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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)

nöthigen politischen Kenntnisse politisiren, ein für alle Mal zu entgehen, hat er in jenen Semestern in eifriger Benutzung der Bibliothek des Professor Pölitz alle bedeutenderen politischen Werke von Macchiavelli bis zur neuesten Zeit gelesen oder durchmustert und den geistigen Ertrag den Genossen mitgetheilt. Eine Sammlung von seinen Reden im Burschenhause bringt er zu Papier, und in allen kehrt die Mahnung wieder, wissenschaftliche Bildung und thatkräftige Gesinnung zu vereinen: „nicht Buchgelehrte, sondern Männer braucht die Zeit“. Freilich ist diese seine Thätigkeit seinem theologischen Studium nicht eben günstig gewesen. Mit den Professoren ist unser Studiosus kaum in nähere Berührung gekommen, außer wenn sie über ihn zu Gericht saßen. Nur Tzschirner, damals der Wortführer des freisinnigen Protestantismus und glühender Patriot, hat ihn durch seine festliche Kanzelberedsamkeit gewaltig angezogen, und für des gelehrten und klugen Winer’s Art hatte er nachhaltige Sympathie und erkannte in ihm sein Vorbild für künftige Studien. Aber die Reisen und die Leitung der Burschenschaft hatten ihn dem Collegienbesuch ziemlich entfremdet, die letztere, den Behörden nicht unbekannt geblieben, ihn verdächtigt. Carcer und Wegweisung von Leipzig waren die Folge. Als man auf sein Bitten nach Jahresfrist in Dresden die Wegweisung zurücknahm, hat dennoch der Leipziger Senat auf ihr bestanden: der Zurückkommende – so machte man geltend – würde doch wieder in die alten Verbindungen treten. Er hatte sich im Uebrigen gleich am Schlusse des ersten Semesters mit Glück als Prediger versucht und war als solcher in der Heimath und in vielen Pfarrhäusern gerühmt; die Leipziger Professoren freilich haben ihm damals wenig zugetraut, und Niemand hat seine künftige Bedeutung geahnt.

Der Weggewiesene hatte sich Ostern 1821 nach Erlangen gewendet und war hier, wo unter dem biederen König Max die Burschenschaft sich noch frei bewegen durfte, als Märtyrer derselben ehrenvoll aufgenommen, ja sofort einstimmig als ihr geborenes Haupt anerkannt worden. Bei der scherzhaften Stiftung eines Kaiserreiches mit vollständigem Apparat der Reichsämter, bis auf den Reichsnachtwächter herunter, ist er, wie billig, zum Kaiser gewählt worden und hat als „Karl der Rothbart“ über Jahr und Tag regiert; ein „Fastnachtsspiel“, das an diesem Hofe 1822 aufgeführt wurde, ist seine erste Druckschrift. Bei dem berühmten Auszuge nach Altdorf war er der Staatsmann der Burschenschaft, der Alles leitete und mit den Behörden unterhandelte. War der zweite Burschentag in Streitberg, auf dem er mit Eisenmann, dem Freiherrn von Rotenhan, Julius Stahs und Anderen zusammentraf, ohne Störung verlaufen, so war’s zum guten Theil sein Werk. Dann aber brachte der heimlich auf Karl Follen’s Anregung gestiftete „Jünglingsbund“, der den Geheimbünden Italiens nachgebildet war und auf der Illusion beruhte, es stehe ihm ein über ganz Deutschland verbreiteter Männerbund zur Seite, einen Riß in die Burschenschaft. Hase, allmählich eingeweiht und ohne Vertrauen zur Sache, auch allem revolutionären Wesen und Allem, was nach Verschwörung aussah, herzlich feind, ließ sich doch bereden, einzutreten, bis er auf dem dritten Burschentag in Würzburg seinen Austritt anzeigen ließ.

Inzwischen hatte er schöne Tage in Erlangen gesehen; ein ungleich frischerer Geist herrschte hier, als in dem zopfigen Leipzig. Baiern erfreute sich in noch ungetrübter Glorie seiner Verfassung, mit Katholiken und Protestanten aus den verschiedensten reichsständischen Territorien saß Hase traulich zusammen, Alles schwärmte für Kaiser und Reich. Er lernt, zumal in Nürnberg, das ehemals reichsstädtische Leben kennen, wandert nach München und Tirol, wo ihm Andreas Hofers Tochter ein Band an die Mütze näht und ein Wegweiser „Nach Italien“ die alte Sehnsucht erneuert. Bildungsmomente aller Art treten an ihn heran, wie er denn eifrig Nationalökonomie und selbst Landwirthschaft gehört hat.

