, einen eigenthümlichen auf dem Schiffe sich erhebenden Verschlag zu öffnen, welchen man nicht mit Unrecht für die eigentliche Grabkammer hielt. Derselbe befand sich in Form eines Daches mit zwei bretternen Giebelwänden hinter dem Mast; als man eindrang, zeigte sich, daß durch den Druck der Erdmasse die Sparren auf der einen Seite zerbrochen waren; zugleich aber noch etwas anderes: daß man auf eben dieser Seite schon früher einen Einbruch in die Grabkammer bewerkstelligt hatte.

Es ist anzunehmen, daß bei dieser Gelegenheit der größte Theil des Inhalts entführt wurde. Gleichwohl fand sich noch Mancherlei vor: zerstreute Gebeine der Todten, Stücke von lebhaft gefärbtem Seidenzeug, ein kastenförmig ausgehöhlter Baumstamm mit stark durch eingedrungenen Lehm verdorbenem golddurchwirktem Stoff, Reste von Riemen- und Sattelzeug, vor Allem aber, neben einigen kleinen Gegenständen aus Eisen, an die fünfzig Beschlagstücke von vergoldetem Silber und vergoldeter Bronze, zu Gürtel- und Reitzeug gehörend, von denen die ersteren einfach, mit geometrischen Motiven und en face-Portraits, ornamentirt sind, wogegen die letzteren zum Theil eine vorzügliche Arbeit zeigen. Ein paar kleinere Beschläge, von welchen der schönste einen mit eingelegter Lanze dahergaloppirenden Reiter bis in die kleinsten Details erkennen läßt, gehören zu dem Besten, was von Kunst aus der nordischen Heidenzeit erhalten ist.

Vielleicht wird nachträglich noch dies oder das gefunden. Das Schiff hat indeß die Bestimmung erhalten, unterbaut, auf Rollen gesetzt, und so auf die Höhe geschafft zu werden, um dann zur See nach der Landeshauptstadt zu gelangen. Die beigegebene, dem „Norsk Familjeblad“ entnommene Abbildung mag einigermaßen die Fundstätte zur Anschauung der „Gartenlauben“-Leser bringen.


„Der Städte Blume und des Reiches Stolz.“
Eine Plauderei von der Stätte des bevorstehenden Turnfestes.[1]

Was er wohl sagen würde, wenn er heute wiederkehrte in die Stadt seiner Väter, der große Goethe – in die Stadt, die man „der Städte Blume und des Reiches Stolz“ genannt hat? Er, der einst voll Enthusiasmus die schmucklose Stadt an der Pleiße zum „Klein-Paris“ erhob, sie über alles lobte und ihr damit ein Ehrenmal aufdrückte für alle Zeiten – er hatte kein ähnliches Wort der Auszeichnung für die Stadt, die ihn geboren. Man erzählt sich darüber Mancherlei. Er soll in der That nicht gut auf Frankfurt zu sprechen gewesen sein, der stolze Olympier, seit er in Weimar eine zweite Heimath gefunden hatte. Es soll ihn Etwas dort verdrossen haben, und was dem Frankfurter von damals als das höchste Kleinod galt, sein freireichsstädtisches Bürgerrecht, das soll er nicht respectirt, ja sogar im Unmuth zurückgegeben haben.

Doch das sind alte, vergessene Geschichten. Im Grunde hatte er die altehrwürdige Stadt, in der er geboren und erzogen war und von der er so viel zu erzählen wußte, doch herzlich lieb, und käme er heute wieder, sicherlich, er würde ohne jeglichen Groll – doch, was sage ich! Zu allererst würde er ein „Ah!“ der Bewunderung ebenso wenig unterdrücken können, wie jeder andere Sterbliche, der die alte Reichs- und Krönungsstadt längere Zeit nicht gesehen. Staunen würde er, wenn er die breiten, schönen Straßen erblickte, durch die ein ewig reger Strom des Verkehrs bequem dahinfluthet, wenn er vor die vielen Prachtbauten träte, die im Laufe der Jahre emporgewachsen sind, wenn er sähe, wie die Stadt nach allen Richtungen hin sich ausgedehnt hat, wie die umliegenden Ortschaften im Westen und Nordosten zu Vorstädten herangewachsen sind, und ihm das Ganze als ein Gemeinwesen vor Augen träte, das mit seinen mehr denn 125,000 Einwohnern immer mehr der Großstadt zusteuert.

Gerade in der Umgebung seines Geburtshauses würde sich der Altmeister am schwersten zurechtfinden: dort, wo man den engen Mauerbann des ehemaligen Frankfurt durchbrochen, die alten Häuser großentheils ganz hinweggeräumt hat, wo um den jetzigen Kaiserplatz herum ein völlig neues Stadtviertel im großartigsten Stil emporgewachsen ist, wo Palast an Palast sich reiht und die nahen Bahnhöfe – die nun auch bald zu einem großen Centralgebäude vereinigt werden – tagtäglich mit einem bunten Gemisch von Reisenden aus aller Herren Ländern die Straßen beleben. Und weiterhin: der frische, grüne Kranz der Promenaden, der sich im weiten Bogen um die Stadt zieht, geziert mit stattlichen Monumenten, umsäumt von herrschaftlichen Villen mit den prachtvollsten Gartenanlagen, und mitten darin die jüngste grandiose Schöpfung bürgerlichen Gemeinsinns, das neue große, schöne Opernhaus!

Unwillkürlich würde er sich umsehen, der gute Vater Goethe, was denn eigentlich geblieben von seinem Frankfurt, dem alten Frankfurt, und er würde nur Weniges noch finden. Dort, über die Dächer ragend, wie ein Denkmal für die Ewigkeit, steht noch

  1. Vergl. dazu die Notiz: „Unsere Abbildung von Frankfurt am Main“ unter „Blätter und Blüthen“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_474.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)