Für ihn das Wichtigste war der Aufenthalt in Gotthilf Heinrich Schubert’s Hause. Der Patriarch der Altgläubigen, jener frommen Gemeinde, die sich über ganz Deutschland erstreckte, nahm sich in seiner unendlichen Gutmüthigkeit des jungen Landsmannes von Herzen an, gern des Glaubens, daß seine damalige religiöse Anschauung nur ein „Durchgangspunkt“ sein werde. In Schubert’s Nähe eine Stunde gewesen zu sein, mache Einen mindestens für einen Tag besser – dies Studentenwort fand Hase bewährt: eine solche Kindlichkeit des Wesens, eine Reinheit und Hoheit der Gesinnung, wie bei diesem so ganz altkirchlich gerichteten Manne war ihm kaum je noch begegnet.[1] An Selbstlosigkeit hat Schubert wohl nie seines Gleichen gehabt. So kaufte er einem armen brauberechtigten Erlanger, dessen Bier mißrathen war, dasselbe ab und trank es mit seinen jungen Freunden, damit der Mann nicht zu Schaden komme, und bei dem Auszuge der Studenten nach Altdorf sendete er Hase einige hundert Gulden mit den Worten: „Es wird Euch an Gelde fehlen, ich hab’s geborgt, sorgt, daß ich’s dereinst wieder bekomme.“ Durch Schubert wurde Hase mit Schelling bekannt, dem „großen Philosophen“, wie er allgemein in Erlangen genannt wurde, und hörte dessen berühmte Ferienvorlesungen. In solcher Umgebung trat er auch der Theologie näher, „würgte“ sogar hebräische Psalmen hinter, vor Allem ging ihm ein Licht auf über seine theologische Bestimmung. Winer und – Schubert standen ihm vor Augen, rücksichtslose Forschung – und Vermittelung ihrer Ergebnisse mit dem christlichen Gefühl, das wurde die Aufgabe, an der er jetzt zu arbeiten beschloß und zu arbeiten begann.

Noch hat er es nur auf eine Landpfarrei abgesehen, denn dichterische Entwürfe, wie ein Roman „Die Troubadours“, beschäftigen ihn noch immer. So gilt es denn, in Dresden das Examen zu bestehen. Aber die Meldung zum Examen hatte ihre Schwierigkeiten: daß er ein aus Leipzig relegirter Student war, durfte in Dresden auf keinen Fall zur Sprache kommen. Zum Glück war durch das Ableben des Prorectors in Erlangen sein Leipziger Zeugniß verlegt worden, und man gab ihm, dasselbe „in bester Voraussetzung nehmend“, ein günstiges Abgangszeugniß in Erlangen. Zwar kommt in letzter Stunde vor seinem Scheiden die Kunde vom Dresdener Burschentag an die Behörden, er hat eine scharfe Untersuchung zu bestehen und wird polizeilich ausgewiesen. Doch in höchstem Ansehen bei Professoren, Bürgern und Studenten, scheidet er unter dem Ehrengeleite der Letzteren voll herzlicher Dankbarkeit für die ihm so liebgewordene Stadt. Die Hoffnung, in Baireuth sich einige Tage für das Examen vorbereiten zu können, wird durch sofortige Ausweisung vereitelt. Er eilt in die Heimath, von da nach Dresden. Nicht glänzend, aber doch genügend hat er das Candidatenexamen bei dem Oberconsistorialrath Ammon bestanden, ohne daß Bedenken wegen des fehlenden Leipziger Zeugnisses aufgetaucht wären.

Aber was nun? Schon in Erlangen hatte ihm der übergläubig gewordene junge Graf Schönburg das Stipendium von fünfzig Thalern entzogen, und selbst den Koffer hatte er dort lassen müssen. Die kleinen Gläubiger regen sich, die Geldklemme ist groß. Er meldet sich zu einer Pfarrei bei dem Grafen Einsiedel, dem Patron, seines Vaters, G. H. Schubert empfiehlt aus dem Vollen – aber er wird als zu jung abgewiesen. Er gedenkt als Lehrer nach Paris zu gehen und wendet sich an seinen berühmten Vetter; der antwortet, deutsche Lehrer seien in Frankreich, was Polnische in Deutschland. Alles schlägt fehl. Seine Schwester verkauft ihr einziges Schmuckstück und legt ihm die dafür errungenen acht Thaler auf den Tisch: „Suche Dir damit zu helfen; was ich vermöbelt habe, das habe ich nicht gebraucht.“ Er geht nach Leipzig, um aus einem in Erlangen verfaßten theologischen Werkchen ein Stück Geld herauszuschlagen – jeder Buchhändler weist ihn höflich ab. Zum letzten Male umarmt er im Carcer seinen heroischen Freund Robert Müller, der einen Gegner im Duell erschossen hat. Als er vernimmt, daß Professor Winer, den er so hoch hält, nach Erlangen berufen ist, aber noch mit der Annahme schwankt, eilt er zu ihm, lobt Erlangen so von Herzensgrund, daß Winer sofort annimmt, und wird dadurch unbewußt zum Ehestifter, während er selbst, in ärmster Armuth umherirrend, von der Geliebten seiner Jugend, die nicht den Muth hat, sich dem Flüchtlinge anzuvertrauen, für immer Abschied nehmen muß. Tief unglücklich hat er einen Entschluß gefaßt: mit den fünfzig Thalern väterlichen Erbes, die zusammenzubringen der Mutter herzlich sauer wird, verschwindet er aus Sachsen; Niemand ahnt, wohin.

(Fortsetzung folgt.)
  1. Man kennt Platen’s Worte im „Romantischen Oedipus“:

    „Hast Du denn auf Deinen Reisen nichts als Heuchlervolk erblickt,
    Auch nicht Einen, der zum Himmel brünstige Gebete schickt? –
    Ein einz’gen Frommen sah ich, den das Erzgebirg gebar,
    Der, was Andre tölpisch äffen, wirklich in der Seele war.“

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